16.09.2024 Ausgabe: 6/24

Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit

studio v-zwoelf©adobe.stock.com

Umfang und Grenzen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

Geht man nach den Verlautbarungen diverser Krankenkassen, lagen die Krankmeldungen im Jahr 2023 erneut auf einem Höchststand und sind auch im Jahr 2024 wieder auf dem besten Weg dorthin. Arbeitgebern droht damit nicht nur eine Beeinträchtigung der Betriebsabläufe, sondern darüber hinaus auch eine erhöhte finanzielle Belastung durch die krankheitsbedingte Entgeltfortzahlungsansprüche.

Insbesondere wenn sich Krankheitszeiten eines Mitarbeiters häufen, sollten Arbeitgeber rechtlichen Rat einholen. Denn dass Arbeitnehmer im Falle einer zur Arbeitsunfähigkeit (AU) führenden Erkrankung nach § 3 Abs. 1 S. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen haben, dürfte noch allseits bekannt sein. Schwieriger wird es bei Mehrfacherkrankungen, also dann, wenn Mitarbeiter mehrmals im Jahr – gegebenenfalls auch kurzeitig – erkranken oder sich Krankheiten überlappen.

Dann lohnt es sich aus Arbeitgebersicht oftmals, genauer hinzusehen und die (vermeintliche) Ent-geltfortzahlungspflicht einer konkreten Prüfung zu unterziehen:

Zur AU führende Erkrankung

„Krank sein“ bedeutet nicht notwendigerweise, dass die Arbeitsleistung nicht erbracht werden kann. Insofern verlangt § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG als Voraussetzung für den Anspruch auf Lohnfortzahlung, dass ein Arbeitnehmer „infolge“ einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert – also arbeitsunfähig erkrankt – ist.

Krankheit im Sinne des EFZG meint dabei jeden regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, wobei dessen Ursache zunächst einmal ohne Bedeutung ist. Dazu gehören zum einen physische Leiden (z. B. Erkältung, Grippe, Magen-Darm-Beschwerden, Verletzungen), aber auch die wohl tendenziell zunehmenden psychischen Erkrankungen (v. a. Burn-Out, Depressionen) und bestimmte Süchte (Alkohol/Drogen). Die Einordnung als Krankheit setzt nicht voraus, dass der Zustand behandel- oder gar heilbar ist. Verlangt wird aber, dass der Zustand von einer gewissen Erheblichkeit ist. Keine Krankheit ist eine Schwangerschaft, weil sie – soweit sie weitgehend beschwerdefrei verläuft – keinen regelwidrigen körperlichen Zustand darstellt.

Arbeitsunfähig erkrankt ist ein Arbeitnehmer, wenn er wegen der Schwere der Erkrankung der beruflichen Tätigkeit objektiv nicht oder nur unter der Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustandes nachgehen kann, was sich auch nach der jeweils ausgeübten Tätig­keit richtet: So kann etwa ein Dachdecker mit einem gebrochenen Arm wohl für die gesamte Heilungsdauer als arbeitsunfähig erkrankt eingestuft werden, während ein Büroangestellter nach kurzer Zeit seinem Beruf wieder nachgehen können wird.

Um den Entgeltfortzahlungsanspruch auszulösen, muss allein die Krankheit ursächlich für die AU sein („Mono­kausalität“). Es besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Mitarbeiter, wäre er gesund gewesen, aus anderen Gründen nicht gearbeitet und deswegen kein Entgelt erhalten hätte (z. B. bei Streik oder Kurzarbeit).

Kein Verschulden

Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt weiter voraus, dass den Arbeitnehmer für den Eintritt der AU kein Verschulden trifft. Fahrlässiges Verhalten reicht nicht aus, vielmehr muss ein „gröblicher Verstoß“ gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten vorliegen. Ein solcher wurde von der Rechtsprechung u. a. bejaht bei Verletzungen durch einen durch die vorsätzliche Missachtung von Verkehrsvorschriften verursachten Autounfall oder durch eine selbst verursachte Schlägerei. Sportverletzungen sind – wenn überhaupt – nur dann schuldhaft verursacht, wenn der Arbeitnehmer sie bei der Ausübung einer Hochrisikosportart (zu denken wäre an Base-Jumping mit einem sog. Wing-Suit) oder sie aufgrund massiver Selbstüberschätzung erleidet. Bloß unvorsichtiges Verhalten begründet noch kein Verschulden i. S. d. § 3 Abs. 1 EFZG.

