30.08.2018 Ausgabe: 6/2018

Verwirkung des Unterlassungsanspruchs

(BGH, Urteil vom 15.12.2017, Az. V ZR 275/16)

Das Thema

In vielen Wohnungs- und Teileigentümergemeinschaften werden Einheiten zweckwidrig genutzt. Wenn diese zweckwidrige Nutzung bereits seit Langem andauert, stellt sich nicht nur die Frage, ob ein Unterlassungsanspruch der übrigen Eigentümer gegen den zweckwidrig Nutzenden besteht, sondern auch, ob dieser Unterlassungsanspruch nicht bereits verwirkt ist. Hierbei wird allzu oft auf den bloßen Zeitablauf seit Beginn der zweckwidrigen Nutzung abgestellt und irrtümlich davon ausgegangen, dass der Unterlassungsanspruch nicht mehr durchsetzbar sei. Die Zeitspanne, die seit Beginn der zweckwidrigen Nutzung verstrichen ist, stellt jedoch nach Ansicht des BGH weder die einzige Voraussetzung für die Verwirkung des Unterlassungsanspruchs dar, noch handelt es sich hierbei um einen fixen Zeitrahmen.

Der Fall

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Mitglied der Beklagte seit 2004 ist. Entsprechend der Teilungserklärung vom 12.8.1986 besteht die Wohn- und Geschäftshausanlage aus 24 Läden, Praxen und Büros, 14 Wohnungen und 49 Tiefgaragenstellplätzen. In seiner Teileigentumseinheit im Erd- und Kellergeschoss betreibt der Beklagte ebenso wie der Voreigentümer dieser Einheit bereits seit dem Jahr 1986 eine Gaststätte. Der Betrieb der Gaststätte erstreckt sich seit dem Jahr 2014 auch auf eine mit einem Zelt umgrenzte Außenterrasse mit ca. 50 Plätzen, die sich auf städtischem Grund befindet. In der Eigentümerversammlung vom 23.6.2015 fassen die Eigentümer den Beschluss, Rechtsanwälte mit der gegebenenfalls gerichtlichen Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs bezüglich der Nutzung der Einheit als Gaststätte zu beauftragen.

Das Amtsgericht hat der Unterlassungsklage stattgegeben. Das Landgericht hat die Klage auf die Berufung des Beklagten hin zurückgewiesen und führt aus, dass der Unterlassungsanspruch zwar bestehe, dieser jedoch verwirkt und damit nicht durchsetzbar sei. Mit der Revision will die Klägerin die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils erreichen. Der BGH entscheidet, dass das Urteil des Landgerichts aufgehoben wird und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts zurückgewiesen wird. Der BGH führt aus, dass das Landgericht zwar zutreffend davon ausgegangen ist, dass die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs vorliegen, der Unterlassungsanspruch jedoch nicht verwirkt ist. Ein Recht ist nach Ansicht des BGH dann verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers bei objektiver Beurteilung über einen gewissen Zeitraum darauf einrichten darf und darauf eingerichtet hat, dass der Gläubiger sein Recht nicht mehr geltend machen wird und deswegen die verspätete Geltendmachung des Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt. Dabei genügt nach Ansicht des BGH der bloße Zeitablauf seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen (sog. „Zeitmoment“), nicht für die Annahme einer Verwirkung; vielmehr müssen besondere Umstände hinzutreten, die auf dem Verhalten des Gläubigers beruhen und die das Vertrauen des Schuldners rechtfertigen, der Gläubiger werde seinen Anspruch nicht mehr geltend machen (sog. „Umstandsmoment“). An dem Zeitmoment fehlt es in der Regel bereits dann, wenn eine neue, eigenständige Störung einen neuen Unterlassungsanspruch auslöst. Wird eine Einheit über einen längeren Zeitraum zweckwidrig genutzt, stellt eine auf diese Nutzung gerichtete neue Willensentscheidung eine Zäsur dar, die wegen der neuen Nutzung das Verwirken des Unterlassungsanspruchs der übrigen Wohnungseigentümer ausschließt. Die Erweiterung des Gastronomiebetriebs auf den Außenbereich führt aufgrund der Anzahl von rund 50 Sitzplätzen und des damit verbundenen Lärms zu einer im Vergleich mit der bisherigen Nutzung erhöhten Beeinträchtigung der übrigen Wohnungseigentümer und damit – da diese erweiterte Nutzung eine Zäsur zu der vorherigen, ebenfalls zweckwidrigen Nutzung darstellt – zum Entstehen eines ­diesbezüglichen ­Unterlassungsanspruchs.

Verwalter­strategie

Der BGH weist in der vorliegenden Entscheidung noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Beurteilung der Zeitspanne, die bis zum Eintritt der Verwirkung des Unterlassungsanspruchs verstrichen sein muss, eine Entscheidung im Einzelfall ist und die Annahme fester Zeiträume nicht in Betracht kommt. Der BGH lässt ausdrücklich offen, ob der Zeitraum von elf Jahren – der im vorliegenden Fall seit der Aufnahme des Gastronomiebetriebs durch den Beklagten bis zur Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs vergangen war – ausreichend ist. Die Entscheidung zeigt ein weiteres Mal, dass – entgegen der landläufig verbreiteten Ansicht – der reine Zeitablauf nicht ausreicht, um den Wegfall eines Unterlassungsanspruchs zu bejahen. Vielmehr müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die übrigen Wohnungs- und Teileigentümer zu erkennen gegeben haben, dass sie mit der zweckwidrigen Nutzung einverstanden sind. Darüber ­hinaus muss sich der zweckwidrig Nutzende hierauf eingerichtet haben, z. B. mit wirtschaftlichen Investitionen. Von einer Verwirkung eines Unterlassungsanspruchs sollte daher nicht vorschnell ausgegangen werden.

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Janze, Kristin

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

KRISTIN JANZE
Die Rechtsanwältin ist bei Arnecke Sibeth Dabelstein, München, schwerpunktmäßig auf den Gebieten des privaten Baurechts und des WEG-Rechts tätig.
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