27.05.2022 Ausgabe: 4/22

WEG-Recht: Anspruch gegen ehemalige Verwaltung auf Vorschuss für die Neuerstellung von Jahresabrechnungen

(BGH, Urteil vom 26.2.2021 – Az. V ZR 290/19)


DAS THEMA
Die Entscheidung hat eine feinsinnige rechtliche Frage zum Gegenstand, die in der Praxis jedoch erhebliche Konsequen­zen haben kann: Kann die Wohnungseigentümergemeinschaft werkvertragliche Ansprüche gegen einen Verwalter gel­tend machen, der eine Jahresabrechnung nicht ordnungsgemäß erstellt hat? Der Bundesgerichtshof (BGH) setzt sich mit der Frage rechtlich differenziert ausei­nander und nimmt zudem eine für die Anwendbarkeit eines werkvertraglichen Vorschussanspruchs auf die Erstellung der Jahresabrechnung wichtige Weichenstel­lung vor, die im Zweck der beauftragten Jahresabrechnung selbst begründet ist.


DER FALL
Die Beklagte war in den Jahren 2005 bis 2009 zur Verwalterin der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft bestellt. Im Rahmen dieser Tätigkeit erstellte sie die Jahresabrechnungen für die Jahre 2005 bis 2008. Die Beschlüsse, durch die die Jahresabrechnungen genehmigt worden waren, wurden gerichtlich für ungültig erklärt. Daraufhin erstellte die Beklagte die Abrechnungen neu. Diese wurden aber auf der Eigentümerversammlung im Jahre 2012 nicht genehmigt. Die Wohnungsei­gentümer ließen die Beklagte vielmehr durch einen Rechtsanwalt auffordern, die Jahresabrechnungen schlüssig und nach­vollziehbar neu zu erstellen. Die Beklagte lehnte dies ab, weil die bereits erstellten Abrechnungen formell und materiell rich­tig seien und den gesetzlichen Vorgaben entsprächen. Die klagende Eigentümerge­meinschaft verlangt von der Beklagten in erster Linie die Zahlung eines Vorschusses für die Neuerstellung der Jahresabrech­nungen, hilfsweise deren Neuerstellung.

Das Amtsgericht hat die Beklagte – unter Abweisung des Hauptantrags auf Vor­schusszahlung – zur Neuerstellung der Abrechnungen verurteilt. Auf die Beru­fung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagte wiederum nach dem Haupt­antrag zur Vorschusszahlung verurteilt. Dagegen wendet sich die Beklagte mit der Revision, mit der sie weiterhin die Zurückweisung der Berufung der Kläge­rin erreichen will. Die Revision vor dem BGH hatte keinen Erfolg und führte zur Bestätigung des landgerichtlichen Urteils.

Nach Ansicht des Berufungsgerichtes kann die Klägerin von der Beklagten nach § 637 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen Vorschuss für die Neuerstellung der Jahresabrechnungen verlangen. Die Vorschrift aus dem Werkvertragsrecht sei anwendbar, weil die Verpflichtung des Verwalters zur Aufstellung der Jahresab­rechnung als Teil der ihm obliegenden Geschäftsbesorgung einen werkvertrag­lichen Charakter habe. Geschuldet werde ein Abrechnungserfolg, welcher erst mit der Vorlage einer mangelfreien Abrech­nung eintrete. Die Anwendung des § 637 Abs. 3 BGB stehe nicht in Widerspruch zur BGH-Rechtsprechung. Nach dieser sei die Jahresabrechnung zwar eine nicht vertretbare Leistung, weil die Verwaltung auch zur Versicherung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Abrechnung an Eides statt verpflichtet sei. Dies gelte aber nur im Rahmen der Vollstreckung eines auf die Erstellung einer Abrechnung lautenden Urteils. Die Abrechnung als solche könne aber auch von einem Dritten erstellt wer­den und sei keine unvertretbare Handlung.

