11.08.2025 Ausgabe: 5/2025

Update Arbeitsrecht

VDIV Handwerker
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Aktuelle Urteile und ihre Einordnung (nicht nur) aus Unternehmersicht

Kaum ein Rechtsgebiet ist so von der Rechtsprechung geprägt wie das Arbeitsrecht. Hintergrund ist, dass eine Vielzahl von alltäglichen Fallgestaltungen durch den Gesetzgeber nur unzureichend oder überhaupt nicht geregelt wurden – ein allumfassendes, jeden Einzelfall abbildendes „Arbeitsgesetzbuch“ gibt es nicht. Umso wichtiger ist es, die Entscheidungen der Arbeitsgerichte im Auge zu behalten. Dieser Artikel soll eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und ihre Folgen für die Praxis beleuchten:

Beweiswert einer außerhalb der EU ausgestellten AUB

Welcher Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AUB) beizumessen ist, bleibt ein „Dauerbrenner“ der Rechtsprechung. Will ein Arbeitnehmer den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend machen, muss er darlegen und beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt ist. Im Regelfall geschieht dies durch die Vorlage einer AUB bzw. deren Bereitstellung durch die Krankenkasse zum digitalen Abruf. Insofern geht die Rechtsprechung auch davon aus, dass der AUB ein „hoher Beweiswert“ beizumessen ist, weil es sich bei ihr – so das BAG – um das „gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit“ handelt. Legt ein Arbeitnehmer eine ordnungsgemäß ausgestellte AUB vor, genügt das bloße Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht mehr.

Allerdings begründet eine AUB keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit in dem Sinne, dass nur der Beweis des Gegenteils – der Arbeitnehmer war/ist gesund – zulässig wäre. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert der AUB vielmehr schon dadurch erschüttern, dass er Umstände darlegt, die ernsthafte Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers begründen. Gelingt dies, verliert die AUB ihren Beweiswert, und der Arbeitnehmer muss seine Erkrankung sowie die hierdurch bedingte Arbeitsunfähigkeit auf anderen Wegen – in der Regel durch Anhörung des behandelnden Arztes als Zeugen – nachkommen.

In jüngerer Vergangenheit entschied das BAG, dass der Beweiswert einer AUB u. a. dann erschüttert ist, wenn

  • ein Arbeitnehmer, der sein Arbeitsverhältnis kündigt oder dem gegenüber eine Kündigung ausgesprochen wird, in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Kündigung krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst (BAG vom 8.9.2021, Az. 5 AZR 149/21 und BAG vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 149/21);

  • die AUB unter Verstoß gegen die vom Gemeinsamen Bundesausschuss erlassene Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie ausgestellt wurde, was z. B. dann der Fall ist, wenn sie zurückdatiert wurde oder grundlos einen Zeitraum von mehr als 14 Tagen umfasst (BAG vom 28.6.2023, Az. 5 AZR 335/22).

In einer aktuellen Entscheidung des BAG vom 15. Januar 2025, Az. 5 AZR 284/24, setzt es sich mit der Frage auseinander, ob hinsichtlich des Beweiswertes einer AUB ein Unterschied gemacht werden könne, wenn sie in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde.

Der Sachverhalt

In dem zugrunde liegenden Sachverhalt befand sich der auf Entgeltfortzahlung klagende Arbeitnehmer vom 22. August bis 9. September 2022 im Urlaub in Tunesien. Per E-Mail vom 7. September 2022 teilte er seiner Arbeitgeberin mit, er sei bis 30. September 2022 „krankgeschrieben und arbeitsunfähig“. Er fügte das Attest eines tunesischen Arztes bei, der das Vorliegen „schwerer Ischiasbeschwerden“ diagnostizierte und „24 Tage strenge häusliche Ruhe bis zum 30.9.2022“ sowie ein Bewegungs- und Reiseverbot anordnete. Am Tag nach dem Arztbesuch buchte der Arbeitnehmer ein Fährticket für den 29. September 2022 und reiste an diesem Tag auf dem See- und Landweg nach Deutschland zurück. Danach legte er die Erstbescheinigung eines an seinem Wohnort in Deutschland ansässigen Orthopäden vor, die Arbeitsunfähigkeit bis zum 8. Oktober 2022 attestierte. Die beklagte Arbeitgeberin verweigerte für den Zeitraum vom 7. bis 30. September 2022 die Entgeltfortzahlung, u. a. mit dem Argument, dass das Attest vom 7. September 2022 keine ordnungsgemäße AUB darstelle.

Die Entscheidung

Das BAG stellte zunächst klar, dass einer AUB, die in einem Land außerhalb der EU ausgestellt wurde, grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten ärztlichen AUB zukommt, wenn sie zu erkennen gibt, dass der ausstellende Arzt zwischen einer bloßen Erkrankung und einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung unterschieden hat.

Das BAG hat den Rechtsstreit allerdings zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Es stellte fest, dass aus der AUB schon nicht hervorgehe, warum der tunesische Arzt die Einhaltung von 24 Tagen strenger häuslicher Ruhe, verbunden mit einem Bewegungs- und Reiseverbot, als sachgerecht erachtete und im Übrigen auch auf eine Wiedervorstellung zur Nachkontrolle verzichtete. Auch sei es überraschend, dass der Arbeitnehmer bereits einen Tag nach dem Arztbesuch ein Fährticket buchte und vor Ablauf der ärztlich angeordneten Frist die lange und beschwerliche Rückreise antrat. Schließlich habe der Arbeitnehmer in der Vergangenheit bereits mehrfach unmittelbar im Anschluss an seinen Urlaub AUBs vorgelegt. Dies alles führe dazu, dass der Beweiswert der (ausländischen) AUB erschüttert sei.

Praxistipp

Das BAG stellt in seiner neueren Rechtsprechung erfreulicherweise heraus, dass bei den Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast zu berücksichtigen ist, dass der Arbeitgeber regelmäßig keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indizien zur Erschütterung des Beweiswerts einer AUB vorzutragen. Insofern dürften an den dahingehenden Vortrag keine überhöhten Anforderungen gestellt werden. Freilich sollte diese Tendenz der Rechtsprechung nicht zum Anlass genommen werden, die Entgeltfortzahlung willkürlich zu verweigern. Allerdings können sich Arbeitgeber durchaus ermutigt sehen, zweifelhafte AUBs einmal genauer unter die Lupe zu nehmen, zumal im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch eine Kumulation von Umständen, die jeweils für sich unverfänglich sein mögen, ernsthafte Zweifel am Beweiswert der AUB begründen kann.

VDIV Aktuell Autor - Tobias Schwartz
Schwartz, Tobias

Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Handels- und Gesellschaftsrecht, 
Geschäftsführer der LKC 
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, 
München-Bogenhausen

VDIV Aktuell Autor - Matthias Wißmach
Wißmach, Matthias

Rechtsanwalt,
LKC Rechtsanwaltsgesellschaft, 
München 
www.lkc-recht.de