22.07.2022 Ausgabe: 5/22

Mietrecht: Geschäftsraummieten in der Pandemie

(BGH, Urteil vom 12.1.2022 – Az. XII ZR 8/21, Fortsetzung zu vdivaktuell 1/22, S. 31)


DAS THEMA
Die Auswirkungen der Pandemie werden die Rechtsprechung noch länger beschäf­tigen, insbesondere die Nachzahlung oder – bei unter Vorbehalt geleisteten Mieten – die Reduzierung von Mieten während der Zeit des Lockdowns von Ein­zelhandel und Gastronomie. Aufgrund der Wichtigkeit für das Wirtschaftsleben hat der Bundesgerichtshof (BGH) seine für April 2022 angekündigte Revisionsent­scheidung vorgezogen und mit Urteil vom 12. Januar 2022 eine wegweisende Ent­scheidung erlassen. Allerdings sind noch bei Weitem nicht alle Detailfragen geklärt.


DER FALL
Entscheidungsgrundlage war ein Miet­verhältnis mit dem großen Textilfilialis­ten KiK, weshalb die Entscheidung des BGH bereits „KiK-Entscheidung“ genannt wird. Der Mietvertrag war zum Zweck der „Nutzung als Verkaufs- und Lager­räume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täg­lichen Ge- und Verbrauchs“ geschlos­sen. Eine Regelung für den Notfall wie „Überschwemmungen und sonstige Kata­strophen“ schloss das Recht des Mieters zur Mietminderung oder zum Schadens­ersatz aus.

Der BGH schloss sich der von der herr­schenden Rechtsprechung und insoweit auch von der Vorinstanz, dem Oberlan­desgericht (OLG) Dresden, vertretenen Ansicht an, dass weder eine Mietminde­rung noch ein Wegfall der Mietzahlungs-pflicht wegen Unmöglichkeit gegeben ist, sondern dass eine Anpassung des Vertrags nach den Regelungen für den Wegfall der Geschäftsgrundlage erfolgen muss. Im Gegensatz zur Vorinstanz, dem OLG Dresden, das eine pauschale Anpas­sung der Miete auf 50 Prozent gewährt hatte, verlangt der BGH allerdings eine Prüfung in jedem Einzelfall und stellt hierfür die entsprechenden Kriterien auf. Im Einzelnen:

Der Kündigungsstopp für die Coronamieten in den Monaten März bis Mai 2020 nach Art. 240 § 2 Einführungs­gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) regelt nichts zur Höhe oder zur Fälligkeit dieser Mieten, sondern diente ausschließlich der Bestandssicherung der Mietverhältnisse.

Weiter bleibt der BGH bei seinem bishe­rigen Mangelbegriff: Mangel ist die für Mieter nachteilige Abweichung des tat­sächlichen Zustands der Mietsache vom vertraglich geschuldeten. Dies können sowohl tatsächliche Umstände als auch rechtliche Verhältnisse sein. Öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Gebrauchsbeschränkungen stellen nur dann einen Mangel dar, wenn sie auf der konkreten Beschaffenheit der Mietsache beruhen und ihre Ursache nicht in per­sönlichen oder betrieblichen Umstän­den des Mieters haben. Zwar kann eine Zugangsbehinderung einen Mangel dar­stellen, Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass diese mit der Lage oder der Beschaffenheit des Mietobjekts in Verbindung steht, etwa durch Baumaßnahmen in dessen Umfeld. Das Verwendungsri­siko, vor allem das, mit dem Mietob­jekt keine Gewinne erzielen zu können, trägt bei gemieteten Gewerberäumen grundsätzlich der Mieter. Die mit den Schließungsanordnungen verbundene Gebrauchsbeschränkung beruht nicht auf der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage der Mietsache, sondern knüpft an den Geschäftsbetrieb der Mieterin an, insbesondere an den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr.

Die Frage der Unmöglichkeit behan­delt der BGH nur kurz: Vermieter sind allein für die Gebrauchsgewährung an den Räumlichkeiten verantwortlich, die weiterhin auch während des Lockdowns möglich war. Unmöglichkeitsrecht ist daher nicht anwendbar.

Anwendbar bleibt dagegen der Weg­fall der Geschäftsgrundlage, den § 313 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) regelt, und zwar auch für die Zeit vor dem 30. Dezember 2020 zu dem Art. 240 § 7 EGBGB in Kraft trat. Dieser stellt nur eine gesetzliche Vermutung auf, welche die Rechtsprechung aber sowieso und auch für die Zeit davor, insbesondere für den ersten Lockdown, bejaht. Die Vorschrift sagt nichts darüber aus, ob und in wel­cher Form oder in welcher Höhe eine Vertragsanpassung erfolgen muss.

Um zu einer Anpassung des Vertrags zu kommen, müssen drei Voraussetzungen erfüllt werden:

  1. Die Umstände, die zur Grund­lage des Vertrags geworden sind, müssen sich nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben (reales Element). Das Vorlie­gen dieses realen Elements wird durch die gesetzliche Regelung des Art. 240 § 7 EGBGB zwar vermutet, ist nach Ansicht des BGH jedoch sowieso gegeben, da der erste Lockdown im Früh­jahr 2020 eine schwerwiegende Störung der großen Geschäfts­grundlage darstellte.
     
