02.11.2021 Ausgabe: 7/21

Übertragungskompetenz - der WEG auf Verwalter

(BGH, Urteil vom 11.6.2021 – Az. V ZR 215/20)

DAS THEMA
Die Wohnungseigentümergemeinschaft stattete den Verwalter im Rahmen des Beschlusses über den Abschluss eines Verwaltervertrags mit umfassenden Kompetenzen aus und beschloss zudem Sondervergütungen bei Ausführung dieser Kompetenzen. Dieser Beschluss wurde angefochten; nun befasste sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage, ob diese Beschlussfassung ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach.

DER FALL
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Anlage besteht aus 70 Einheiten. In der Eigentümerversammlung vom 21. Februar 2019 beschlossen die Wohnungseigentümer unter TOP 2, mit der Firma S. GmbH den in der Versammlung als Entwurf vorliegenden Verwaltervertrag zu schließen, und bevollmächtigten zwei Miteigentümer zur Unterzeichnung des Vertrages. Der Verwaltervertrag enthält u. a. folgende Regelungen:

„§ 2 (Befugnisse des Verwalters)
5. Der Verwalter ist ferner berechtigt, […]
b)    Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum mit einem Auftragswert bis zu € 4.000,00 brutto im Einzelfall, bei mehreren Aufträgen pro Wirtschaftsjahr begrenzt auf ein Gesamtvolumen in Höhe von € 8.000,00 brutto ohne Beschlussfassung der Eigentümergemeinschaft einzuleiten, die entsprechenden Aufträge zu vergeben, kaufmännisch zu überwachen und kaufmännisch abzunehmen; dies unbeschadet der Befugnis des Verwalters, in dringenden Fällen sonstige zur Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderliche Maßnahmen zu treffen;
c)    sich zur Durchführung von größeren Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, Maßnahmen der modernisierenden Instandsetzung bzw. Modernisierung oder baulichen Änderungen (d. h. ab einem Auftragswert in Höhe von € 10.000,00 brutto im Einzelfall), namens und für Rechnung der Eigentümergemeinschaft sachkundiger Dritter (…) zu bedienen, wobei der Verwalter auf die ggf. bestehende Notwendigkeit der Begleitung einer solchen Maßnahme durch einen sachkundigen Dritten hinzuweisen hat und die entstehenden Kosten im Einzelfall den Betrag in Höhe von € 3.000,00 brutto pro Einzelfall, begrenzt auf eine Gesamtjahressumme in Höhe von € 6.000,00 brutto nicht übersteigen dürfen. Das Gleiche gilt bei geringeren Auftragswerten mit besonderer technischer oder rechtlicher Schwierigkeit.

§ 4 (Pflichten der Wohnungseigentümer)
[…] Die Wohnungseigentümergemeinschaft zahlt dem Verwalter monatlich je Sondereigentum ab 01.01.2019 € 18,00, Sondereigentum ab 01.01.2020 € 19,00 […]. Die Wohnungseigentümergemeinschaft zahlt dem Verwalter zusätzlich

• Durchführung jeder weiteren Versammlung über die ordentliche Jahresversammlung hinaus € 700,00

• für die kaufmännische Betreuung von Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen am Gemeinschaftseigentum ab einer Bausumme von € 10.000,00 im Einzelfall ein Honorar von 4% der Bruttobausumme; das Honorar reduziert sich auf 2% der Bruttobausumme, wenn ein externer Ingenieur bzw. Architekt mit der Bauleitung beauftragt wird;

• für sämtliche Tätigkeiten bei gerichtlichen Auseinandersetzungen einen Stundensatz in Höhe von € 65,00, Auslagen (z. B. für Kopien, Porto) sind zu erstatten;

• für die Abwicklung von Versicherungsschäden 4% der Schadenssumme, max. € 5.000,00 p.a., wenn (auch) Sondereigentum betroffen ist; soweit der Versicherer Regiekosten der Verwaltung übernimmt, entfällt die Zahlungspflicht der Eigentümergemeinschaft; der Verwalter ist berechtigt, die erstatteten Regiekosten dem Konto der Gemeinschaft zu entnehmen.“

Das Amtsgericht hat die gegen den Beschluss zu TOP 2 gerichtete Anfechtungsklage der Klägerin abgewiesen. Das Landgericht hat ihre Berufung zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, will die Klägerin weiterhin erreichen, dass der Beschluss für ungültig erklärt, hilfsweise dessen Nichtigkeit festgestellt wird.

