14.12.2020 Ausgabe: 7/20

Uhr läuft! Es geht um die Arbeitszeiterfassung: Was verlangt das Arbeitsrecht aktuell – und wo wird die Reise hingehen?

Viele Arbeitgeber erfassen bereits heute Anfang und Ende der Arbeitszeit sowie die Pausen ihrer Mitarbeiter. Das macht zwar Mühe, bringt aber enorme Vorteile: Eine akribische Arbeitszeiterfassung vereinfacht nicht nur Buchführung und Lohnabrechnung, sondern ermöglicht es Betrieben auch, die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung inklusive der Überstunden zu kontrollieren. Arbeitnehmer profitieren ebenfalls, denn dadurch können sie belegen, wann und wie lange sie gearbeitet haben.

Die EU-Arbeitszeit-Richtlinie
Eine generelle Pflicht zur Zeiterfassung gibt es in Deutschland derzeit zwar nicht. Das allerdings könnte sich schon bald ändern. Grund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) aus dem Mai 2019: Hiernach verlangt die EU-Arbeitszeit-Richtlinie (2003/88/EG) von allen Unternehmen, zum Schutz der Arbeitnehmer ein System zur Erfassung der täglichen effektiv geleisteten Arbeitszeit zu schaffen. Da die EU-Richtlinie nicht unmittelbar auf die Unternehmen Anwendung findet, muss der deutsche Gesetzgeber das Urteil in nationales Recht umsetzen. Gerade kleinere Unternehmen, die derzeit noch keine Zeit­erfassung anbieten, sind verunsichert, was zu tun ist.
Bislang hat der Gesetzgeber noch keine neuen Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung erlassen. Allerdings hat das Bundesarbeitsministerium von dem renommierten Arbeitsrechtler Prof. Dr. Frank Bayreuther (Universität Passau) ein Gutachten erstellen lassen, das zeigt: Die aktuellen Regelungen in Deutschland genügen nicht den Anforderungen des EU-Rechts. Das Gutachten gibt der Bundesregierung vor allem aber Empfehlungen, wie eine gesetzliche Regelung zur Erfassung der Arbeitszeit aussehen könnte. Konkret – d. h. in Form eines wörtlichen Vorschlags einer entsprechenden Regelung im Arbeitszeitgesetz – schlägt Prof. Bayreuther vor, Arbeitgeber dazu zu verpflichten, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung aufzuzeichnen. Zugleich soll aber eine Übertragung dieser Pflicht auf die Arbeitnehmer möglich sein – in diesem Falle muss der Arbeitgeber die Arbeitnehmer dazu  anleiten sowie sich  deren Arbeitszeitdokumentation binnen sieben Tagen aushändigen lassen und im Anschluss kontrollieren und ggf. aufbereiten. Eine Dokumentation soll sowohl in elektronischer Form als auch in Papierform zulässig sein. Arbeitnehmer sollen ein Einsichtsrecht in die sie betreffenden Arbeitszeitaufzeichnungen haben.

Noch gilt die alte Rechtslage, aber …
Bis der Gesetzgeber tätig wird, gilt in Deutschland zwar die alte Rechtslage weiter. Angesichts der bevorstehenden Novelle tun Unternehmen aber gut daran, ihre derzeitige Praxis bei der Arbeitszeiterfassung schon einmal auf den Prüfstand zu stellen. So können sie mögliche Defizite erkennen und auf die kommenden Änderungen besser reagieren. Erste Arbeitsgerichte, konkret: das Arbeitsgericht Emden, sehen aufgrund der sich aus der EU-Richtlinie ergebenden Pflicht zur Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung sogar fast eine Art Darlegungslastumkehr: Derzeit muss der Arbeitnehmer, will er Überstundenvergütung geltend machen, darlegen und beweisen, wann er konkret auf Weisung oder unter Duldung des Arbeitgebers Überstunden geleistet haben will. Das Arbeitsgericht Emden meint, dass es ausreiche, wenn der Arbeitnehmer lediglich die Lage der geleisteten Arbeitszeit darlege; hingegen müsse der Arbeitgeber dann substanziiert abweichende Arbeitszeiten vortragen – was er aber ohne detaillierte Arbeitszeitaufzeichnung niemals bewerkstelligen wird.