Mehrfache unterschiedliche Erkrankungen

Wenn § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG den Entgeltfortzahlungszeitraum auf sechs Wochen beschränkt, bedeutet dies nicht, dass je Kalenderjahr das Gehalt höchstens für sechs Wochen fortgezahlt werden müsste. Vielmehr begründet jede neue – d. h. auf einer anderen Ursache beruhende – zur AU führende Erkrankung des Arbeitnehmers einen weiteren Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Geht man allein nach dem Gesetzeswortlaut, gilt dies auch, wenn sich verschiedene Erkrankungen in zeitlicher Hinsicht überlappen. Allerdings wurde – auch zum Schutz der Arbeitgeber, die sich ansonsten einer gegebenenfalls endlosen Kette von Entgeltfortzahlungszeiträumen ausgesetzt sähen – von den Arbeitsgerichten für solche Fälle die Rechtsfigur des sog. einheitlichen Verhinderungsfalls entwickelt. Die neue Erkrankung löst dann keinen über den ursprünglichen Lohnfortzahlungszeitraum hinausgehenden Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus. Leidet beispielsweise ein Arbeitnehmer zunächst für vier Wochen an einer Grippe und erleidet – kurz bevor diese ausgeheilt ist – einen Bandscheibenvorfall, der eine AU von weiteren fünf Wochen nach sich zieht, kann er gleichwohl nicht für neun, sondern lediglich für sechs Wochen Lohnfortzahlung verlangen.

Entscheidend für die Entstehung eines neuen Entgelt-fortzahlungsanspruchs ist also, dass die Krankheitsphasen sich nicht überschneiden. Ein „Mindestabstand“ zwischen den Erkrankungen ist dabei nicht erforderlich, insbesondere kommt es nach der Rechtsprechung auch nicht darauf an, dass zwischen den Erkrankungen tatsächlich gearbeitet wurde.

Sofern tatsächlich gearbeitet wurde, stellt dies ein Indiz für die wiedererlangte Arbeitsfähigkeit dar. Wird die Beschäftigung aber vor Ablauf einer wirtschaftlich ins Gewicht fallenden Zeit wieder aufgegeben, weil der Be­schäftigte zur Verrichtung von vornherein nicht oder nur unter Gefährdung seiner Gesundheit fähig war, liegt ein untauglicher bzw. missglückter Arbeitsversuch vor und die Einheit des Verhinderungsfalls wird nicht durchbrochen.

Mehrfache AU aufgrund derselben Erkrankung

Die Praxiserfahrung zeigt, dass Arbeitgebern zwar noch der Begriff „einheitlicher Verhinderungsfall“ bekannt ist, nicht aber, dass § 3 EFZG eigentlich generell festlegt, dass ein Arbeitnehmer, der wiederholt an derselben Krankheit erkrankt, für all diese Krankheitszeiten nur einmal den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen geltend machen kann. Fällt also ein Arbeitnehmer beispielsweise aufgrund eines chronischen Rückenleidens Anfang des Jahres für vier Wochen und später im Jahr nochmals für fünf Wochen aus, kann er in der zweiten Krankheitsphase eigentlich nur für zwei Wochen Lohnfortzahlung verlangen.

Vielfach wird von Arbeitgebern aber ohne weitere Prüfung auch für die zweite Krankheitsphase volle Entgeltfortzahlung geleistet, obwohl – sofern keine der gesetzlichen Ausnahmen greift – hierzu überhaupt keine rechtliche Notwendigkeit besteht.

Diese gesetzlichen Ausnahmen finden sich in § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 2 EFZG. Danach verliert ein Arbeitnehmer, der infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig wird, den Anspruch auf Entgeltfortzahlung für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn er vor der erneuten AU mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten AU infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist (Nr. 2).

Beispiel für § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 EFZG

Erkrankt der Arbeitnehmer an derselben Krankheit im Januar für drei Wochen, im April für zwei Wochen und im Juni wiederum für vier Wochen, ist ihm bei der „Juni-Erkrankung“ lediglich für die erste Woche Lohnfortzahlung zu leisten. Besteht die AU dagegen ab Januar aufgrund derselben Krankheit für sieben Wochen und ab November erneut für acht Wochen, ist – weil dazwischen mehr als sechs Monate liegen – jeweils für die ersten sechs Wochen der Krankheitszeiträume Lohnfortzahlung zu leisten.

Beispiel für § 3 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 EFZG

Die erste Krankheitsphase beginnt am 20. März und dauert bis Ende August an. Die Krankheit tritt erneut im Oktober bis Januar des Folgejahres auf und sodann erst wieder Anfang April. Für diese „April-Erkrankung“ kann der Arbeitnehmer Entgeltfortzahlung bis zu sechs Wochen beanspruchen, weil seit der ersten Erkrankung am 20. März des Vorjahres mehr als zwölf Monate vergangen sind. Die Rahmenfrist von zwölf Monaten beginnt mit der ersten AU aufgrund derselben Krankheit; es ist dann unerheblich, wie oft der Arbeitnehmer innerhalb dieser Frist aufgrund dieser Krankheit arbeitsunfähig war.

