04.06.2024 Ausgabe: 4/24

KI ist überall?

Nicht überall, wo Künstliche Intelligenz draufsteht, steckt sie auch drin – vom feinen Unterschied zwischen Automatisierungs- und selbstlernenden Tools.

Vor etwa einem Jahr trat der Begriff der Künstlichen Intelligenz (KI) aus den hin­teren Reihen der Nerdkultur in den Fokus von Wirtschaft und Politik, befeuert durch den Erfolg von Chatbots wie ChatGPT von OpenAI. Seitdem wird KI vor allem von Beratungsfirmen und Software-Anbietern als bahnbrechender Gamechanger gefeiert. Auch in der Immobilienbranche steigt die Zahl der Neugründungen von Proptechs, die be­haupten, durch KI bestehende Geschäftsmodelle zu revolutionieren. Da die Immobilienbranche im Ver­gleich zu anderen Wirtschaftszweigen einen größeren Nachholbedarf in Sachen Digitalisierung hat, wird dort bisweilen großzügig darüber hinweggesehen, dass viele der angebotenen Anwendungen oft eher Auto-matisierungs-Tools sind, die von Marketingexperten mit dem verkaufsfördernden Label „enthält KI“ versehen wurden. Im Gegensatz zum B2C-Bereich spielt bei professionellen Anwendern im B2B-Bereich zwar we­niger das Image einer Software eine Rolle, als vielmehr ihr wirtschaftlicher Nutzen. Dennoch ist es nicht nur mit Blick auf Preisverhandlungen durchaus sinnvoll, genauer hinzuschauen, was sich in der technischen Black Box befindet.

Blick in die technische Black Box

Grundsätzlich verfolgen KI und Prozessautomatisierung unterschiedliche Ziele und Ansätze. Automatisierung konzentriert sich lediglich auf die effiziente und fehler­minimierte Durchführung wiederkehrender, regelbasierter Aufgaben nach vordefinierten Regeln und Anweisungen. Eine Anpassung der Regeln an neue oder sich ändernde Situationen muss dabei stets durch den Anwender erfolgen. An dieser Stelle kommen KI-Systeme ins Spiel. Sie können durch das Erfassen von Mustern in Daten lernen, neue Situationen erkennen und ggf. die Automatisierungsregeln eigenständig ändern. Daher ist es möglich, beide Konzepte zu kombinieren, um intelligente Prozesse zu schaffen, die sowohl lernfähig als auch automatisiert sind. Insbesondere bei großen Datenmengen kann dies oft eine Entlastung darstellen, da herkömmliche Programme wie Excel schnell an ihre Grenzen stoßen können. Die Lernfähigkeit erlaubt es KI-Systemen somit, auch Aufgaben zu übernehmen, für die sie nicht explizit programmiert wurden.

Der Einsatz von KI in der Mietverwaltung

In allen Ebenen des Immobilienmanagements finden sich Ansatzpunkte für beide Konzepte; insbesondere größere Bestandshalter setzen sowohl im Portfolio-, als auch im Assetmanagement bereits seit vielen Jahren verschiedene Tools ein, die bei der Analyse, Planung, Steuerung und Kontrolle aufwändige Recherchetätig-keiten erleichtern. Das Treffen von großvolumigen Anlageentscheidungen selbst erfolgt jedoch in der Regel auf konventionellem Weg in entsprechenden Gremien, wobei Voten einer KI bei Bedarf als Argument für oder gegen eine bestimmte Strategie eingebracht werden – ähnlich wie die gewichtige Meinung eines Experten.

