03.12.2021 Ausgabe: 8/21

Viel ungenutztes Potenzial - WEG-Buchhaltung, Rechnungserfassung und Zahlungsverkehr sind prädestiniert für die Digitalisierung und Automatisierung.

Die Digitalisierung und mehr noch die Automatisierung von Prozessen stecken in der Wohnungswirtschaft verglichen mit anderen Branchen noch immer in den Kinderschuhen. Zwar hat sich durch den Katalysator Coronapandemie einiges getan: Auch dieletzte H ausverwaltung und die hartnäckigste Eigentümergemeinschaft wird mittlerweile eingesehen haben, dass die Digitalisierung kein vorübergehendes Phänomen ist, sondern – richtig eingesetzt – für alle ein Gewinn sein kann, und dass das Internet die Bezeichnung „Neuland“ einfach nicht mehr verdient.

Dennoch befindet sich die gesamte Verwaltungsbranche noch immer auf der Stufe der Problemlösung durch Versuch und Irrtum. Es gibt unzählige neue Insellösungen auf dem Softwaremarkt, die für Verwaltungen schwer zu überblicken sind, sich noch weniger evaluieren lassen und deren Kosten bei einer Implementierung das Budget eines Verwaltungsunternehmens deutlich übersteigen würden. Das führt dazu, dass so manche eigene Lösung gebastelt wird und individuell zusammengestellte Softwarepakete häufig zur klassischen Schnittstellenproblematik führen. Viele der gängigen etablierten Softwarelösungen entsprechen nicht dem Stand der Technik und werden heutigen Anforderungen nicht mehr gerecht. Das disruptive Beben, wie es z. B. in der Finanz- oder Versicherungsbranche zu beobachten ist, blieb dennoch bisher aus.


Wo wird am meisten digitalisiert?
Die Verwaltungstätigkeit lässt sich in drei große Bereiche aufteilen: Administration der Gemeinschaft, Erhaltung der Immobilie und Buchhaltung. Der Grad der Digitalisierung ist von Bereich zu Bereich unterschiedlich. Die Administration der Gemeinschaft ist wohl schon am weitesten, insbesondere in Bezug auf Kundenkommunikation oder Terminierung. Dies liegt zum einen an der Vielzahl neuer Softwareanbieter, den PropTechs, die Lösungen für effzientere Kommunikation anbieten. Zum anderen ist die Akzeptanz der Kunden gerade durch die Coronapandemie enorm gestiegen. Mittlerweile setzen Eigentümer z. B. den Einsatz eines Ticketsystems oder die Erreichbarkeit der Hausverwaltung auf elektronischem Weg über den E-Mail-Verkehr hinaus bereits als selbstverständlich voraus.

Der Bereich der Erhaltung von Immobilien wird noch am wenigsten digital unterstützt. Das könnte an der Vielzahl von Akteuren liegen, die an Planung, Beschluss und Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen beteiligt sind. Ein weiterer Grund ist sicherlich die Variationsbreite der unterschiedlichen Maßnahmen. Allerdings ist die Verwaltungsbranche auch hier eher Schlusslicht, was den Einsatz digitaler Lösungen angeht. Von der Baubranche oder dem Facility Management könnte man sich da noch einiges abgucken.

Digitalisiert, aber entwicklungsfähig
Was natürlich schon digitalisiert ist, ist die Buchhaltung, schließlich werden keine Journalbücher mehr geführt. Die Eingabe der Daten aber erfolgt noch überwiegend physisch: Belege kommen oft noch per Post, werden manchmal gescannt oder beleghaft weiterverwendet. Verarbeitet werden die Daten digital mit dem eingesetzten Buchhaltungsprogramm. Zwar übernimmt die Software die Ausgabe der Daten, für die Weitergabe bleibt dann oft wieder der physische Weg, indem z. B. Abrechnungen ausgedruckt und den Eigentümern per Post zugestellt werden. Seit der Einführung der doppelten Buchführung im 14. Jahrhundert haben wir uns also zumindest bei der Eingabe und Verarbeitung der Daten weiterentwickelt.

