02.12.2022 Ausgabe: 8/22

Miet-Recht: Berliner Mietspiegel 2021 ist „einfacher Mietspiegel“

LG Berlin (65. Zivilkammer), Urteil vom 24.5.2022 – Az. 65 S 189/21 und LG Berlin, 66. Kammer, Urteil vom 20.7.2022 – Az. 66 S 47/22)

Das Thema
Der Mietspiegel ist nach wie vor das Mittel zur Begründung von Mieterhöhungen und ebenso von Rückzahlungsansprüchen nach den Regeln zur Mietpreisbremse. Liegt ein qualifizierter Mietspiegel nach § 558d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für eine bestimmte Gemeinde vor, so wird im Prozess vermutet, dass die dort ausgewiesenen Mieten die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergeben, § 558d Abs. 3 BGB. Liegt nur ein einfacher Mietspiegel vor, so kann das Gericht diesen als Grundlage einer Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranziehen, es ist allerdings nicht hieran gebunden, und die Höhe der Miete kann auch durch andere Beweismittel, beispielsweise ein Sachverständigengutachten, nachgewiesen werden. Ein einfacher Mietspiegel hat daher eine wesentlich geringere Beweis- und Bindungswirkung als ein qualifizierter Mietspiegel, an dem die Prozessparteien, das Gericht und auch beauftragte Sachverständige nicht vorbeikommen. 

Der Berliner Mietspiegel 2021 ist nun in mehreren Entscheidungen der zuständigen Berufungskammer des Landgerichts (LG) Berlin nur als „einfacher Mietspiegel qualifiziert worden. Dabei beleuchten die Kammern einen Aspekt, der spezifisch für Berlin ist, führen jedoch auch zu einem weiteren Thema aus, welches bundesweit Relevanz bekommen kann: Der Betrachtungszeitraum für die ortsübliche Miete wurde von vier auf sechs Jahre ausgedehnt, § 558 Abs. 2 BGB. Für Mietspiegel, die bereits im Erstellungsprozess waren, wurde in Art. 229 § 50 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) eine Übergangsvorschrift geschaffen, wonach Mietspiegel, die bereits im Jahr 2020 im Prozess der Erstellung waren, und Mietspiegel, die bereits Ende 2019 existierten, innerhalb von zwei Jahren der Marktentwicklung angepasst werden können. D. h. ihre statistische Datengrundlage muss nicht neu erhoben werden, sondern sie können in einem vereinfachten Verfahren gemäß dem Verbraucherpreisindex fortgeschrieben werden. Aufgrund des Vorgehens beim Berliner Mietspiegel hatten die beiden Berufungskammern Gelegenheit, die Anwendbarkeit und Bedeutung dieser bundesweit geltenden Übergangsvorschrift zu klären.

Der Fall
Das Urteil der 66. Kammer hatte über eine deutlich über dem Berliner Mietspiegel liegende Mieterhöhung zu entscheiden, für die Vermieter Sachverständigengutachten angeboten hatte, während die 65. Kammer aufgrund der in Berlin anwendbaren Mietpreisbremse eine Staffelmiete für den Zeitraum 2021 bis 2023 anhand des Berliner Mietspiegels 2021 zu kontrollieren hatte. Der aktuelle Berliner Mietspiegel 2021 hat sich wie folgt entwickelt: Die letzte vollständige Datenerhebung erfolgte für die Erstellung des Berliner Mietspiegels 2017. Bereit zu diesem Mietspiegel war hoch umstritten und wurde in höchstrichterlicher Entscheidung (BGH, Urteil vom 18.11.2020, Az. VIII ZR 123/20) offengelassen, ob dieser Mietspiegel als qualifiziert anzusehen war. Im Jahr 2019 wurde dieser Mietspiegel turnusgemäß nach einer ein geschränkten weiteren Datenerhebung fortgeschrieben und zwar gemeinsam durch die entsprechenden Beteiligten auf Vermieter- und Mieterseite. Für den Mietspiegel 2021 erfolgte ebenso eine weitere eingeschränkte Datenerhebung, die den Zeitraum der Datenerhebung nun auf sechs Jahre (von 2014 bis 2020) ausdehnt; die beteiligten Vermieter-Vereine haben diesen Mietspiegel allerdings nicht als qualifiziert anerkannt. 

Dies steht nach Ansicht der Gerichte einer Einordnung des Mietspiegels als einfacher Mietspiegel nicht grundsätzlich entgegen, da sie jedenfalls an der Erstellung mitgewirkt haben, was nach § 558c Abs. 1 BGB ausreicht Auch die Erklärung im Berliner Mietspiegel 2021, dass es ich hierbei um einen qualifizierten Mietspiegel handele, macht den Mietspiegel nicht gänzlich unwirksam, er kann trotzdem als einfacher Mietspiegel aufrechterhalten bleiben.

