22.07.2022 Ausgabe: 5/22

Tendenz steigend - Was tun, wenn alles teurer wird und die Erhaltungsrücklage an Kaufkraft verliert?

Empfindliche Kostenstei­gerungen erfassen derzeit viele Lebensbereiche – auch das Finanz­wesen innerhalb von Wohnungseigentümergemeinschaften, konkret: die Erhaltungsrücklage. Wie geht man damit um?


Das Wesen der Erhaltungsrücklage
Die Finanzierung in Wohnungseigentümergemeinschaften stützt sich auf verschiedene Säu­len. Vorrangig ist hier der Wirt­schaftsplan zu nennen, der im Rahmen der WEG-Verwaltung jeweils für ein Kalenderjahr auf­gestellt wird. Aus den voraus­sichtlichen Einnahmen und Ausgaben ergeben sich die nach § 28 Abs. 1 S. 1 Wohnungsei-gentumsgesetz (WEG) von den Eigentümern zu zahlenden „Vorschüsse zur Kostentragung und zu den nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 oder durch Beschluss vorgese­henen Rücklagen“. Eigentümer­gemeinschaften müssen eine angemessene Erhaltungsrück­lage bilden, das gehört zur ord­nungsmäßigen Verwaltung nach § 19 Abs. 2 WEG. Die Erhaltung umfasst die Instandhaltung und Instandsetzung entsprechend § 13 Abs. 2 WEG.

Unbenommen bleibt es Eigentü­mern, innerhalb einer Gemein­schaft verschiedene Rücklagen zu bilden – maßnahmenbezo­gen oder beispielsweise wenn in absehbarer Zeit die Erneue­rung der Balkonbrüstungen beab­sichtigt ist und hierfür erst die notwendigen Mittel angespart werden sollen. Generell können getrennte Rücklagen für zukünf­tige Maßnahmen an Bauteilen gebildet werden, auch ohne schon erkennbaren konkreten Erhal­tungsbedarf, z. B. für das Dach, die Heizungsanlage oder eine Tiefgarage. Die Rücklage stellt nicht lediglich eine buchhalteri­sche Position dar, sie muss tat­sächlich vorhanden sein.


Zuführung, Anlage und Werterhalt
Die Zuführungen zu den Rückla­gen werden von der Verwaltung nach den Vorgaben berechnet, die in der Eigentümergemeinschaft hierfür gelten. Man kann auch auf verschiedene Berechnungs­methoden zurückgreifen wie die Peterssche Formel, die Haufsche Formel oder die II. Berechnungs­verordnung.

Schon schwieriger ist es, den Wert der Rücklage zu erhalten. In der Theorie erfolgt die Anlage des Vermögens insolvenzsi-cher und mit „marktüblicher Verzinsung“. In Niedrigzinszeiten lässt sich dies aber oft nicht realisieren. Mit den von den Geldinstituten erhobenen Verwahrentgelten wird die Anlage sogar zum Kostenfaktor. Diese „Strafzinsen“ sind derzeit (noch) gängige Praxis und schon die angemessene Rücklage einer mittelgroßen Eigentümerge­meinschaft überschreitet oft den von den Banken eingeräumten Freibetrag, was den Rücklagen­bestand mindert.

Dem können Verwalter durch Aufsplittung der Rücklage auf ver­schiedene Bankkonten entgegen­wirken. Möglicherweise gelingt es auch, das jeweilige Bankhaus unter Hinweis auf die von der Eigentümergemeinschaft gezahl­ten Kontoführungsgebühren von der Erhebung des Verwahrent-gelts abzubringen. Falls nicht, muss es in den Wirtschaftsplan aufgenommen und die Rücklage angepasst werden.


