04.03.2014 Ausgabe: 2/2014

Nur im Idealfall eine Gemeinschaft

Zu Leitung und Konfliktmanagement in Eigentümerversammlungen

Im „Praxisratgeber Wohnungseigentumsrecht“ überschreibt Autor Dr. Kurt Klassen (Bundesanzeigerverlag, Erste Auflage 2013) ein Kapitel mit dem Titel „Der Idealfall: Eine Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“. Zutreffend führt er hier aus, dass man es im Wohnungseigentum mit Menschen des gesamten sozialen Spektrums der Bevölkerung, mit völlig unterschiedlichen Interessen und Mentalitäten zu tun hat. Gerade in Eigentümerversammlungen verlangt dies viel psychologisches Einfühlungsvermögen (VI. Rn. 20).

Diese These können wohl die meisten Verwalter bestätigen. Bei Eigentümerversammlungen treffen sie nicht selten auf Teilnehmer, die das als Bühne für ihren Auftritt, Stammtischveranstaltung oder Forum verstehen, um den Verwalter vorzuführen. Vielfach wurde in Gesprächen meine Überzeugung bestätigt, dass Rechtsstreitigkeiten im Wohnungseigentum häufig ihren Kern in den mangelnden kommunikativen Fähigkeiten der Beteiligten haben. „Wir sehen uns vor Gericht“ ist Killerphrase und zugleich Schlusspunkt bei Streitigkeiten zwischen Verwalter und Wohnungseigentümern in der Versammlung. Den Luxus, mit Wohnungseigentümern uneins zu sein, konnte man sich früher erlauben. Seit Einführung des § 49 Abs. 2 WEG ist die liberale Haltung zum Konfliktmanagement zu überdenken. Denn in Anfechtungsverfahren droht Verwaltern die Auferlegung der Kosten, wenn sie die Tätigkeit des Gerichts durch grobes Verschulden veranlasst haben. Aber nicht nur der „Worst Case“ sollte die Sensibilität fürs Konfliktmanagement wecken. Der gekonnte Umgang mit den Instrumentarien der Kommunikation wirkt nicht nur auf den Verwalter entspannend, sondern auch auf Versammlungsteilnehmer.

Die komplexe Rolle des Verwalters

Gängige Theorien gehen bei der Konfliktdefinition von einer angespannten Situation zwischen zwei Personen aus und setzen vielfach ein hierarchisches Verhältnis zwischen ihnen voraus. In Wohnungseigentümerversammlungen gestaltet sich dies allerdings deutlich komplexer: Verwalter sind als Versammlungsleiter dafür verantwortlich, die Tagesordnung Punkt für Punkt abzuhandeln und dafür zu sorgen, dass Wortbeiträge der Wohnungseigentümer koordiniert und zielgerichtet zur Entscheidung in Form des Beschlusses führen. Insofern ist er zugleich Moderator und Akteur, der in dieser Doppelfunktion auch mit der Bildung von Meinungsgruppen konfrontiert wird. Er muss also nicht nur mit einer Person, sondern mit Gruppen kommunizieren, die ihre Auffassungen meist nicht über einen Sprecher vertreten. Streitigkeiten der Wohnungseigentümer untereinander, Meinungsverschiedenheiten über die Tätigkeit des Verwalters, unsachliche Angriffe, Beleidigungen und Beschimpfungen kommen so häufig als ungeschriebene Tops zusätzlich auf die Agenda, was die ordentliche Leitung der Versammlung aus Sicht des Verwalters zur „Mission Impossible“ macht. Unter Beachtung einiger weniger Grundregeln lässt sich aber auch eine konfliktgeladene Versammlung zum positiven Ende führen.

Konflikte rechtzeitig erkennen

Ein Konflikt liegt vor, wenn mindestens ein Akteur Unvereinbarkeit mit anderen wahrnimmt. Schon der Begriff „wahrnehmen“ macht deutlich, dass nicht jeder eine Konfliktsituation in gleicher Weise erkennt und einschätzt. Es hilft, ein Bewusstsein für die eigene Konfliktsensibilität zu entwickeln, um sie bei anderen zu erkennen: Wann empfindet man innere Anspannung, Unbehagen, Unlust, mangelnden Antrieb, Unsicherheit oder wird überempfindlich? Wann verfällt man in Schweigen, zeigt Stimmungsschwankungen, geht anderen aus dem Weg, wird misstrauisch oder reagiert aggressiv?

