27.05.2022 Ausgabe: 4/22

Mietrecht: Beschaffenheitsvereinbarung und Beweislast - Baulärm als Mietmangel

(BGH, Urteil vom 24.11.2021 – Az. VIII ZR 258/19, sog. Bolzplatz III)

DAS THEMA
Die sogenannte „Bolzplatz-Rechtspre­chung“ des Bundesgerichtshofes (BGH) zur Frage, ob Umgebungslärm einen Mietmangel darstellt, wurde hier schon mehrfach besprochen. In der Entscheidung „Bolzplatz I“ vom 20. April 2015 hatte der BGH entschieden, dass die Mieter an der jeweiligen Situationsgebundenheit des Mietgrundstücks teilnehmen, sodass Emis­sionen, die auch der Vermieter entschä­digungslos nach der nachbarrechtlichen Vorschrift des § 906 Bürgerliches Gesetz­buch (BGB) hinnehmen muss, nicht zu einem Minderungsrecht führen. Die Nut­zung eines von der benachbarten Schule entsprechend der immissionsschutzrechtlichen Vorgaben errichteten Bolzplatzes (daher die Urteilsbezeichnung) im Rah­men der genehmigten Nutzungszeiten (bis 18:00 Uhr) und durch berechtigte Nutzergruppen (Kinder bis zwölf Jahre) löste daher keine Mietminderungsansprü-che der Mieter aus, deren Terrasse unmit­telbar neben dem Schulgrundstück lag.

Die sogenannte Bolzplatz-II-Entscheidung des BGH vom 20. April 2020 über­trug diese Rechtsprechung dann auf vorübergehenden Baulärm von Nach­barbaustellen, welche nicht dem Immissionsschutzrecht, sondern den Maßgaben der Baugenehmigung und der allgemei­nen Lärmschutzvorgaben, insbesondere der AVV Baulärm unterliegen. Hier führte der BGH aus, dass die Bewertungen aus dem Nachbarrecht, § 906 BGB, innerhalb des Mietrechts anzuwenden sind, die Dar­legung und Beweislast sich jedoch nach den mietrechtlichen Vorschriften richtet. Daher hat der Mieter als Voraussetzung für seinen Mangelanspruch darzulegen und zu beweisen, dass durch den Baulärm eine wesentliche Beein­trächtigung (im Sinne des § 906 BGB) seiner Wohnnutzung erfolgte. Erst wenn dieser Beweis erbracht werden konnte, hat der Vermieter den Entlastungsbeweis dahin zu führen, dass ihm gegenüber dem bau­enden Nachbarn ein Anspruch aus § 906 BGB auf Unterlassung oder Entschädigung nicht zusteht und damit das Minderungsrecht des Mieters entfällt.

Mit dieser Entschei­dung waren jedoch kei­neswegs alle Feinheiten geklärt, insbesondere tendieren die unte­ren Instanzen nach wie vor dazu, Mietern mehr oder weniger pauschal Mietmin­derungen zuzusprechen. In der kaum eineinhalb Jahre nach Bolzplatz II ergan­genen sogenannten Bolzplatz-III-Ent-scheidung, greift der BGH insbesondere noch mal die Vorfrage der Beschaffen­heitsvereinbarung auf und versucht, die Beweislast beider Parteien nochmals kla­rer darzustellen 


DER FALL
Der Nachbar errichtete auf der gegen­überliegenden Straßenseite vier Wohnge­bäude mit sechs bis acht Vollgeschossen und einer Tiefgarage. Der klagende Mie­ter begehrte vom beklagten Vermieter eine Mietminderung um 30 Prozent aufgrund des Baulärms und der Staub­entwicklung. Die Vorinstanz, das Land­gericht Berlin, sprach dem Mieter eine Mietminderung um 15 Prozent zu, da diese durch eine typische Großbaustelle gerechtfertigt sei. Es ging dabei von einer konkludenten Beschaffenheitsvereinba­rung aus, wonach die Mietwohnung frei von Baulärm sei, und pauschalierte die Mietminderung aufgrund der Aussagen des Mieters und der als Zeugen vernom­menen Nachbarn, die den Ablauf einer „typischen Großbaustelle“ schilderten.

Dies genügt dem BGH nicht: Zunächst nimmt er ausführlich Stellung zur Frage, ob eine konkludente Beschaffenheitsver­einbarung vorliege, und verneint dies. Hierfür ist nicht ausreichend, dass Mieter bei Anmietung die Freiheit von Baulärm wahrnehmen. Mieter können im Allge­meinen nicht erwarten, dass Vermieter die vertragliche Haftung für derartige günstige Umweltbedingungen überneh­men wollen, da sie auf deren Fortbeste­hen oder darauf, dass eine Wohnung „so bleibt wie sie ist“, keinen Einfluss haben. Vielmehr müssen für jede Beschaffen­heitsvereinbarung zwei – wenigstens stillschweigende – Willenserklärungen vorliegen.

