21.07.2023 Ausgabe: 5/23

Neues zum Arbeitszeitgesetz

Nach der BAG-Entscheidung zur Erfassung von Arbeitszeiten macht das Bundesarbeitsministerium erste Schritte zur Umsetzung.

Relativ überraschend hat das Bundesarbeits­gericht (BAG) am 13. September 2022 ent­schieden, dass schon jetzt eine gesetzliche Verpflichtung zur Aufzeichnung der gesamten Arbeitszeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern besteht. Diese Entscheidung war nicht unbedingt zu erwarten, da es in dem zugrunde liegenden Sach­verhalt gar nicht um eine allgemeine Verpflichtung von Arbeitgebern zur Erfassung der Arbeitszeit ihres Personals ging, sondern darum, wie weit die Mitbe­stimmungsrechte eines Betriebsrats reichen. So oder so, das BAG hat geurteilt, dass sich diese Verpflich­tung aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) ergibt. Dort ist geregelt, dass Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen haben, um notwendige Arbeitsschutzmaßnahmen umzusetzen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung bedeutet dies auch die arbeitgeberseitige Verpflichtung, die Arbeitszeiten der Belegschaft zu erfassen.

Der Gesetzgeber sah sich nun nach jahrelanger Untätigkeit – es gab bereits im Jahr 2019 dies statuierendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) – zum Handeln gezwun­gen. Am 18. April 2023 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nun einen ersten Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes und anderer Vorschriften (RefE-ArbZG) vorgelegt, mit dem erstmals gesetzliche Vor­gaben im Hinblick auf die Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit geschaffen werden sollen.

Pflicht zur Aufzeichnung der Arbeitszeit

Die wesentliche Umsetzung des Urteils des BAG wird nach dem RefE-ArbZG in dessen § 16 erfolgen. Nach § 16 Abs. 2 RefE-ArbZG werden Arbeitgeber ausdrücklich verpflichtet sein, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Der RefE-ArbZG legt nicht ausdrücklich fest, ob auch die Lage und/ oder Dauer der Pausenzeiten aufzuzeichnen sind. Wir gehen eher davon aus, dass dies nicht der Fall sein wird, sondern die Aufzeichnungspflicht entsprechend dem Gesetzeswortlaut lediglich drei Werte umfasst: Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie deren Dauer. Hierdurch entsteht zwar eine gewisse Unschärfe, was jedoch unter arbeitsschutzrechtlichen Gesichtspunkten als sinnvoller Kompromiss erscheint, weil eine minutengenaue Erfas­sung aller Unterbrechungen im Arbeitsalltag nur schwer zu gewährleisten wäre.

Ein Problem bleibt jedoch ungelöst: Bislang fehlt es insbesondere in Grenzfällen an einer allgemein an­erkannten Vorstellung, was genau unter „Arbeitszeit“ zu verstehen ist. Kontrovers diskutiert wird etwa, ob Zeiten, die ein Arbeitnehmer außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit auf Dienstreisen verbringt, überhaupt und in welchem Umfang als Arbeitszeit zu qualifizieren sind. Probleme bereiten auch Zeiten der Rufbereitschaft, in der ein Arbeitnehmer teilweise über Stunden hinweg keine Arbeitsleistung zu erbringen hat, aber jederzeit „Gewehr bei Fuß“ stehen muss. Ungeklärt ist weiter, wie mit kurzzeitigen Unterbrechungen der Arbeitszeit, aber auch der Ruhezeit umzugehen ist. Unterbricht eine kurzzeitige private Tätigkeit die Arbeitszeit? Ist es als Arbeitszeit zu zählen, wenn ein Arbeitnehmer nach Dienstschluss eine beruflich veranlasste E-Mail verfasst? Hier bleiben viele Fragen offen, auf die der RefE-ArbZG keine Antwort findet.

Erfassung in elektronischer Form

Die Aufzeichnung der Arbeitszeit muss nach dem RefE-ArbZG jeweils am Tag der Arbeitsleistung und in elektro­nischer (digitaler) Form erfolgen. Konkrete Anforderungen an die Art und Weise der elektronischen Erfassung werden nicht gestellt. Am Markt haben sich bereits verschiede­ne Modelle etabliert (z. B. Zeiterfassungsprogramme, Apps) – allerdings dürfte auch eine „profane“ Excel-Tabelle für die Vorgabe „elektronische Form“ ausreichen. Diese elektronische Aufzeichnung muss u. E. noch nicht ein­mal manipulationssicher sein, denn mit § 6 des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleisch­wirtschaft hat der Gesetzgeber bereits in diesem Sektor ausdrücklich eine elektronische und manipulationssichere Arbeitszeitaufzeichnung angeordnet. Würde er dies nun auch allgemein wollen, hätte er dies im RefE-ArbZG eben­so ausdrücklich regeln müssen.

Es ist nicht notwendig, die Zeiten automatisch erfassen zu lassen; die händische Eintragung in das elektronische System genügt. Durch Regelung in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung (sog. Tariföffnungsklausel) kann anstelle der elektronischen auch eine andere Form der Aufzeichnung bzw. eine längere Frist für die Aufzeich­nung (bis zu sieben Kalendertage) vereinbart werden.