Bei dem Begriff „dieselbe Krankheit“ ist zu berücksichtigen, dass diese verschiedene Krankheitssymptome verursachen kann, die aber jeweils auf demselben medizinisch nicht ausgeheilten bzw. nicht heilbaren Grundleiden beruht. Beispielhaft genannt seien die verschiedenen Krankheitsbilder einer Multiplen Sklerose oder die Verletzungen aufgrund einer Epilepsie. Aus § 9 EFZG folgt außerdem, dass § 3 EFZG auch bei Reha-Maßnahmen gilt. Sofern also der an dem Rückenleiden erkrankte Arbeitnehmer zunächst vier Wochen fehlt und sich innerhalb der Fristen des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG dazu entschließt, auf Kur zu gehen, steht ihm auch hierfür lediglich ein Lohnfortzahlungsanspruch im Umfang von (weiteren) zwei Wochen zu.

Allerdings darf „dieselbe“ Krankheit nicht mit „der gleichen“ Krankheit verwechselt werden. Bricht sich ein Arbeitnehmer innerhalb relativ kurzer Zeit zweimal den rechten Arm, so handelt es sich zwar in medizinischer Hinsicht um die „gleiche,“ nicht aber um „dieselbe“ Krankheit.

Darlegungs- und Beweislast

Da der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG trägt, muss er sowohl die AU als solche sowie deren Beginn und Ende belegen. Dies geschieht regelmäßig durch Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, deren Beweiswert gegebenenfalls aber erschüttert werden kann (vgl. hierzu auch VDIVAKTUELL 1 & 2/24, S. 76 ff.).

Ist dies geschehen, ist es Sache des Arbeitgebers, vorzutragen und zu beweisen, dass gleichwohl der Lohnfort­zahlungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe besteht. Hierbei „hilft“ ihm die Rechtsprechung aber durch eine veränderte Verteilung der Darlegungslast:

Bei den Konstellationen, in denen der Arbeitnehmer eine kurzzeitige Genesung anführt, der Arbeitgeber aber von einem tatsächlichen Überlappen der Krankheitszeiträume und damit von einem einheitlichen Verhinderungsfall ausgeht, liegt nach dem Bundesarbeitsgericht (BAG) ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines solchen vor, wenn sich an eine erste AU eine dem Arbeitnehmer im Wege der „Erstbescheinigung“ attestierte weitere AU in engem zeitlichen Zusammenhang anschließt und die bescheinigten AU zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder wenn zwischen ihnen lediglich ein arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer, darzulegen und zu beweisen, dass die erste AU bereits abgeschlossen war und – wenigstens für einen kurzen Zeitraum – Arbeitsfähigkeit bestand.

Wenn ein Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war, kann sich der Arbeitgeber zunächst auf die Behauptung zurückziehen, dass die Zeiträume der AU auf „derselben Krankheit“ beruhen. Der Arbeitnehmer muss dann vortragen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorliegt und hierfür ärztliche Bescheinigungen beibringen oder – wenn Restzweifel verbleiben – sogar die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbinden.

Fazit

Selbstverständlich sollten Arbeitgeber ein gewisses Grundvertrauen in ihre Mitarbeiter haben, was sich auch darauf erstreckt, einer Krankmeldung – insbesondere, wenn sie ärztlich bescheinigt ist – erstmal Glauben zu schenken.

Meldet sich aber ein Mitarbeiter auffällig häufig mit gewissen Allerwelts-Wehwehchen krank und bestehen ohnehin gewisse Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erkrankung, lohnt sich durchaus einmal die Nachfrage, inwieweit er denn durch die (vermeintliche) „Erkältung“ an der Arbeitsleistung gehindert ist.

Besteht der Verdacht, dass bei einem Mitarbeiter ein Grundleiden vorliegt, das regelmäßig zu lohnfortzahlungspflichtigen Zeiten der AU führt, kann seitens des Arbeitgebers bei der Krankenkasse eine sog. „Zusammenhangsanfrage“ gestellt und mit dieser eruiert werden, ob vorhergehende AU aufgrund derselben (Grund-)Krankheit bestanden.

Jedenfalls nach der Erfahrung aus der Beraterperspektive lassen sich die durchschnittlichen Fehltage in einem Betrieb durchaus dadurch reduzieren, dass der Arbeitgeber klarmacht, dass er nicht mehr jede Krankheit hinnimmt und ohne Nachfrage bezahlt.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de