Die Entscheidung des Landgerichts wurde vom BGH im Ergebnis bestätigt. Die Kläge­rin kann – so der BGH – von der Beklag­ten einen Vorschuss für die Neuerstellung der Jahresabrechnungen nach § 637 Abs. 3 BGB verlangen, weil diese werkvertragli­che Vorschrift auf die Verpflichtung der Verwaltung einer Eigentümergemeinschaft zur Aufstellung einer Jahresabrechnung anwendbar ist. Zwar ist der Verwalterver­trag nach ständiger Rechtsprechung des BGH ein auf Geschäftsbesorgung gerichte­ter Dienstvertrag. Nach dem Verwalterver­trag und dem Wohnungseigentumsgesetz (WEG) schulden Verwalter aber auch erfolgsbezogene Tätigkeiten. Dazu gehört die Aufstellung der Jahresabrechnung, zu der eine Verwaltung nach § 28 WEG ver­pflichtet ist. Der geschuldete Erfolg liegt in der Auswertung der Belege und, als Ergeb­nis dieser Auswertung, in der Erstellung einer Jahresabrechnung, deren Darstellung in beschlussfähiger Form sowie Vorlage zur Vorbereitung der Beschlussfassung an die Wohnungseigentümer. Dieser Teil der Verwaltungstätigkeit hat damit einen eindeutigen werkvertraglichen Charak­ter. Störungen bei der Erbringung dieser erfolgsbezogenen Leistung lassen sich mit der Anwendung des Dienstvertragsrechts nicht sachgerecht bewältigen, sodass inso­weit das Werkvertragsrecht anzuwenden ist. So ist die Verwaltung beispielsweise verpflichtet, eine fehlerhafte Jahresabrech­nung nachzubessern oder eine unbrauch­bare durch eine prüf- und beschlussfähige zu ersetzen.

Der streitgegenständliche Anspruch auf Vorschusszahlung setzt des Weiteren voraus, dass die Erstellung der Jahresab­rechnung eine vertretbare Handlung ist. Andernfalls wäre die Eigentümergemein­schaft nicht imstande, sie selbst aufzustel­len oder durch einen kundigen Dritten aufstellen zu lassen, sodass auch ein Vor­schuss nicht in Betracht käme. Die Beantwortung der Frage, ob die Aufstellung der Jahresabrechnung durch die Verwaltung eine vertretbare oder eine nicht vertret­bare Handlung ist, bestimmt sich danach, ob nur das Zahlenwerk der Abrechnung zu erstellen ist oder auch versichert wer­den soll, dass die bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums angefal­lenen Einnahmen und Ausgaben nach bestem Wissen vollständig angegeben wurden. An dieser Stelle stellt der BGH eine für die Frage nach der Anwendbarkeit des § 637 Abs. 3 BGB und somit nach dem Vorliegen eines Vorschussanspruchs wich­tige Weiche: Strebt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer mit der Vorlage der Jahresabrechnung durch die Verwaltung auch oder nur die Rechnungslegung zur Kontrolle der Amtsführung an – was unter den Voraussetzungen der §§ 28 Abs. 4 WEG a. F., 259 Abs. 2 BGB bzw. §§ 675, 666, 259 Abs. 2 BGB möglich ist – und verlangt uneingeschränkt die Aufstellung der Jahresabrechnung und damit auch die Versicherung, alle Einnahmen und Ausga­ben nach bestem Wissen angegeben zu haben, ist die Aufstellung eine unvertret­bare Handlung, auf die § 637 Abs. 3 BGB keine Anwendung findet. Soll die Verwal­tung die Jahresabrechnung hingegen – wie hier – unabhängig von der Verpflichtung zur Rechnungslegung nur erstellen und vorlegen, um den Wohnungseigentü­mern die (in § 28 Abs. 2 S. 1 WEG vor­geschriebene) Beschlussfassung über die Einforderung von Nachschüssen und die Anpassung von Vorschüssen zu ermögli­chen, und wird deshalb nur die Erstellung des Zahlenwerks verlangt, ist die Aufstel­lung der Jahresabrechnung eine vertret­bare Handlung. Dazu sind Verwaltungen verpflichtet, wenn sich die Wohnungsei­gentümer anders nicht sachgerecht auf die Beschlussfassung vorbereiten kön­nen, wobei diese Voraussetzung bei den aufgrund der Jahresabrechnung zu fas­senden Beschlüssen stets gegeben ist. Deshalb schreibt der neu gefasste § 28 Abs. 2 S. 2 WEG – deutlicher als § 28 Abs. 3 WEG a. F. – vor, dass Verwaltungen solche Beschlüsse durch die Vorlage einer Abrechnung des Wirtschaftsplans, die auch eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben umfasst, vorzubereiten haben. Auf diese Verpflichtung ist § 637 Abs. 3 BGB anzuwenden.