Für Unternehmen mit weniger als 250 bzw. weniger als 50 Mitarbeitern soll für die Einrichtung eines elek­tronischen Erfassungssystems eine Übergangsfrist von zwei bzw. fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes gelten. Nachweise über aufgezeichnete Arbeitszeiten sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Arbeit­geber müssen Arbeitnehmer auf Verlangen über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren, wobei auch die Möglichkeit besteht, diese Vorgaben durch die Ein­räumung einer eigenständigen Einsichtnahme in die elektronischen Aufzeichnungen sowie die Anfertigung von Kopien zu erfüllen.

Sind leitende Angestellte auch betroffen?

Ob auch Zeiten von leitenden Angestellten erfasst werden müssen oder nicht, war nach der Entscheidung des BAG in der einschlägigen Fachpresse umstritten. Diese Frage dürfte in Anbetracht dessen, dass der Gesetzgeber sich nun offensichtlich zur Umsetzung der Aufzeichnungs­pflicht im ArbZG entschieden hat, dieses aber auf leitende Angestellte keine Anwendung findet (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 ArbZG), dahingehend zu beantworten sein, dass Arbeits­zeiten leitender Angestellter nicht erfasst werden müssen.

Auch weitere Arbeitnehmergruppen, z. B. Führungskräfte und „herausgehobene Experten,“ sollen von der Arbeitszeit­erfassung ausgenommen werden können, allerdings nur durch Regelung in einem Tarifvertrag oder aufgrund ei­nes Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung.

Vertrauensarbeitszeit weiterhin möglich

Das vielbeschworene Ende der Vertrauensarbeitszeit soll nach dem Willen des Gesetzgebers nicht kommen. Denn nach § 16 Abs. 3 RefE-ArbZG kann die Pflicht zur Auf­zeichnung der Arbeitszeit vom Arbeitgeber auf den Ar­beitnehmer übertragen werden. Weiter sieht § 16 Abs. 4 RefE-ArbZG die Möglichkeit des Verzichts des Arbeit­gebers auf die Kontrolle der Einhaltung arbeitsvertrag­licher Arbeitszeit ausdrücklich vor. Allerdings haben Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen sicherzu­stellen, dass ihnen Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Bei der Frage, wie und womit genau solche Verstöße ermittelt werden sollen, bleibt der Referentenentwurf vage. In der Begründung heißt es lediglich, dass etwa ein Erfassungssystem eingesetzt werden kann, dass Arbeitnehmern im Falle eines Verstoßes automatische Warnmeldungen über­mittelt. Ob dies ausreichend ist oder weitergehende Maßnahmen erforderlich werden, ist noch nicht ge­klärt. Im Übrigen käme auch ein System in Betracht, das derartige Verstöße gleich unterbindet, z. B. durch Sperrung des Log-ins nach Dienstschluss.

Bußgeld bei Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflicht

Wer als Arbeitgeber vorsätzlich oder fahrlässig Aufzeich­nungen der Arbeitszeit nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellt, handelt künftig ordnungswidrig und muss sich auf eine Geldbuße von bis zu 30.000 Euro einstellen (§ 22 Abs. 2 RefE-ArbZG).

Fazit zum Referentenentwurf

Wie zu Beginn dieses Artikels schon angedeutet, hat sich um die geplante Änderung des Arbeits­zeitgesetzes eine rege inner- und außerparlamentarische Debatte entwickelt. Den einen geht schon der RefE-ArbZG zu weit, andere vertreten, dass es bei den vor­geschlagenen Änderungen und Ergänzungen nicht bleiben kön­ne, wolle man eine „zeitgemäße“ Gestaltung der Arbeitswelt er­reichen. Fest steht, dass mit dem Referenten ent wurf – sollte er so oder so ähnlich tatsächlich um­gesetzt werden – die im Koali­tionsvertrag angesichts der immer flexibler werdenden Arbeitswelt angestrebte Reform des Arbeitszeitrechts im Ganzen nicht erreicht wird und lediglich die (Minimal-) Vorgaben des BAG und des EuGH umgesetzt werden. Die große Reform des ArbZG bleibt aus.

So sollen die relativ strengen Vorgaben hinsichtlich werktäglicher Höchstarbeitszeit, Pausen- und Ruhezeiten nach dem Willen des BMAS völlig unverändert bleiben, obwohl die EU-Arbeitszeitrichtlinie die Einführung einer wöchentlichen anstelle der bisher für jeden einzelnen Arbeitstag geltenden Höchstarbeitszeit durchaus ge­statten würde.

Bislang handelt es sich nur um einen ersten Entwurf, bei dem zu bezweifeln ist, ob er vom Gesetzgeber tatsächlich so beschlossen wird. Wie auch immer das Arbeitszeit­gesetz künftig aussehen mag, an der Rechtsprechung des EuGH und des BAG führt kein Weg vorbei. Die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit wird kommen. Arbeitge­ber sollten sich darauf einstellen und die notwendigen Voraussetzungen schaffen.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de