Hier gelten Sonderregelungen
In bestimmten Fällen ist aber auch jetzt schon eine Arbeitszeitaufzeichnung Pflicht: Sonderregeln gelten für geringfügig Beschäftigte und für Wirtschaftsbereiche, die der Gesetzgeber als „schwarzarbeitsgeneigt“ ansieht, etwa das Baugewerbe, Gaststätten und Herbergen, den Speditions-, Transport- und Logistikbereich, Unternehmen der Forstwirtschaft, Gebäudereinigungen, den Messebau sowie die Fleischwirtschaft. Auch Zeitungszustellerinnen und -zusteller sowie Beschäftigte bei Paketdiensten müssen regelmäßig ihre Arbeitszeit aufzeichnen. Damit sind auch viele Branchen betroffen, die für das Handwerk relevant sind.

Das gilt für alle Arbeitgeber
Alle Arbeitgeber treffen außerdem heute schon die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes, das in zwei Konstellationen eine Pflicht zur Zeiterfassung normiert: § 16 Abs. 2 verpflichtet Arbeitgeber, die über die werktägliche Arbeitszeit von acht Stunden hinausgehenden Arbeitszeiten – aber nur diese! – aufzuzeichnen (sog. Überzeit). Wenn ein Arbeitnehmer an einem Werktag also zehn Stunden arbeitet, müssen demnach zwei Stunden aufgezeichnet werden. Zudem gibt es eine Aufzeichnungspflicht, wenn an Sonn- und Feiertagen gearbeitet wird. Das klingt zunächst einmal komfortabel, aber wenn die reguläre Arbeitszeit nicht aufgezeichnet wird, kann naturgemäß auch die „Überzeit“ (im Beispielfall zwei Stunden) nicht dargelegt werden. Allein deshalb ist auch kleinen Betrieben zu raten, über ein allgemeines Zeiterfassungssystem nachzudenken.

So wird’s gemacht
Um Arbeitszeiten rechtssicher zu dokumentieren, müssen Arbeitgeber den Beginn, das Ende und die Dauer der täglichen Arbeitszeit ihrer Beschäftigten aufzeichnen. Pausenzeiten gehören nicht zur Arbeitszeit und sind daher herauszu­rechnen.

Nach den Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes genügt es, die Aufzeichnungen zwei Jahre lang aufzubewahren. Wegen der dreijährigen Verjährungsfrist für die Mehrarbeitsvergütung ist allerdings die Aufbewahrung bis zum Eintritt der Verjährung potenzieller Vergütungsansprüche anzuraten, sofern nicht wirksame (!) Vertragsklauseln einen früheren Verfall vorsehen. Da die Zeiterfassung aber meist auch Grundlage der Lohnbuchhaltung ist, können die Daten bis zur allgemeinen buchhalterischen Aufbewahrungsfrist gespeichert werden – in der Regel sechs Jahre.

In welcher Form Arbeitgeber Arbeitszeiten erfassen – ob aufgrund einer gesetzlichen Pflicht oder für die eigene Buchhaltung – können sie derzeit (noch) selbst bestimmen. Grundsätzlich reicht die händische Erfassung in einer Tabelle oder einem Kalender aus. Wer für die Lohnabrechnung und die Buchhaltung eine elektronische Zeiterfassung nutzt, sollte an die notwendigen Schnittstellen zu den anderen Buchhaltungsprogrammen denken. In der Praxis finden sich heutzutage vielfältige elektronische Erfassungsmodule – von der kostenlosen App bis zu aufwendigen Systemen.

Da Arbeitgeber bei jeder Arbeitszeiterfassung personenbezogene Daten ihrer Mitarbeiter erheben, müssen sie die Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) entsprechend beachten. Das gilt insbesondere, wenn dabei digitale Systeme zum Einsatz kommen, um – zum Beispiel über eine App – nicht nur die Einsatzzeiten von Beschäftigten zu erfassen, sondern gar ein Bewegungsprofil zu erstellen. In diesem Fall müssen Arbeitgeber von den betreffenden Mitarbeitern eine Einwilligung zur Erhebung und Speicherung der Daten nach der DSGVO einholen.

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Schwartz, Tobias

Der Fachanwalt fur Arbeitsrecht sowie fur Handels- und Gesellschaftsrecht ist in der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH mit Sitz in Munchen-Bogenhausen tätig.
www.lkc.de