Können Mieter nach diesen Vorgaben regelmäßig keine Beschaffenheitsverein­barung nachweisen, so ist der geschuldete Zustand der Mietsache durch Auslegung zu ermitteln. Hierbei sind die Wertun­gen des nachbarrechtlichen Verhältnis­ses nach § 906 BGB zu berücksichtigen. Der BGH betont nochmals die bereits in „Bolzplatz I“ entwickelten Grundsätze, wonach Mieter an der jeweiligen Situ­ationsgebundenheit eines Mietgrundstücks teilnehmen müssen und deshalb kein zur Mietminderung führender Man­gel vorliegt, wenn auch ihr Vermieter die Immissionen ohne eigene Abwehr- und Entschädigungsmöglichkeiten als unwe­sentlich oder ortsüblich hinnehmen muss. § 906 BGB wird dabei weder unmittel­bar noch analog angewendet, sondern lediglich im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung. Der BGH nimmt hier­bei ausdrücklich Bezug auf das Merk­mal der Sozialadäquanz und auf seine Rechtsprechung zu Wohngeräuschen aus Nachbarwohnungen, insbesondere zu Kinderlärm. Soweit solche Immissionen sozial adäquat sind, ergeben sich hieraus ebenfalls keine Minderungsansprüche. Der BGH überträgt nun den Gedanken der Sozialadäquanz auf die Problematik des nachbarlichen Baulärms.

Auch die „typischerweise mit einer Großbaustelle verbundenen Lärm- und Schmutzimmissionen“ lässt der BGH so pauschal nicht für einen Mietminderungsanspruch ausreichen. Allerdings weist er ausdrücklich darauf hin, dass die Darlegungs- und Beweislast der Mieter für die wesentliche Beeinträchtigung im Sinne des § 906 BGB nur so weit reicht, wie sich aus der bisherigen Mietrecht­sprechung ergibt. Insbesondere sind Mieter nicht gehalten, ein detailliertes Lärmprotokoll zu führen oder gar Lärm­messungen vorzunehmen. Eine Beschrei­bung der Lärmbeeinträchtigungen, zu welchen Tageszeiten und über welche Zeitdauer und in welcher Frequenz diese ungefähr auftreten, genügt. Diese Beschreibung muss allerdings – zusätz­lich im Rahmen der nachbarrechtlichen Kriterien des § 906 BGB – darauf schlie­ßen lassen, dass es sich um wesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 BGB handelt. Für die Frage der Wesentlichkeit ist auch die Einhaltung der All­gemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm (AVV Baulärm) heranzuziehen. Erst wenn Mietern der Beweis einer wesentlichen Beeinträchti­gung gelingt, haben sich Vermieter dahin­gehend zu entlasten, dass sie selbst die Immissionen ohne eigene Abwehr und Entschädigungsmöglichkeiten hinneh­men mussten. Hierzu sind alle in ihrem Verantwortungsbereich liegenden Tat­sachen vorzubringen und zu beweisen.

Da diese Beweise aufgrund der typisie­renden Betrachtungsweise der Vorinstanz nicht erhoben worden waren, hat der BGH die Sache zurückverwiesen.


VERWALTERSTRATEGIE
Sowohl der Gegenbeweis hinsichtlich des Vortrags der Wesentlichkeit unter Einhaltung der AVV Baulärm wie auch der Beweis, keine eigenen Abwehr­oder Entschädigungsansprüche zu haben, dürfte Vermietern nur mit Unter­stützung von Nachbarn und des Bauherrn gelingen, denen er daher den Streit verkünden sollte. Leider hat der BGH auch in dieser dritten Entscheidung zum Baulärm die Kriterien für die Wesentlichkeit einer Beeinträchtigung noch nicht genau herausgearbeitet. Ein Rückgriff auf die nachbarrechtliche Rechtsprechung gestaltet sich insoweit schwierig, da wenige obergerichtli­che und höchstrichterliche Entscheidungen zu „normalen“ Baustellen vorlie­gen und die Frage eines Entschädigungsanspruchs keiner einheitlichen Linie folgt. Streitigkeiten über den Umfang der Beweislast, die den Parteien jeweils obliegt, sind daher weiterhin programmiert und auch durch diese dritte BGH-Entscheidung zum Thema noch nicht vollständig geklärt.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com