14.10.2021 Ausgabe: 6/21

Mietrecht - Berliner Mietspiegel und gerichtliches Sachverständigengutachten

(BGH, Urteil vom 26.5.2021 – Az. VIII ZR 93/20)

DAS THEMA
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte in diesem und in zwei vorangehenden Urteilen (vom 28.4.2021, Az. VIII ZR 22/20, und vom 18.11.2020, Az. VIII ZR 123/20) Gelegenheit, sich vertieft mit dem Berliner Mietspiegel, Stand 2017, auseinanderzusetzen. Die Urteile sind jedoch übertragbar auf die Mietspiegel aller Städte und Gemeinden, wo sie tabellarisch aufgebaut sind und – geordnet nach Baujahr und Lage – im entsprechenden Tabellenfeld eine Preisspanne angeben, ggf. zusätzlich mit Orientierungshilfen für die Einordnung in diese Spanne. (Hinweis: Der Münchner Mietspiegel fällt nicht darunter; er ist nach anderen Kriterien aufgebaut). Dabei konnte in allen drei Entscheidungen die Frage außen vor bleiben, ob es sich beim Berliner Mietspiegel, Stand 2017, um einen qualifizierten Mietspiegel im Sinne des § 558d Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handelt. Ein solcher qualifizierter Mietspiegel hat die Vermutung für sich, dass er die ortsübliche Vergleichsmiete wiedergibt. Ein (gerichtliches) Sachverständigengutachten oder die Benennung von Vergleichsmieten muss daher auch auf den (qualifizierten) Mietspiegel Bezug nehmen, und die gesetzliche Vermutung muss widerlegt werden, falls eine höhere Miete verlangt wird. Der Berliner Mietspiegel, Stand 2017, nimmt diese Qualifizierung jedoch nur für die in der Mietspiegeltabelle ausgewiesenen Spannenwerte in Anspruch und jedenfalls nicht für die Einordnung innerhalb der Spannen, ggf. mit der Orientierungshilfe. Im vorliegenden Fall war zwischen den Parteien nur die Einordnung innerhalb des Spannenwerts umstritten, nicht die Einordnung in das Tabellenfeld. Hierauf würde sich die Qualifizierung des Mietspiegels sowieso nicht erstrecken, weshalb darüber nicht entschieden werden musste. Für alle Gemeinden, deren Mietspiegel nicht nach den Voraussetzungen des § 558d BGB qualifiziert ist, gelten die nachfolgenden Überlegungen des BGH jedoch uneingeschränkt.

DER FALL
Der Vermieter hatte eine Mieterhöhung geltend gemacht, die sich innerhalb der Spanne bewegte, die im entsprechenden Mietspiegelfeld für Alter, Wohnlage, Ausstattung und Wohnfläche der Wohnung ausgewiesen war. Das Landgericht Berlin als Berufungsinstanz hatte zur Einordnung innerhalb der Spanne ein Sachverständigengutachten zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete eingeholt und auf dieser Basis der Klage stattgegeben. Der Sachverständige hatte 13 Vergleichswohnungen herangezogen, deren Miete gemäß § 558 Abs. 2 BGB in den letzten vier Jahren (seit 1. Januar 2019: sechs Jahre) neu vereinbart oder geändert wurde. Das Berufungsgericht und der Sachverständige hatten diesen Vierjahreszeitraum ab dem Stichtag berechnet, ab dem eine ggf. erhöhte Miete geschuldet gewesen wäre, nicht ab dem zeitlich deutlich früheren Zugang des Mieterhöhungsverlangens. Hätte man den früheren Zeitpunkt zugrunde gelegt, wären zwei Vergleichswohnungen ausgeschieden, deren Miete dann erst nach Ablauf des Vierjahreszeitraums geändert wurde. Ob diese beiden Wohnungen einbezogen werden konnten oder nicht, machte rechnerisch einen kleinen Unterschied.

In der Revisionsinstanz griff die Mieterin an, dass überhaupt ein Sachverständigengutachten eingeholt wurde; das Berufungsgericht hätte sich vorher mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob der Mietspiegel qualifiziert ist, da er dann die gesetzliche Vermutungswirkung entfaltet, ein Sachverständigengutachten somit überflüssig wäre.

