19.04.2024 Ausgabe: 3/24

Mietrecht: Vertragsfortsetzung auf unbestimmte Zeit nur bei marktüblicher Neuvermietungsmiete zumutbar

(AG Köln, Urteil vom 11.12.2023 – Az. 203 C 73/23)

Das Thema 

Oftmals sehen sich Vermieter, die einem Mieter wegen Eigenbedarfs gekündigt haben, mit dem Einwand von Härtegründen konfrontiert. Wiegen die diese Härtegründe begründenden Mieterinteressen derart schwer, dass ein Auszug aus der streitgegenständlichen Wohnung für den Mieter mit nicht absehbaren und schweren Gesundheits­gefährdungen einhergeht, kann das erkennende Gericht nach einer Interessenabwägung die Fortsetzung des Mietverhältnisses im Extremfall auf unbestimmte Zeit nach § 574a Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 308a Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) anordnen. Dies – so das Landgericht (LG) Berlin – ist dem Vermieter jedoch nur zuzumuten, wenn die vom Mieter entrichtete Miete der marktüblichen Neuvermietungsmiete entspricht. Unterschreitet die bisherige Miete die marktübliche Neuvermietungshöhe, hat das Gericht eine entsprechend erhöhte Miete anzuordnen.

Der Fall

Der Kläger ist Eigentümer einer vermieteten Wohnung, die er künftig selbst nutzen möchte. Gestützt auf eine Eigenbedarfskündigung begehrt er von dem beklagten Mieter die Räumung und Herausgabe der Mietsache. Den Eigenbedarf begründet er mit dem Umstand, dass er nach der Trennung von der Mutter seines minderjährigen Sohnes räumlich näher an dessen Kindertagesstätte leben wolle. Der beklagte Mieter widerspricht der Kündigung und macht schwere psychische Erkrankungen als Härtegründe geltend.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, dies jedoch ohne Erfolg.

Das Landgericht stellt fest, dass ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe des streitgegenständlichen Mietobjekts gemäß §§ 546 Abs. 1, 985 BGB zugunsten des klagenden Vermieters nicht gegeben ist.

Zwar liegen die Voraussetzungen des Eigenbedarfs als Kündigungsgrund gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB vor, insbesondere ist der Kläger hinsichtlich des behaupteten Nutzungswunsches seiner Darlegungs- und Beweislast hinreichend nachgekommen. Das Ergebnis der zweitinstanzlichen Beweiserhebung zeigt jedoch, dass ein Auszug aus der streitgegenständlichen Wohnung bei dem Beklagten aufgrund seiner psychischen Vorerkrankungen – posttraumatische Belastungsstörung, rezidivierende depressive Störung, Agoraphobie mit Panikstörung sowie ängstlich vermeidende Persönlichkeitsstörung – zur erheblichen Ver­schlechterung seines Gesundheitszustandes führen würde.

Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung, bei der zwischen der Wahrscheinlichkeit der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Beklagten und dem Er-langungsinteresse des Klägers abzuwägen ist, überwiege das Interesse des Beklagten am Verbleib in der Mietsache. Nur so seien angesichts der nicht verlässlichen Prognose der Erfolgsaussichten einer Behandlung und der Möglich­keit eines chronischen Verlaufs die gesundheitlichen Interessen des Beklagten zu wahren.

Besteht Ungewissheit, ob und wenn ja, zu welchem Zeitpunkt die Umstände entfallen, die eine besondere Härte begründen, kann das Gericht in Ausübung seines tatrichterlichen Er­messens gemäß § 547a Abs. 2 S. 2 BGB die Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit bestimmen.

Maßgeblich für die Entscheidung des Gerichts anzu­ordnen, dass das Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit und nicht lediglich befristet fortzusetzen ist, war die nicht mit Sicherheit beherrschbare Gefahr der Verschlechterung des Gesundheitszustands des Beklagten; ein Zeitpunkt, zu dem das Erlangungsinteresse des Klägers den gesundheitlichen Interessen des Beklagten überwogen hätte, konnte nicht bestimmt werden.

Auch sind die Interessen des Klägers durch das Gesetz dahingehend ausreichend gewahrt, dass ihm einer­seits bei einer nachträglichen wesentlichen Änderung der tatsächlichen Umstände eine erneute Kündigung möglich ist und dass der Beklagte die Fortsetzung des Mietverhältnisses gemäß § 574a Abs. 2 S. 1 BGB nur unter einer angemessenen Änderung der Vertragsbedingungen verlangen kann. Angemessen sind nur solche Bedingungen, wie sie grundsätzlich bei vergleichbaren Mietverhältnissen üblich sind – insbesondere hinsichtlich der vom Gericht erforderlichenfalls zu schätzenden ortsüblichen Neuver-mietungsmiete. Eine Fortsetzung des Mietverhältnisses auf unbestimmte Zeit zu den bisherigen Bedingungen war dem Kläger nicht zumutbar; das Gericht hat die Nettokaltmiete auf eine marktübliche Höhe angepasst.


VERWALTERSTRATEGIE
Der Argumentation des Landgerichts ist zuzustimmen. Hat der Vermieter aufgrund nachvollziehbarer und vom Gesetz anerkannter Gründe den Wunsch, sein Eigentum selbst zu nutzen, stehen dem jedoch Härtegründe seines Mieters entgegen, ordnet das Gericht in der Regel die befristete Fortsetzung des Mietverhältnisses an.

In Ausnahmefällen kann die für den Vermieter unbefriedigende Situation entstehen, dass das Mietverhältnis aufgrund richterlicher Anordnung auf unbestimmte Zeit fortzusetzen ist. Dies ist dem Vermieter nur unter geänderten und marktüblichen Vertrags­bedingungen zumutbar. Ob die Fortsetzung dem Vermieter unzumutbar ist, ist eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der jeweils konkreten Umstände und der widerstreitenden Interessen sowohl auf Vermieter- als auch auf Mieterseite.

Die Anordnung und Vertragsänderung erfolgt durch Gestaltungsurteil und bedarf grundsätzlich keines entsprechenden Antrags des Vermieters, auch wenn ihm zu einem solchen angesichts des erheblichen Kostenrisikos zumindest höchstvorsorglich zu raten ist.

Bordt, Franziska

Rechtsanwältin; Kanzlei Bub Memminger & Partner, München