  2. Hätten die Parteien den Wegfall der Geschäftsgrundlage vorhergesehen, hätten sie den Vertrag mit anderem Inhalt abgeschlos­sen (hypothetisches Element). Das OLG Dresden sprach in der Vorentscheidung insoweit von „redlichen Vertragsparteien“.
     
  3. Sind die beiden vorstehenden Voraussetzungen erfüllt, kann eine Vertragsanpassung insoweit ver­langt werden, als einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Vorran­gig zu berücksichtigen ist dabei die vertragliche Risikoverteilung. Die Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum geht über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Sie beruht ins­besondere nicht auf dessen unter­nehmerischen Entscheidungen oder enttäuschten Vorstellungen, sondern ist Folge umfangreicher staatlicher Eingriffe. Diese knüpf­ten weder an spezifische Eigen­schaften des Gewerbebetriebs noch an solche des Mietobjekts an, sondern waren rein epidemio­logisch gesteuert. Das damit ver­bundene Risiko kann keiner der Parteien allein zugewiesen werden.

Eine pauschale Betrachtungsweise und 50:50-Verteilung dieses Risikos, wie das OLG Dresden dies in der Vorent­scheidung vorgenommen hatte, wird dem jedoch nicht gerecht. Der BGH stellt folgende einzelnen Kriterien für die Abwägung auf: Bei der Betrachtung von Umsatzverlust und Kompensations­maßnahmen ist nur auf das konkrete Mietobjekt, nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen. In einem Nebensatz erwähnt der BGH, dass nur die Zeiträume der Schließung zu betrach­ten sind. Zu berücksichtigen sind Kompensationsmaßnahmen, die der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um drohende Verluste währenddessen zu verhindern, beispielsweise Online-Handel oder Take-away bei Gaststätten. Finanzi­elle Vorteile aus staatlichen Leistungen sind zu berücksichtigen, da die Anpassung nach dem Wegfall der Geschäftsgrund­lage sonst zu einer Überkompensierung führen könnte. Nicht zu berücksichtigen sind jedoch staatliche Darlehen. Auch erwähnt der BGH Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung, die allerdings nach dem kurz darauf veröf­fentlichten BGH-Urteil vom 26. Januar 2022 (Az. IV ZR 144/21) in der Regel nicht einstandspflichtig ist. Schließlich erwähnt der BGH noch, dass die Miet­zinszahlung im ersten Lockdown mögli­cherweise nicht unzumutbar erscheint, wenn alle anderen Mieten während des gesamten Jahres 2020 weiterhin pünkt­lich und in voller Höhe gezahlt wurden.

Zur Beweislast äußert sich der BGH in diesem Urteil und in mehreren Entschei­dungen, die die Art des Vorgehens beim Urkundenverfahren betreffen, ganz klar dahingehend, dass Mieter beweispflichtig sind für das Vorliegen aller vorstehenden Voraussetzungen. Da eine Abwägung im Einzelfall angestellt werden muss und sich die von der Vorinstanz vorgenommene Pauschalierung verbietet, hat der BGH konsequenterweise an das OLG Dresden zurückverwiesen.


VERWALTERSTRATEGIE
In der Praxis hat diese BGH-Entscheidung dazu geführt, dass viele Mietparteien leichter zu einer gütlichen Einigung gefunden haben. Insbesondere wurde Mietern bewusst, dass sie entweder umfassende Nachweise für die erlittenen Verluste führen müssen oder nur stark verringerte Anpassungen erwarten können. Die Position mancher Vermieter, wonach der Wegfall der Geschäftsgrundlage wegen der Regelung zum Kündigungsstopp (Art. 240 § 2 EGBGB vom März 2020) nicht mehr anwendbar sei oder die Einführung des Art. 240 § 7 EGBGB (Vermutung des realen Elements) zum 30. Dezember 2020 dieses für den ersten Lockdown jedenfalls ausschließt, ist nach dieser Entscheidung ebenfalls nicht mehr haltbar. Allerdings bleiben einige Fragen offen, mit denen sich die Rechtsprechung in allernächster Zeit noch intensiv beschäftigen müssen wird. So ist möglicherweise schon das hypothetische Element des Wegfalls der Geschäftsgrundlage, wonach redliche Parteien eine Vertragsanpassung vorgesehen hätten, nicht immer gegeben. Im Vermietermarkt der Premiumflächen hätten die Parteien möglicherweise auch dieses Risiko einseitig den Mietern auferlegt. Kompensationsmaßnahmen, die Mieter hätten ergreifen können, hätten möglicherweise eine Änderung des Mietzwecks und die Zustimmung des Vermieters vorausgesetzt – inwieweit aber ist der dazu verpflichtet?

Betrachtet man schließlich lediglich die Zeiträume der Schließungsanordnungen, bleiben einerseits sowohl Nachholeffekte, andererseits auch Anlaufschwierigkeiten und weitere Einschränkungen wie Zutrittsbegrenzungen, 3G-, 2G- und Maskenpflicht von der Abwägung ausgeschlossen. Diese offenen Fragen müssen entweder die Parteien im Verhandlungswege bewerten, oder sie werden die Rechtsprechung in nächster Zeit noch beschäftigen.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com