19.05.2021 Ausgabe: 3/21

Neuer Handlungsspielraum - Ein Urteil des EuGH ermöglicht Eigentümergemeinschaften den Vorsteuerabzug bei Heizungsanschaffung und -instandhaltung.

Die Lieferung von Wärme durch eine Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) an die Mitglieder dieser Gemeinschaft ist nicht von der Mehrwertsteuer befreit. So urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 17. Dezember 2020 in der Rechtssache  C-449/19. Darum ging es:

Im Jahr 2012 errichtete die WEG Tevesstraße ein Blockheizkraftwerk (BHKW). Im weiteren Verlauf wurden in den Umsatzsteuervoranmeldungen für März bis September 2012 die gesamten Vorsteuerbeträge aus den Anschaffungs- und Unterhaltskosten des BHKW bei der Finanzverwaltung geltend gemacht. Daraufhin führte diese eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der WEG Tevesstraße durch und reduzierte den Vorsteuerabzug auf 28 Prozent, da ihrer Ansicht nach die Lieferung von Wärme und Warmwasser gemäß § 4 Nr. 13 Umsatzsteuergesetz (UStG) von der Umsatzsteuer befreit sei und deshalb nicht dem Vorsteuerabzug unterliege. Bereits im Einspruchsverfahren haben wir umfassend dargelegt, dass nach unserer Rechtsauffassung § 4 Nr. 13 UStG keine Grundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie habe und somit europarechtswidrig sei. In der Einspruchsentscheidung des Finanzamtes blieben alle von uns vorgetragenen rechtlichen Ausführungen unbeachtet, und der Einspruch wurde als zwar zulässig, aber nicht begründet zurückgewiesen. Die WEG hat daraufhin mehrheitlich beschlossen, dass Klage beim Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, eingelegt werden soll.

Der Verfahrensverlauf
Im Dezember 2016 wurde beim Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, die Klage gegen das Finanzamt eingereicht. Hier wurde umfassend dargelegt, dass nach unserer Rechtsauffassung und nach der Auffassung verschiedener Kommentatoren § 4 Nr. 13 UStG nicht europarechtskonform sei, da eine entsprechende Ermächtigungsvorschrift in den Mehrwertsteuersystemrichtlinien nicht vorhanden ist. Nach dem Austausch zahlreicher Schriftsätze und Versuchen, eine tatsächliche außergerichtliche Verständigung mit dem Finanzamt zu erzielen, die jedoch alle scheiterten, fand im September 2018 die Verhandlung vor dem Finanzgericht Baden-Württemberg, Außensenate Freiburg, statt. In einem umfassenden Plädoyer haben wir noch einmal dargelegt, dass nach unserer Rechtsauffassung §4 Nr. 13 UStG nicht mit dem europäischen Recht vereinbar ist. Daraufhin wurde die Verhandlung unterbrochen, anschließend fortgesetzt und folgender Beschluss durch den vorsitzenden Richter Prof. Dr. Manfred Muhler verkündet: „Das Verfahren wird ausgesetzt. Zur Klärung der Frage, ob § 4 Nr. 13 UStG mit europäischem Recht vereinbar ist, wird die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt.“

Sowohl die Bundesrepublik Deutschland als auch die Europäische Union wurden vom EuGH aufgefordert, zu den aufgeworfenen Rechtsfragen umfassend Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme der Bundesrepublik Deutschland führte zu Widersprüchlichkeiten in der bis dato vorgenommenen steuerrechtlichen Behandlung, da sie die Unternehmereigenschaft einer WEG und ihre wirtschaftliche Tätigkeit infrage stellt. Mit diesen Ausführungen wurden selbst von der Bundesrepublik Zweifel an § 4 Nr. 13 UStG ersichtlich. Wäre nach Ansicht des Gesetzgebers von Anfang an die Unternehmereigenschaft und die wirtschaftliche Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt gegeben gewesen, hätte es des § 4 Nr. 13 UStG nie bedurft. Eine Steuerbefreiung ist nämlich nur dann notwendig, wenn man im Vorfeld zu der Rechtsauffassung kommt, dass die Unternehmereigenschaft erfüllt, die wirtschaftliche Tätigkeit damit bejaht wird, und deshalb steuerpflichtige Lieferungen und Leistungen generiert werden. Im Schlussantrag hob der Generalanwalt hervor, die Richtlinie 2006/112 sei dahingehend auszulegen, dass sie den Vorschriften des nationalen Rechts entgegenstehe, soweit in der Gegenleistung, die die WEG für die Lieferung von Wärme erhält, zur Gänze oder teilweise die Lieferung von Wärme für im Sondereigentum stehende Teile des Grundstücks Berücksichtigung findet. Damit war bereits ein Grundstein für das Urteil des EuGH gelegt.

Das Urteil des EuGH vom 17. Dezember 2020 erkennt wie folgt für Recht: Art. 135 Abs. 1 lit. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2009/162/EU des Rates vom 22. Dezember 2009 geänderten Fassung ist dahingehend auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Lieferung von Wärme durch eine WEG an die Eigentümer, die Mitglieder dieser Gemeinschaft sind, von der Mehrwertsteuer befreit ist.