Auffällig ist, dass die Digitalisierung der Buchhaltung schon seit Langem auf dem heutigen Stand ist, die Entwicklung also früh stehengeblieben ist. Bestehende Softwarelösungen sind schwerfällig und von intuitiver Bedienerfreundlichkeit weit entfernt. Dabei zeigt sich in anderen Branchen, dass es auch anders geht, nämlich moderner und nutzerzentriert. Sogenannte Fintechs und Insurtechs, also Start-ups im Bereich der Finanz- und Versicherungsbranche, treiben mit ihren Entwicklungen alteingesessene Player vor sich her. Es werden mehr und mehr Online-Banken gegründet, die nur über Apps nutzbar sind, Online-Micro-Trading weckt sogar bei Teenagern das Interesse für Aktien, und ein Portal bietet ganz bequem einen Überblick über alle möglichen Versicherungen, Produktvergleich und -wechsel inklusive. Diese umfassend digitalisierte Lebenswirklichkeit erzeugt auch bei Immobilieneigentümern eine Erwartungshaltung, die sich wahrscheinlich nicht mehr lange ignorieren lässt und auch in der bisher wenig beachteten Buchhaltung neue Marktteilnehmer mit eigenen Produkten auf den Plan rufen wird.


Potenzial legt Automatisierung nahe
Mit der bisher erreichten Digitalisierung der Buchhaltung sollte man sich nicht zufriedengeben. Für kleine bis mittlere Immobilienverwaltungen, die sich das große ERP-System nicht leisten können, gibt es noch keine durchgängige Lösung, um Buchhaltungsprozesse über die reine Eingabe und rudimentäre Verarbeitung der Daten hinaus zu digitalisieren.

Eigentlich ist die WEG-Buchhaltung aber prädestiniert für die Automatisierung: 70 Prozent aller Buchungen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) sind gleichartig und wiederkehrend. Mit der richtigen Software ließe sich das Tätigkeitsfeld der Buchhaltung auf die Überwachung und Kontrolle der Prozesse reduzieren, denn sich wiederholende Umsätze würden automatisch dem richtigen Buchhaltungskonto zugeordnet, und das müsste nur noch überprüft werden. Dafür bedarf es einer sicheren Software, die alle Besonderheiten der WEG-Buchhaltung berücksichtigt und zwingend nach den gesetzlichen Vorgaben arbeitet.

Eine solche automatisierte Buchhaltung würde das jederzeit transparente Monitoring sämtlicher Zahlungszu- und -abflüsse ermöglichen, auch für die Eigentümer, und sie erlaubte die engmaschige und zeitnahe Kontrolle. Derzeit verfügbare Softwarelösungen leisten das bisher nicht. Die Automatisierung der WEG-Buchhaltung könnte darüber hinaus das Problem des Fachkräftemangels abmildern und Rechtsunsicherheiten vermeiden.


Entwicklung bei Rechnungserfassung und Zahlungsverkehr
Auch in Bezug auf Rechnungserfassung und Zahlungsverkehr lässt sich großes Optimierungspotenzial erkennen. In den letzten Jahren hat sich der Zahlungsverkehr völlig verändert. Von Online-Banking über PayPal bis hin zu Apple Pay oder Google Pay haben sich die Zahlungsgewohnheiten weiterentwickelt. Warum sollte in Zukunft also das Hausgeld nicht per PayPal angewiesen werden?

Auch hier lässt sich wie in allen anderen Lebensbereichen eine umfassende Digitalisierung beobachten. Dennoch sind diese Möglichkeiten in der Verwaltungsbranche noch kaum im Einsatz. Verbreitet stellen Hausverwaltungen zwar schon Belege oder Rechnungen digital bereit, es mangelt aber meist an der bruchlosen Weiterverarbeitung. Weder erfolgt die Rechnungsdatenerfassung automatisch, noch gibt es selbstlernende Systeme, die eine Zahlung sofort auslösen würden oder zumindest den Prüfungs- oder Verbuchungsprozess digital unterstützen.


Ausblick
Bisher wird das Potenzial der digitalen Möglichkeiten in der Verwaltungsbranche nicht ausgeschöpft. Das ist vor allem deshalb erstaunlich, weil die Wohnungswirtschaft mit rund zehn Millionen Eigentumswohnungen in bundesweit zwei Millionen WEG praktisch ein „schlafender Riese“ ist. Die Start-up-Szene entdeckt dieses Potenzial gerade für sich und versucht es teils auch schon zu heben. Künftige Akteure werden auch vor der Entwicklung einer modernen Buchhaltungssoftware nicht zurückschrecken. Ob diese dann wirklich das dargestellte Optimierungspotenzial heben, wird nicht nur von tiefer fachlicher Expertise abhängig sein, sondern auch davon, wie modern und benutzerfreundlich solche Lösungen erscheinen.
 

Heep, Shari

Gründerin und Geschäftsführerin der SCALARA GmbH, die eine digitale Lösung zur Unterstützung bei allen Aufgaben und Prozessen in der Immobilienverwaltung anbietet.

Schultheis, Astrid

Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für Wohnungseigentumsverwaltung
www.sv-wev.de