19.04.2024 Ausgabe: 3/24

Vom Balkon aufs Dach

Gute Idee: Balkonkraftwerke als Gemeinschaftsprojekt auf dem Flachdach realisieren.

Nicht auf jedem Dach ist Platz für eine große Solaranlage. Das macht Balkonkraftwerke umso interessanter: schnell an der Fassade montiert, los geht’s! In Wohnungseigentümergemein-schaften ist das nicht immer ganz so einfach. Gibt es auch andere Lösungen?

Darum geht’s

Balkonkraftwerke sind Mini-Photovoltaik (PV)-Anlagen, die aus zwei Solarmodulen (ca. 175 x 110 cm) und einem Wechselrichter bestehen und in Deutschland derzeit auf höchstens 600 Watt begrenzt sind. Wird mehr erzeugt, drosselt der Wechselrichter die Anlage auf den Maximal­wert. Eine Anhebung der Bagatellgrenze für elektrische Erzeugungsanlagen auf 800 Watt ist in diesem Jahr geplant, was die Rentabilität der vom Gesetzgeber auch Stecker-Solargeräte genannten Anlagen erhöht. Sie dürfen über eine herkömmliche Steckdose angeschlossen werden, solange die Haustechnik auf dem neuesten Stand und ein NA- oder FI-Schutzschalter vorhanden ist. Maßgeblich ist das Regelwerk DIN VDE 0100-551 des Verbandes der Elektrotechnik Elektronik und Informationstechnik e. V. (VDE). Zur Sicherheit sollte ein sogenannter Wieland-Stecker verwendet werden, und installierte Anlagen müssen sich bei Netzausfall abschalten.

Kosten und Amortisierung

Erzeugter Strom wird ins Hausnetz eingespeist; nicht ver­brauchter Strom ohne Vergütung ins öffentliche Netz. Am profitabelsten sind kleine PV-Anlagen, wenn der erzeugte Strom vollständig selbst verbraucht wird. 500 bis 1.200 Euro kosten Balkonkraftwerke derzeit und haben sich je nach Stromverbrauch und -ertrag nach vier bis sechs Jahren amortisiert. Viele Bundesländer und Kommunen 

fördern die Mini-PV-Anlagen, für die seit letztem Jahr per Gesetzesänderung die Mehrwertsteuer entfällt. So sind Solarmodule, Wechselrichter, Stromspeicher, Kabel und Halterungen jetzt in der Anschaffung deutlich günstiger und die Amortisationszeiten kürzer.

Das gilt rechtlich

Werden solche Anlagen an der Balkonbrüstung, der Außenwand oder auf dem Dach einer Wohnungs-eigentümergemeinschaft montiert, handelt es sich um eine bauliche Veränderung, welche die Zustimmung der Eigentümergemeinschaft erfordert. Auch wenn Stecker-Solargeräte auf die Liste der nach § 20 Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) privilegierten bau­lichen Veränderungen aufgenommen werden sollen, auf deren Gestattung Wohnungseigentümer einen Anspruch haben, bedarf es der Zustimmung der übrigen Eigentümer, die Aufstellungsort und Montagedetails per Beschluss festlegen können.

Die Mehrheit der Streitfälle um Balkonkraftwerke landet deshalb vor Gericht, weil die Genehmigung der Gemeinschaft fehlt, oder weil eine optische Beeinträchtigung der Fassade bemängelt wird – mit unter­schiedlichem Ausgang: Das Amtsgericht (AG) Konstanz gab einer Eigentümergemeinschaft recht, weil die von einem Miteigentümer installierte Solaranlage auf dem Balkon die Optik der Fassade beeinträchtigte (AG Konstanz, Urteil vom 2.2.2023, Az. 4 C 369/22). Das Landgericht (LG) Frankenthal wies ein Ehepaar in Neustadt an, seine PV-Anlage neu auszurichten, weil sie blendete (LG Frankenthal, Urteil vom 12.8.2022, Az. 9 O 67/21).

Vom Individual- zum Gemeinschaftsprojekt

Eine gemeinschaftliche Lösung, die allen Eigentümern gleichermaßen die Möglichkeit zum Betrieb einer Solar­anlage gibt, ohne die Fassade optisch zu beeinträchtigen, hätte durchaus Vorteile. Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen war der Antrag eines Miteigentümers auf Montage einer Mini-PV-Anlage an der Brüstung seines Südbalkons. Testweise wurden zunächst zwei Solarmodule dort montiert, mit perfekter Südausrichtung, also optimal für die Anbringung und auch optisch sicher vertretbar, insbesondere wenn alle Eigentümer mitgemacht hätten. Deren kleinere Balkone mit Nord- oder Westausrichtung erlaubten aber die Montage aus Platzgründen nicht und versprachen auch keinen nennenswerten Solarertrag.

Genug Platz bot dagegen das gemeinschaftliche Flachdach, und zwar für die Anlagen aller Miteigentümer, die eine solche betreiben wollen. Dort lassen sich die Solarmodule perfekt ausrichten, ohne zu stören oder die Fassade zu verändern und vor allem ohne Abschattungen, sodass alle Wohnungen denselben Solarertrag erwarten können. Acht Mini-PV-Anlagen benötigen insgesamt 31,26 qm Fläche bei einer PV-Generatorleistung von insgesamt 6,64 kWp.

Jeweils zwei Solarmodule pro Wohnung wurden leicht geneigt in West-Ost-Richtung aufgestellt. So fällt die maxi­male Leistung gegenüber einer reinen Südausrichtung zwar geringer aus, die Module werden aber über einen längeren Zeitraum von der Sonne beschienen. Simulationsrechnungen ergaben einen um 30 Prozent höheren Solarertrag als bei Montage an der Brüstung des Südbalkons.

Wie kommt der Strom vom Dach in die Wohnungen?

Über einen nicht genutzten Kaminschacht wurden zunächst sämtliche Kabel vom Dach in den Keller geführt, dort auf die Wechselrichter der jeweiligen Wohnungen gelegt, sodass im Elektroanschlussraum die vom Wechselrichter erzeugten 230 Volt in die Stromkreise der einzelnen Wohnungen eingespeist werden. Kosten pro Wohnung inklusive Montage und Anmeldung bei Netzbetreiber und Bundesnetzagentur: 1.500 Euro.

Die einzelnen Wechselrichter können per Internetver-bindung überwacht und Störungen rechtzeitig erkannt werden. Über eine Smartphone-App können sich Eigen­tümer die erzeugte Leistung jederzeit anzeigen lassen.

Aktuell werden acht Wohnungen und der Allgemein­stromzähler mit dem Strom vom Dach versorgt – im ersten Betriebsjahr mit 655 kWh pro Anlage, davon ca. 90 Prozent selbst genutzt. Bei einem Strompreis von 40 ct/kWh spart dies jährlich 240 Euro und macht etwa 20 Prozent des Strombedarfs jeder Wohnung aus. Jede selbst erzeugte Kilowattstunde Strom spart darüber hinaus ca. 550 Gramm CO2 ein, pro Wohnung und Jahr 360 Kilo. Ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz, der bereits überzeugte Nachahmer gefunden hat.

Marx, Dr. Guido

Ehemaliger Geschäfts­führer der GEBE ImmobilienManagement GmbH,
Unterstützer innovativer WEG-Projekte
dr-marx@vvv-immobilien.de