29.10.2021 Ausgabe: 7/21

Soll ich, oder soll ich nicht? - Die Eigentümerversammlung in Coronazeiten – ein Update zur aktuellen Rechtsprechung.

Die Inzidenzen sind gesunken – und wieder gestiegen. Die vierte Welle hat begonnen, und die epidemische Lage von nationaler Tragweite besteht fort. Die COVID-19-Pandemie hält uns also weiterhin in Atem. Daher haben wir uns die Rechtsprechung zur Frage der Durchführung und Absage von Eigentümerversammlungen in Coronazeiten zuletzt in ­vdivaktuell 2/21, S. 29f., und nun erneut angesehen: Welche praktischen Hinweise fürs Tagesgeschäft lassen sich daraus ableiten?

Dürfen überhaupt Versammlungen stattfinden?
Diese Frage kann nicht abschließend geklärt werden. Es kommt hier auf die jeweiligen Regelungen in den einzelnen Bundesländern, auf den Tag der Versammlung, aber auch auf die Größe der Wohnungseigentümergemeinschaft an. Die Vorgaben ändern sich bei fallenden oder steigenden Inzidenzen und Impfquoten aber ständig. Die erste Empfehlung, die wir daher aussprechen, ist: Prüfen Sie die jeweiligen gesetzlichen Grundlagen auf die Grenzen der Durchführung von Veranstaltungen!

Können Verwalter im Lockdown die Durch­führung einer Versammlung verweigern?
Diese Frage hatte das Amtsgericht (AG) München in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zu beurteilen. Nachdem der Verwalter keine Versammlung einberufen hatte, übernahm dies der Beiratsvorsitzende zum Zweck der Verwalterneubestellung und bat die Eigentümer um Vollmachtserteilung. Sein Ziel war es, dass maximal zwei bis fünf Personen zur Versammlung vor Ort erscheinen. Auf Antrag der Wohnungseigentümergemeinschaft hat das AG München die Versammlung untersagt: Es hatte sich die Einladung angesehen und einen psychischen Zwang ausgemacht. Die Eigentümer sollten vom persönlichen Erscheinen absehen und damit von der Wahrnehmung ihrer Kernrechte Abstand nehmen. Wenn aber die Eigentümer davon ausgehen müssen, dass sie gar nicht an der Versammlung teilnehmen können oder dürfen, könnten die dort gefassten Beschlüsse nichtig sein (AG München, Beschluss vom 25.2.2021, Az. 1291 C 2946/21). Im Ergebnis war der Verwalter also berechtigt, die Einberufung der Versammlung zu verweigern.

Haben Wohnungseigentümer Anspruch auf Absage der Versammlung?
In dieselbe Richtung geht der Beschluss des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main (Beschluss vom 29.3.2021, Az. 2-13 T 7/21). Danach haben Eigentümer Anspruch auf Absage der Versammlung, wenn die Teilnahme unzumutbar ist. Dieser Anspruch gegen die Verwaltung besteht dann, wenn aufgrund der Rechtslage die Teilnahme an der Versammlung ordnungswidrig ist oder zumindest aufgrund einer unklaren Rechtslage für die Teilnehmer die Gefahr besteht, sich ordnungswidrig zu verhalten. Das Landgericht führt aus, dass die Rechtslage zum Zeitpunkt der Versammlung maßgeblich ist. Diese ist daher nach der geltenden Verordnung zu beurteilen. Das Landgericht prüft in seinem Urteil die Tatbestände und vor allem die Ausnahmetatbestände der hessischen Coronaschutzverordnung. Im Raum stand hier die Frage, ob eine Eigentümerversammlung eine geschäftliche Zusammenkunft ist. Auch die Auslegungshinweise zur Verordnung wurden herangezogen: Diese ersetzen aber keine Subsumtion unter die Normen, denn sie sind unverbindlich. Auch ein Vergleich mit anderen Bundesländern ergab, dass die Rechtslage in Hessen zunächst unklar war. Während in Schleswig-Holstein Eigentümerversammlungen zulässig waren, waren sie es in Rheinland-Pfalz nicht. Die Rechtslage zum Zeitpunkt der Versammlung war also unsicher. Eigentümer müssen aber nicht hinnehmen, sich gegebenenfalls ordnungswidrig zu verhalten. Daher macht eine solche Unsicherheit die Teilnahme an der Versammlung für einen Eigentümer unzumutbar. Ein Anspruch auf Absage der Versammlung bestand.

Sind gefasste Beschlüsse anfechtbar oder nichtig?
Wenn eine solche Versammlung aber durchgeführt wird, stellt sich die Frage, ob dabei gefasste Beschlüsse wirksam sein können. Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob Beschlüsse, die auf einer solchen unsicheren oder unzulässigen Versammlung gefasst werden, nichtig oder lediglich anfechtbar sind. Dass sie zumindest anfechtbar sind, dürfte auf der Hand liegen, denn – wie zuvor geschildert – ist kein Eigentümer gezwungen, zu einer solchen Versammlung zu erscheinen. Bei der Frage der Nichtigkeit spielt eine Rolle, inwieweit mit der Einladung oder der Durchführung einer solchen Versammlung in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen wird. Wenn also Unsicherheiten bestehen, sollte keine Versammlung durchgeführt werden.

Wie aber können Verwaltungen vorgehen?
Die aktuelle Lage erfordert weiterhin Flexibilität von Verwaltung und Wohnungseigentümern. Verwalter sollten die folgenden Fragen klären und dann entscheiden, ob sie zur Versammlung laden:

• Muss die Versammlung stattfinden? Ist die Beschlussfassung über einen Umlaufbeschluss denkbar und sinnvoll?

• Muss die Versammlung jetzt stattfinden? Sind die Beschlüsse dringend?

• Ist bereits über die Möglichkeit der Online-Teilnahme an einer Versammlung beschlossen worden? Kann also auch online teilgenommen werden?

• Lassen die gesetzlichen Grundlagen eine Versammlung mit den zu erwartenden Personen zu (und wie viele sind das)?

• Wie viele Personen werden zur Versammlung erwartet? Wie viele Personen werden also vor Ort sein?

• Sind Räume mit entsprechender Größe und Belüftung verfügbar (und bezahlbar)?

• Welche weiteren Hygienemaßnahmen sind erforderlich und möglich? Gibt es ein Hygienekonzept? Wie kann es umgesetzt werden?

Im Hinblick auf die Ladungsfrist von in der Regel drei Wochen und die sich schnell ändernde pandemische, aber auch Rechtslage sind diese Fragen ebenfalls am Tag der Versammlung bzw. am Tag vor der Versammlung zu prüfen. Entscheidend ist, wie das LG Frankfurt am 29. März 2021 ausgeführt hat, die Rechtslage am Tag der Versammlung. Wenn sich hier Änderungen bei der Beurteilung der aufgeworfenen Fragen zwischen dem Zeitpunkt der Einladung und dem Tag der Versammlung ergeben haben, sollte über die Absage der Versammlung entschieden werden. Wenn die Teilnahme an der Versammlung unzumutbar wird, muss sie abgesagt werden.

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Gündel, Katharina

Die Fachanwältin für Miet- und ­WEG-Recht ist in der Kanzlei Groß Rechtsanwälte tätig.
www.gross.team