Ist die erstellte Jahresabrechnung nicht ordnungsgemäß, kann und muss die Eigentümergemeinschaft dafür Sorge tragen, dass eine beschlussfähige erstellt wird. Dazu muss sie von der Verwaltung zunächst gemäß § 634 Nr. 1 BGB Nach­erfüllung verlangen, woraufhin diese ver­pflichtet ist, eine neue oder korrigierte Abrechnung vorzulegen. Scheitert – wie hier – die Nacherfüllung, kann die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die in § 634 Nr. 2 bis 4 BGB bestimmten Sekundäransprüche gegen die Verwal­tung geltend machen. Dazu gehört nicht nur der im Ergebnis allgemein anerkannte Anspruch der Gemeinschaft auf Ersatz des Schadens, der ihr durch die Beauf­tragung eines Dritten entsteht. Vielmehr kann die Eigentümergemeinschaft die zur Beschlussvorbereitung erforderliche Jah­resabrechnung gemäß §§ 634 Nr. 2, 637 Abs. 1 BGB selbst erstellen bzw. erstellen lassen und von ihrer Verwaltung Ersatz der dafür erforderlichen Aufwendungen verlangen und im Vorgriff darauf unter den Voraussetzungen von § 637 Abs. 3 BGB einen Vorschuss.


VERWALTERSTRATEGIE
Die Entscheidung sollte genau beachtet werden, weil sich dadurch eventuell eine Inanspruchnahme durch die Wohnungseigentümergemeinschaft vermeiden lässt. Diese wird zwar in der Regel nicht nur Interesse an der Vorlage der Jahresabrechnung zur Beschlussvorbereitung haben, sondern auch an der Versicherung, dass die bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums angefallenen Einnahmen und Ausgaben nach bestem Wissen vollständig angegeben wurden. Sie wird deshalb regelmäßig nicht nur ihren Anspruch auf Aufstellung der Jahresabrechnung zur Beschlussvorbereitung geltend machen, sondern auch den auf Rechnungslegung und deshalb nicht nur das Zahlenwerk, sondern auch die Versicherung verlangen. In diesem Fall wäre der Vorschussanspruch ausgeschlossen. Anders kann es aber liegen, wenn der Verwaltung die Vorlage einer beschlussfähigen Jahresabrechnung nicht gelungen ist und es der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer nur noch darum geht, möglichst rasch zu einer Beschlussfassung über Nachzahlungen und Erstattungen aus den abzurechnenden Kalenderjahren zu gelangen. Es kann und wird dann regelmäßig auch ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, zunächst nur die Erstellung der Jahresabrechnung zur Beschlussvorbereitung zu verlangen und über die Geltendmachung des Anspruchs auf Rechnungslegung später zu entscheiden. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer kann sich dann auf die Geltendmachung ihres Beschlussvorbereitungsanspruchs beschränken und von ihrer Verwaltung nur die Erstellung der Jahresabrechnung als Zahlenwerk verlangen.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com