Dem widerspricht der BGH. Die Tatsacheninstanzen haben die Wahl, ob sie zur Beurteilung der ortsüblichen Vergleichsmiete gleich ein Sachverständigengutachten einholen, sofern von einer Partei als Beweismittel angeboten, oder ob sie zunächst Beweis über die Qualifizierung des Mietspiegels erheben und feststellen, ob dieser nach anerkannten wissenschaftlichen Grundsätzen erstellt wurde. Dies konnte im Streitfall allerdings offenbleiben, weil entgegen der Auffassung der beklagten Mieterin sich eine mögliche Qualifizierung der tabellarischen Mietspiegel immer nur auf die Tabellenfelder und die dort ausgewiesenen Spannen, nicht aber auf die Einordnung einer Wohnung innerhalb der ausgewiesenen Spanne beziehen kann.

Das Amtsgericht und das Berufungsgericht waren auch nicht verpflichtet, den Berliner Mietspiegel als einfachen Mietspiegel heranzuziehen. Dieser hat nur eine Indizwirkung, die durch jedes andere Beweismittel, z. B. eben ein Sachverständigengutachten, widerlegt werden kann. Die Tatsacheninstanzen sind auch nicht verpflichtet, eine eventuell angebotene „Orientierungshilfe“ für die Einordnung in die Spanne zu nutzen und so die ortsübliche Miete nach § 287 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) zu schätzen. Der BGH hebt zwar hervor, dass die Gerichte durchaus berechtigt sind, mittels einer Orientierungshilfe oder auch ohne eine solche die ortsübliche Miete innerhalb der Spanneneinordnung zu schätzen. Sie müssen jedoch nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob sie eine solche Schätzung vornehmen, oder ob sie die angebotenen Beweise ausschöpfen und ein vom Vermieter angebotenes Sachverständigengutachten tatsächlich einholen.

Dennoch hat der BGH die Sache an die Berufungsinstanz zurückverwiesen, weil die vom Sachverständigen herangezogenen Vergleichsmieten nicht alle innerhalb des Vierjahreszeitraums lagen und sich dann eine andere Mietberechnung ergeben hätte. Das Gericht hatte den Vierjahreszeitraum rückblickend ab dem Stichtag berechnet, ab dem die Mieterin die erhöhte Miete erstmals geschuldet hätte. Maßgeblich für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist allerdings der Zeitpunkt, in dem das Mieterhöhungsverlangen dem Mieter zugeht. Entsprechend muss auch der Vierjahreszeitraum ab dem Tag des Zugangs des Erhöhungsverlangens berechnet werden. Damit fielen zwei der 13 vom Sachverständigen herangezogenen Vergleichsmieten weg, und es ergab sich ein geringfügig anderer Mittelwert. Umgekehrt wäre es möglich, dass der Sachverständige bei einer Vorverlegung des Zeitraums Mieten herangezogen hätte, die früher geändert wurden, was ebenfalls zu einer geringfügig abweichenden Berechnung führen könnte.

Verwalter­strategie
Eine Mieterhöhung nach den üblichen tabellarischen Mietspiegeln ist nicht immer einfach, da die Einordnung in die Spanne schwierig zu begründen sein mag. Nach dieser Entscheidung können Vermieter für die Einordnung in die Spanne jedenfalls Beweis durch Sachverständigengutachten anbieten. Allerdings ist das Gericht nicht verpflichtet, diesem Beweisangebot nachzugehen und das Gutachten tatsächlich einzuholen; es könnte die Einordnung in die ausgewiesene Spanne ebenso im Rahmen einer Schätzung selbst treffen, insbesondere unter Zuhilfenahme der Orientierungshilfe der jeweiligen Gemeinde. Die Entscheidung zwischen Sachverständigengutachten einerseits und Schätzung andererseits liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Kriterien für diese Ermessensausübung gibt der BGH in dieser Entscheidung allerdings nicht. Hier könnte eventuell ein Privatsachverständigengutachten helfen. Je stärker dessen Ergebnis im Einzelfall von der Spanneneinordnung unter Zugrundelegung der Orientierungshilfe abweicht, desto eher dürfte das Gericht geneigt sein, ein gerichtliches Sachverständigengutachten einzuholen.


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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.