Kaufkraftverlust 
Die allgemeine Kostensteigerung stellt für die Rücklagenbildung ein ähnliches Problem dar. In Zeiten voranschreitender Inflation ver­liert auch die gebildete Rücklage an Wert. Grob vereinfacht besitzt eine Rücklage von 100.000 Euro bei einer Inflationsrate von fünf Prozent im Folgejahr noch eine Kaufkraft von etwa 95.000 Euro. Tatsächlich ist die durchschnitt­liche Inflationsrate aber kaum geeignet, um den tatsächlichen Gegenwert der Rücklage zu ermit­teln. Wer in jüngerer Zeit einen Handwerker beauftragte, weiß: Die Preise steigen, und zwar höher als die durchschnittliche Infla­tionsrate. Eigentümergemein­schaften müssen oft schon froh sein, überhaupt ein Unternehmen mit freien Kapazitäten zu finden. Auch Baustoffe sind nur schwer zu beschaffen, was sich ebenfalls in Kostensteigerungen niederschlägt. So stieg der Preis beispielsweise für Konstruktionsvollholz vom Jahr 2020 auf 2021 um 77,3 Pro­zent, der für Bauholz um 61,4 Pro­zent (Quelle: www.destatis.de).

Die Beauftragung von Handwer­kern und die Ausführung von Arbeiten wird für Eigentümer­gemeinschaften also teurer. Die Konsequenz: In der Vergangen­heit gebildete Rücklagen erweisen sich als nicht mehr ausreichend oder – siehe § 19 Abs. 2 Nr. 4 WEG – nicht angemessen. Hier sollte man gegensteuern. Ver­ständige Wohnungseigentümer werden einsehen, dass die allgemeine Geldentwertung auch die von ihnen gebildete Rücklage trifft. Ein Beschluss zur Anpassung der Zuführung um mindestens die Inflationsrate sollte im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung also kein Anfechtungsrisiko bergen.


Preisanstieg bei laufender Baumaßnahme
Problematisch kann es werden, wenn schon in Kürze eine größere Baumaßnahme in Auftrag gegeben werden soll, für die bereits eine Rücklage gebildet wurde. Deckt diese die zu erwartenden Kosten­steigerungen nicht, bleibt entwe­der die Sonderumlage, oder die Baumaßnahme muss anderwei­tig finanziert werden. Handwerks­unternehmen jedenfalls geben derzeit häufig nur noch kurzfris­tig bindende Angebote heraus, und bestimmte Materialien, z. B. Metalle, werden nach Tagespreis kalkuliert.


Angleichung an die Marktentwicklung
Falls noch genügend Zeit im Vor­feld bleibt, sollten Verwalter noch im Laufe der Versammlungssai­son auf eine Beschlussfassung zur Anpassung der Rücklage hinwir­ken. Je nach Gewerk lassen sich unterschiedliche Prozentsätze für eine solche Anpassung begrün­den. Gegebenenfalls genügt auch der Anruf beim Handwerker des Vertrauens, um die Zahlen zu kon­kretisieren. Wurde eine zweckge­bundene Sonderrücklage gebildet, können Verwalter im Wirtschafts­plan die Preise zumindest antei­lig anpassen und so die Rücklage den zu erwartenden Entwicklun­gen des Marktes angleichen. Ist die Rücklage bei kritischer Betrach­tung unzureichend, wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um eine Sonderrücklage oder um die „allge­meine“ handelt, müssen Verwalter darauf hinweisen.

Für die Beschlussfassung erläutern sie den Stand der jeweiligen Rück­lage und stellen deren Entwicklung einschließlich der Zuführungen ins Verhältnis zur Kostensteigerung. Ergibt sich ein negatives Verhält­nis, beschließen die Eigentümer, die Zuführungen um einen für die Gemeinschaft berechneten Betrag zu erhöhen.

Noch einfacher ist die Begrün­dung einer Anpassung bei Son­derrücklagen für bevorstehende Maßnahmen. Können Verwalter auf Informationen zu Kostenstei­gerung verweisen, nehmen die Eigentümer die konkrete Kosten­steigerung in den Beschluss auf (z. B. Sonderrücklage für Dach­erneuerung 125.000 Euro statt 100.000 Euro) und beschließen, wie die Differenz aufgefüllt wird.

Es gilt der allgemeine Grund­satz, dass ein auf sachgerechte Erwägungen gestützter Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung ent­spricht. Die Eigentümer haben folglich ein breites Entscheidungs­ermessen, und sie beschließen – sofern die Gemeinschaftsordnung nichts anderes vorgibt – mit einfa­cher Stimmenmehrheit.

Schulz, Helge

Der Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht sowie für Bau- und Architektenrecht ist in der Kanzlei Rechtsanwälte Wedler GbR tätig und Justiziar des VDIV Niedersachsen/Bremen e.V.
www.kanzleiwedler.de