Auch für die klassische Miet­verwaltung, die traditionell auf der Objektebene angesiedelt ist, sind in den letzten Jahren zahlreiche Tools auf den Markt gekommen, die die Einsparung von Zeit und Personal ermöglichen. Sie kommen vorzugsweise in der Mieterkommunikation, Wartungskoordination, beim Tenant Screening, also der Auswahl von Mietinteressenten, oder auch im Miet-erhöhungs-Management zum Einsatz. Der Wunsch bzw. Leidensdruck, derartige Instrumente zu verwenden, nimmt erfahrungsgemäß zu, wenn eine ausreichend hohe Stückzahl an Vorgängen vorhanden ist. Andernfalls wird oft dann doch noch die herkömmliche „manuelle“ Vorgehensweise bevorzugt, da die Einführung einer neuen IT-Komponente nicht nur mit Kosten, ggf. einer entsprechenden Schulung, sondern auch mit einer eventuell noch nicht vorhandenen klaren Definition von Abläufen und Prozessen verbunden wäre.

Beispiel Wohnungsvermietung

Während in ländlichen Regionen und Kleinstädten eine ausgeglichene Marktlage oder sogar ein Mieter­markt vorliegt, ist in vielen beliebten Großstädten und Ballungsräumen seit Jahren ein starker Anstieg der Mietwohnungsnachfrage zu beobachten. Die oft über die einschlägigen Internetportale durchgeführte Insertion führt dort häufig zu einer nicht mehr manuell beherrschbaren Flut von Anfragen: Die Auswertung der oft unaufgefordert eingereichten „Bewerbungs­unterlagen“ führt das Verwaltungspersonal schnell an Kapazitätsgrenzen. Daher kam ein vor ca. zehn Jahren neu gegründetes Proptech zunächst auf die Idee, den Auswahlprozess zu automatisieren, um das Verwaltungs­personal zu entlasten.

Im ersten Schritt wurde die Eingabe von relevanten Daten und das Hochladen entsprechender Nachweise an die Mietinteressenten delegiert. Der Vorqualifizierungs-prozess konnte dann über vordefinierte Algorithmen die als Mieter infrage kommenden Interessenten identifizieren und zur Vereinbarung eines Besichtigungs­termins zulassen. Bislang war darin noch keine KI enthalten. Inzwischen kann diese bislang reine Automation aber durch den Einsatz von KI angereichert werden: Dokumente wie Ge­haltsnachweise oder auch Ausweisdokumente können erkannt, ausgelesen und ausgewertet werden. KI kann die gewonnenen personen­bezogenen Daten dann auch ggf. für einen „Background-Check“ in sozialen Netzwerken nutzen. Und dieser erfolgt nicht nur viel schneller als mit menschlichem Personal, er kennt auch keine Sprachbarrieren. Gleichwohl muss ein gewisser Teil der eingesparten Arbeitszeit für die sorg­fältige Prüfung und Überwachung der eingesetzten Tools aufgewendet werden: Probleme mit dem Datenschutz und nicht mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) konforme Auswahlverfahren bieten juristisches Konfliktpotenzial.

Die Einbindungsproblematik

Als IT-Kunde würde man erwarten, dass die Anbieter der gängigen ERP- und CRM-Software über kurz oder lang alle erdenklichen Möglichkeiten von KI in ihre Plattformen integrieren – und dabei alle juristischen Fragen für ihre Kunden klären. In der Praxis sind es aber oft Start-ups, die lediglich einzelne Probleme lösen. Deren Tools muss man dann auf eigene Gefahr einbinden, sofern es überhaupt eine fehlerlos funktionierende Schnittstelle gibt. Daher ist es wichtig, entsprechend digital geschultes Personal vorzuhalten, das nicht nur rudimentäre Anwenderkennt­nisse aufweist.

Die EBZ Business School als größte immobilienwirt­schaftliche Hochschule in Deutschland hat auf diese Entwicklungen bereits reagiert. Im neu aufgelegten Studiengang Digitales Immobilienmanagement, der auch die üblichen immobilienwirtschaftlichen Grund­lagen vertieft, wird ein besonderer Schwerpunkt auf die digitalen Komponenten in immobilienwirtschaftlichen Geschäftsmodellen und Plattformen gelegt.

Spieker, Prof. Dr. Raphael

Professur Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Finanzie­rung und Immobilien­bewertung, EBZ Business School, Bochum www.ebz-bs.de