In der Selbstanalyse führt die Beantwortung dieser Fragen dazu, kritische Situationen rechtzeitig zu erkennen und durch entsprechendes Verhalten zu entschärfen – und zwar mit recht einfachen Mitteln. Ein wesentlicher Faktor ist das so genannte aktive Zuhören. Es beinhaltet, Akteure nicht zu unterbrechen, durch Gestik und Mimik Interesse zu zeigen, bei Unklarheiten nachzufragen und wesentliche Aussagen zu wiederholen. Die Entwicklung einer zielführenden Fragetechnik ist dabei das A und O. Wer Fragen stellt, spricht selbst weniger und hört besser zu. Die eigene Meinung tritt dabei zunächst in den Hintergrund, was dem Gegenüber Gelegenheit gibt, zu sagen, was zu sagen ist, ohne durch Einwürfe mit Konfliktpotenzial unterbrochen zu werden. Häufig lösen sich Konflikte schon, indem ein Akteur sich etwas frei von der Seele reden kann. Für den Verwalter wird hier gute Rhetorik zum schlichtenden Instrument. Fragen und die zusammenfassende Wiederholung wesentlicher Aussagen können konfliktgeladene Situationen beruhigen, wenn sie langsam, deutlich und sachlich, in kurzen, verständlich formulierten Sätzen vorgebracht werden. Es empfiehlt sich den Blickkontakt zu den Anwesenden zu halten und – auch wenn es schwer fällt – freundlich zu lächeln. Killerphrasen wie „Unsinn, Quatsch, das kann doch nichts werden“ sind an dieser Stelle strikt zu vermeiden. Auch langatmige Diskussionen und Streitigkeiten mit einzelnen Teilnehmern bringen nichts. Der Unterhaltungswert für die anderen ist begrenzt, und es besteht die Gefahr, dass sich Miteigentümer solidarisieren, was Verwalter der klassischen Konfrontation aussetzt. Ein probates Mittel, das in der Praxis selten Anwendung findet, ist die Übertragung der Versammlungsleitung für einzelne Punkte auf einen Eigentümer. Die Kommunikation und Konfliktlösung erfolgt dann ohne Zutun des Verwalters, und Probleme werden ausschließlich unter den Eigentümern diskutiert. Entscheidend ist, ein Gespür dafür zu entwickeln, wann die Leitung wieder zu übernehmen ist, um Einigung zu erzielen.

Deeskalation als Königsdisziplin

Der Umgang mit unsachlicher Kritik gehört für Verwalter zur Königsdisziplin. So verführerisch es sein mag, einen Streit gewinnen zu wollen – es gibt dabei stets einen Verlierer. Je sachlicher man auf unsachliche Anwürfe reagiert, desto schneller verlieren Angreifer die Lust an der Attacke. Eine gute Wahl also, um bei aufkommenden Aggressionen zu deeskalieren.

Im Rahmen dieser Abhandlung können natürlich nur einzelne praxisrelevante Aspekte beleuchtet werden. Zu begrüßen ist es aber, dass bereits Verbände und Seminaranbieter das Konfliktmanagement im Wohnungseigentum zum Gegenstand sinnvoller Fortbildungsangebote machen. Verwalter sollten dies nutzen. Der Gewinn für die tägliche Praxis ist immens und führt dazu, dass Wohnungseigentümerversammlungen nicht als notwendiges Übel, sondern als angenehm, informativ und Konsens bildend wahrgenommen werden.

Foto:  © Camillo Torres / Shutterstock.com


Volpp, Stephan

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Justiziar des VDIV Baden-Württemberg. Volpp ist Dozent bei der Akademie der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Baden-Württemberg und Mitglied des Prüfungsausschuss ­Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht bei der Rechtsanwaltskammer Stuttgart.