Fraglich – und durchaus für die Mietspiegel weiterer Städte von Interesse – ist jedoch, ob die zweimalige Fortschreibung ohne Erhebung einer neuen Datengrundlage aufgrund der Übergangsvorschrift im EGBGB gerechtfertigt ist, oder ob dieses Vorgehen gegen die Sollvorschrift in § 558c Abs. 3 BGB verstößt und damit dem Mietspiegel auch nicht die Wirkung des einfachen Mietspiegels zu- kommt. Dies verneinen beide Berufungskammern, eine erneute Fortschreibung des Berliner Mietspiegels war möglich. Es handelt sich bei dem fortgeschriebenen Berliner Mietspiegel 2019 um einen „am 31.12.2019 existierenden Mietspiegel“. Hierbei spielt es keine Rolle, ob dies ein einfacher oder ein qualifizierter Mietspiegel ist und ob es sich um einen bereits fortgeschriebenen Mietspiegel oder um einen neu erstellten handelt. Diese Feinheiten wollte der Gesetzgeber ausweislich der Begründung gerade nicht regeln. Auch der Hinweis in der Gesetzesbegründung, wonach die Anpassung eines bei Inkrafttreten der Übergangsvorschrift bestehenden und bereits einmal angepassten Mietspiegels nicht möglich sei, lässt die 66. Kammer nicht gelten. Es ist lediglich darauf ab- zustellen, ob der nun fortzuschreibende Mietspiegel am 31. Dezember 2019 bereits existiert hat. Auch gilt die Fortschreibung eines qualifizierten Mietspiegels regelmäßig als Neuerstellung eines einfachen Mietspiegels. Erkennt man den Berliner Mietspiegel 2019 also noch als „qualifizierten Mietspiegel“ an, stellt sich das Problem der Anwendbarkeit der Übergangsvorschrift nicht.

Der Vermieter argumentierte darüber hinaus, dass der Berliner Mietspiegel 2021 auch nicht als einfacher Mietspiegel anwendbar sei, da für diesen bereits seit dem 1. Ja- nuar 2020 der Betrachtungszeitraum von sechs Jahren gelte, der nicht eingehalten sei. Gerade dieses Problem wollte der Gesetzgeber aber durch die Übergangsvorschrift lösen und eine durchgehende Anwendbarkeit von Mietspiegeln sicherstellen, auch durch Anpassung derjenigen Mietspiegel, die nur einen vierjährigen Betrachtungszeitraum enthalten.

Schließlich geht die 66. Kammer in ihrem Urteil noch darauf ein, wie die Instanzgerichte nun mit dem „einfachen“ Berliner Mietspiegel zu verfahren haben. Sie sind befugt, diesen Mietspiegel als Grundlage einer eigenen Schätzung der ortsüblichen Vergleichsmiete heranzuziehen. Insbesondere ist dafür die Orientierungshilfe zur Spanneneinordnung heranzuziehen. Der Tatrichter ist hierzu allerdings nicht verpflichtet (dies wäre nur bei Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels der Fall). Die Partei, die eine andere Miete anstrebt als sich aus dem Mietspiegel ergibt, ist daher berechtigt, diese Schätzgrundlage zu erschüttern und jegliche Indizien dafür vorzulegen, dass die ortsübliche Miete aufgrund der spezifischen Gegebenheiten der Wohnung oder des Quartiers oder eben auch aufgrund der allgemeinen Mietpreisentwicklung nach oben oder nach unten abweicht.

VERWALTERSTRATEGIE
Leider haben beide Berufungsurteile die Revision nicht zugelassen, die sich angesichts der bundesweit geltenden Übergangsvorschrift durchaus angeboten hätte. Eine höchstrichterliche Klärung dieser Frage ist daher nicht in Sicht. Die Anwendung des Berliner Miet- spiegels 2021 „nur“ als einfacher Mietspiegel schafft viele Unsicherheiten sowohl auf Vermieter- als auch auf Mieterseite. Streben Vermieter eine höhere Miete an, ist ihnen nun die Möglichkeit eröffnet, für das konkrete Objekt die Indizwirkung des Mietspiegels zu erschüttern. Dies dürfte umso leichter fallen, nachdem die Marktmechanismen im Berli- ner Mietmarkt durch den Mietendeckel und dessen rückwirkende Aufhebung durch das Bundesverfassungsgericht kräftig durcheinandergewirbelt wurden.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com