Der BGH, der diesen Sachverhalt nach altem Recht bewertete, da die Eigentümerversammlung vor Inkrafttreten der Reform des Wohnungseigentumsgesetzes (WEG) am 1. Dezember 2020 stattgefunden hatte, stimmte der rechtlichen Einschätzung des Berufungsgerichts zu und urteilte, dass der Beschluss zu TOP 2 (somit § 2 und § 4 des Entwurfs des Verwaltervertrags) ordnungsgemäßer Verwaltung entsprach. Die Wohnungseigentümer haben das ihnen bei der Ausgestaltung des Verwaltervertrages zustehende Gestaltungsermessen nicht überschritten.

Die Wohnungseigentümer hatten auch die Kompetenz, die im Vertragsentwurf genannten Entscheidungsbefugnisse auf den Verwalter zu übertragen. Streitig sei zwar, ob dem Verwalter im Wege eines Beschlusses besondere Entscheidungsbefugnisse übertragen werden können, oder ob es hier vielmehr einer Vereinbarung bedarf. Der BGH kommt im Ergebnis zu dem Schluss, dass die Übertragung besonderer Entscheidungsbefugnisse per Beschluss zwar grundsätzlich nicht möglich ist, außer in engen Grenzen. Diese Grenzen werden so definiert, dass die Ermächtigung zu einem nur begrenzten und für den einzelnen Wohnungseigentümer überschaubaren finanziellen Risiko führen darf und die grundsätzliche Verantwortlichkeit für den Beschluss solcher Maßnahmen bei der Eigentümerversammlung belassen bleibt. Der streitgegenständliche Beschluss hat diese Grenzen nicht überschritten. Zwar obliegt die Entscheidung über die Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums und die Hinzuziehung von Sonderfachleuten als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung gemäß § 21 Abs. 1 und Abs. 5 Nr. 2 WEG a. F. vorrangig den Wohnungseigentümern. Der Verwalter ist nicht berechtigt, Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung, die weder dringlich sind (vgl. § 27 Abs. 1 Nr. 3 WEG a. F.) noch zu den laufenden Maßnahmen zählen (vgl. § 27 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 WEG a. F.), ohne Beschlussfassung der Wohnungseigentümer zu ergreifen. Die gesetzliche Zuständigkeitsverteilung dient der selbstbestimmten Verwaltung durch die Wohnungseigentümer. Dem Selbstorganisationsrecht der Wohnungseigentümer ist aber die Befugnis immanent, den Entscheidungsprozess für Maßnahmen der Instandhaltung oder Instandsetzung von untergeordneter Bedeutung zu vereinfachen und die Entscheidungskompetenz hierfür durch Beschluss auf den Verwalter zu verlagern. Die Vorschrift des § 27 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 3 WEG a. F., wonach dem Verwalter kraft Gesetzes die Entscheidungskompetenz für laufende Maßnahmen zugewiesen ist, macht deutlich, dass für weniger bedeutsame Maßnahmen eine eigene Entscheidungsbefugnis des Verwalters bereits im Gesetz angelegt ist. Das Selbstorganisationsrecht schließt die Kompetenz der Wohnungseigentümer ein, diesen gesetzlichen Aufgabenkreis des Verwalters in engen Grenzen durch Beschluss zu erweitern und so den Verwaltungsaufwand für nicht vorhergesehene – im Verhältnis zur Größe der Gemeinschaft – kleinere Instandhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen gering zu halten und deren zügige Erledigung sicherzustellen. Die Wohnungseigentümer hatten somit die Beschlusskompetenz und deckelten zudem das finanzielle Risiko des einzelnen Eigentümers auf eine niedrige dreistellige Summe. Letztlich entspricht auch der Beschluss über die vorgesehenen Sondervergütungen ordnungsgemäßer Verwaltung, da diese dem Gebot der Wirtschaftlichkeit genügen.

VERWALTERTRATEGIE
Nach neuem Recht findet sich die Vertretungsmacht des Verwalters in § 9b WEG, die aus Gründen der Rechtssicherheit nicht beschränkt werden kann. Im Innenverhältnis hingegen können die Wohnungseigentümer, so § 27 Abs. 2 WEG n. F., Rechte und Pflichten nach Abs. 1 durch Beschluss einschränken oder erweitern. Etwaige Grenzen dieser normierten Beschlusskompetenz, wie etwa hier im Urteil definiert, finden sich im Gesetz nicht. Die Gesetzesbegründung führt hierzu lediglich aus, dass die Wohnungseigentümer mit dieser Regelung die Möglichkeit haben, diejenigen Maßnahmen selbst zu definieren, deren Erledigung sie in die Verantwortung des Verwalters legen wollen, und nennt anschließend Beispiele, vgl. BR-Drs. 168/20, S. 84. Wir raten trotz fehlender Vorgaben des Gesetzgebers weiterhin zur Anwendung der von der Rechtsprechung erarbeiteten Grenzen, wie hier im Urteil ­geschehen.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.