Damit ist durch den EuGH klargestellt, dass die Lieferung von Wärme und ähnlichen Gegenständen nicht von der Umsatzsteuer befreit ist. Somit unterliegen diese Lieferungen dem Regelsteuersatz von derzeit 19 Prozent, sofern bei sehr kleinen WEG nicht die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG gewählt werden kann.

Empfehlungen zur praktischen Umsetzung
Nach der Veröffentlichung der Pressemitteilung des EuGH zum Urteil in Luxemburg herrschte teils die irrige Meinung vor, dass dieses Urteil nur auf Wohnungseigentümergemeinschaften anzuwenden sei, die ein BHKW betreiben. Eine diesbezügliche Einschränkung geht aus dem Urteil nicht hervor. Vielmehr ist es so, dass alle Eigentümergemeinschaften, die eine Heizung betreiben und Wärme und Warmwasser an die Eigentümer liefern, von diesem Urteil betroffen sind. In vielen Fällen werden sich zwar die abzuführende Umsatzsteuer und die abzugsfähige Vorsteuer gegenseitig eliminieren und zu einer Umsatzsteuerzahllast von null Euro oder marginalen Beträgen führen, jedoch ergibt sich eine ganz andere Sichtweise, wenn in einem Kalenderjahr Kosten für größere Anschaffungen bzw. die Herstellung von Heizungsanlagen und ihre Instandhaltung angefallen sind. In solchen Fallkonstellationen ist die Umsatzsteuer aus Eingangsumsätzen als Vorsteuer abzugsfähig und führt zu teils erheblichen Erstattungsbeträgen durch die Finanzverwaltung.

Für kleinere Wohnungseigentümergemeinschaften kann gegebenenfalls ein Wahlrecht ausgeübt werden, indem die Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG gewählt wird. Da hier die jährlichen Umsatzgrenzen von 17.500 Euro und ab 1. Januar 2020 in Höhe von 22.000 Euro zu beachten sind, werden nur wenige WEG in diese Größenordnung einzuordnen sein. Die Anwendung oder die Wahl der Regelbesteuerung hat nicht nur die Auslösung von derzeit 19 Prozent Umsatzsteuer zur Folge, sondern berechtigt Eigentümergemeinschaften gemäß § 15 UStG auch zum Vorsteuerabzug aus diesen Eingangsumsätzen. In diesem Zusammenhang wird sich für viele Verwaltungsunternehmen die Frage stellen, ob für Heizungssanierungen der letzten Jahre ein Vorsteuerabzug noch nachgeholt werden kann und ob dies auch wirtschaftlich sinnvoll ist. Steuerrechtlich betrachtet können diese abzugsfähigen Vorsteuerbeträge unter Berücksichtigung der sogenannten Festsetzungsverjährung und des Berichtigungszeitraums nach § 15a UStG bei der Finanzverwaltung noch geltend gemacht werden. Wir empfehlen im Einzelfall eine steuerrechtliche und betriebswirtschaftliche Beratung einzuholen, da es sehr unterschiedliche Fallgestaltungen gibt, die in diesem Artikel nicht allumfassend dargestellt werden können.

Beispiel Erneuerung der Heizungsanlage
Eine WEG plant die Erneuerung einer Heizungsanlage zur Eigenversorgung. Nach Beschlussfassung erfolgt die Investition in Höhe von 100.000 Euro zuzüglich 19.000 Euro Umsatzsteuer.

Nach der bisherigen Rechtslage ist die Lieferung von Wärme der WEG an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer von der Umsatzsteuer befreit (§ 4 Nr. 13 UStG). Aufgrund dessen ist der Vorsteuerabzug von 19.000 Euro nicht möglich. Das UStG schließt einen Vorsteuerabzug aus, soweit von der Umsatzsteuer befreite Ausgangsumsätze vorliegen.

Mit Wegfall des § 4 Nr. 13 UStG erbringt die WEG in der Wärmelieferung an die Wohnungseigentümer und Teileigentümer nun umsatzsteuerpflichtige Lieferungen. Folglich steht ihr aus der Investition grundsätzlich der volle Vorsteuerabzug zu, in diesem Fall 19.000 Euro. Als Konsequenz daraus hat die WEG nun einen Finanzierungsbedarf in Höhe von nur noch 100.000 Euro statt 119.000 Euro. Die Zahlungen für Wärme an die WEG unterliegen jedoch der Umsatzsteuer von 19 Prozent.


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Reutlinger, Alois

Alois Reutlinger ist seit 1990 selbstständiger Steuerberater und Geschäftsführer der A. Reutlinger Steuerberatungsgesellschaft im baden-württembergischen Rosenfeld. Davor war er im Bereich Außenprüfung beim Finanzamt Balingen tätig. www.steuerberater-reutlinger.de