01.06.2017 Ausgabe: 4/2017

Vor bösen Über­raschungen niemals gefeit

Sanierung im großen Stil – so war in DDIVaktuell 5/16 der Bericht über die Balkon- und Fassadensanierung einer Wohnanlage südlich von München betitelt. Hier folgt Teil 2: gleiches Bauensemble, ganz neue Probleme.

Zwei zehnstöckige Hochhäuser in einem gut erschlossenen Wohngebiet nahe München: Die in die Jahre gekommenen Gebäude weisen zahlreiche Betonschäden in Form von Abplatzungen und Rissen sowie durch in Eigenregie durchgeführte Veränderungen auf, u. a. verschiedenartigste Anstriche in den Balkonnischen. Obwohl beide Häuser in ihrer Konstruktionsart baugleich sind zu den benachbarten Objekten, die bereits saniert wurden, kamen hier nun schon fast unglaubliche Gegebenheiten ans Licht.

Nach Beschluss der Maßnahme dauerte die komplette Vorbereitung bis zur Auftragserteilung an eine kompetente Fachfirma nur ca. sechs Monate. Die Bauzeit von Mitte März bis Mitte Dezember 2016 betrug neun Monate. Dabei waren auf Grund des unerwarteten erheblichen Mehraufwands, der im Folgenden erläutert wird, zeitweise bis zu 60 Personen zugleich am Objekt beschäftigt.

 

Die Maßnahmen im Überblick

Bei den beiden knapp 50 Jahre alten Hochhäusern waren vielfältige Schäden an den Balkonbrüstungen und -untersichten erkennbar. Die Verkehrsflächen der als Durchlaufplatten auf Kragarmen ausgebildeten insgesamt 176 Balkone wiesen unterschiedlichste Altbeläge mit vielen Hohlstellen, Rissbildungen und Beschädigungen auf, sodass alle Beläge rückgebaut wurden und im ersten Schritt die Stahlbetonplatten sowie die Brüstungen gemäß Richtlinie „Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen“ des DAfStb saniert wurden. Darauf folgend erhielten alle Balkone einen Verbund-Gefälleestrich mit neuer vollflächiger Abdichtungslage und abschließend einen rutschhemmenden Fliesenbelag. Die Kombination aus Gefälle, neuer Abdichtung und neuen Wasserspeiern gewährleistet nun die geregelte Ableitung des Wassers und sichert sowohl die Langlebigkeit als auch die Gebrauchstauglichkeit der Balkone, deren Untersichten parallel dazu bearbeitet wurden. Zudem erhielten die Außenseiten einen rissüberbrückenden Anstrich, und auf den sanierten Bestandsbrüstungen wurden neue mehrteilige Handläufe installiert, um die geforderten Geländerhöhen zu erreichen.

 

Unerwartete Herausforderung

Im Zuge der Bearbeitung der Schadstellen an den Stahlbeton-Fassadenplatten – mit der Funktion einer Wetterschutzschale – offenbarte sich eine böse Überraschung. Da mehrere Platten „wackelten“, wurden auf Empfehlung der Bauleitung und im Beisein eines Statikers mehrere Verankerungspunkte freigelegt. Es zeigte sich, dass bei einer zurückliegenden Altsanierung zahlreiche „Bewehrungsschlaufen“ durchtrennt worden waren. Die Standsicherheit der Vorsatzfassade war somit gar nicht mehr nachweislich gegeben. Außerplanmäßiger Mehraufwand: „Lagesicherung der Wetterschale“.

 

Instandsetzung der Wetterschale

Der Aufbau der Fassade besteht aus vorgehängten ca. 11 cm starken Stahlbetonplatten und einer 40 mm Kerndämmung. Sollten ursprünglich nur Schadstellen, Abplatzungen und Risse instand gesetzt und anschließend ein OS4-Oberflächenschutzsystem aus Feinspachtelung und zweifachem Anstrich als Karbonatisierungsbremse aufgebracht werden, stand nun zudem die mangelhafte Standsicherheit als Problem im Raum. Bei der Überprüfung des Ist-Zustands der Bestandsbewehrung an bisher unangetasteten Konsolenbewehrungen stellte der Statiker durch weitergehende Probeöffnungen fest, dass hier weder Zugband noch Querkraftbügel vorhanden waren, somit alle Platten nachträglich wirksam in der Konstruktion verankert werden mussten. Dafür erarbeitete der Statiker in enger Abstimmung mit der Bauleitung und einem namhaften Dübelhersteller eigens ein Befestigungskonzept aus: Je zwei Querkraftdübel und vier Zuganker pro Platte nehmen nun das Eigengewicht der Platten von je ca. 1,4 t und die Windsogkräfte von 9,1 kN/Platte – was 910 kg entspricht! – zielsicher auf. An beiden Hochhäusern mussten je 242 Platten an der tragenden Stahlbetonkonstruktion verankert werden. 

 

Einbau der Wetterschalen-­Sanierungsanker

Der Einbau der Sanierungsanker erforderte größte Sorgfalt und musste nach den Vorgaben des Herstellers, eines Prüfstatikers und unter Berücksichtigung der Zulassungsbedingungen in fünf ­Einzelschritten erfolgen:

  • Kernbohrung (D = 40 mm) und Nachbohren des Ausbruchendes sowie Prüfung der Bohrtiefe ­mittels einer eigens angefertigten Lehre
  • Reinigung des Bohrlochs mit einer Bürste und anschließendes Absaugen des Bohrstaubes mittels Staubsauger
  • Einpressen des Injektionsmörtels in die Tragschicht mittels ­Einpresspistole
  • Eindrücken des Edelstahl-Dübels FWS II – A und Überprüfen der Einbringtiefe
  • Verpressen des Dübels in der Wetterschale, dessen Spezialausfertigung das „Weglaufen“ des Injektionsmörtels in die Kern­dämmung verhindert

     

Schrecken ohne Ende

Eine weitere Überraschung hielt das marode Flachdach eines der Gebäude bereit: Ein Starkregen während der ­Sanierung bescherte massiven Wasser­einbruch. Wie sich herausstellte, war die nur wenige Zentimeter starke Dämmung komplett durchfeuchtet, besaß keinerlei Dämmfunktion mehr. So war „nebenbei“ zusätzlich die Sanierung des Dachs sowie der vorgehängten hinterlüfteten Fassade des Dachaufbaus vorzunehmen. Dass die komplette Sanierungsmaßnahme trotz des erhöhten Leistungsvolumens innerhalb eines dreiviertel Jahres durchgeführt werden konnte, ist nur dem Engagement der zahlreichen vor Ort Beschäftigten zu verdanken – dies sei an dieser Stelle ausdrücklich erwähnt.

Als Glück im Unglück kann man in diesem Fall die Entdeckung der durchtrennten ­tragenden Bewehrungsteile bezeichnen – eine solche „Sanierung“ erfüllt den Straftatbestand der groben Fahrlässigkeit. Wäre dies unentdeckt geblieben, hätten herabstürzende Betonplatten katastrophale Schäden anrichten können. Wie man berichtete, sei die dafür verantwortliche Vorsanierung seinerzeit ohne Bauleitung ­ausgeführt worden. 
 


 

Eger, Rainer

Dipl.-Ing. Rainer Eger plant und begleitet seit über 20 Jahren Maßnahmen der Beton- und Bauwerkinstandsetzung. Die praxisnahe Planung von Betonsanierungen ist sein persönliches Anliegen. www.eger-ing.de