04.06.2024 Ausgabe: 4/24

WEG-Recht: Beschlüsse, die auf einer Wohnungseigentümer versammlung durch den allein anwesenden Verwalter in Vertretung der Eigentümer gefasst werden, sind nicht nichtig.

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(BGH, Urteil vom 8.3.2024 – Az. V ZR 80/23)

Das Thema

Nach § 23 Abs. 1 S. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) fassen die Wohnungseigentümer zur Ordnung der Angelegenheiten der Gemeinschaft der Wohnungseigen­tümer (GdWE) in einer Versammlung Beschlüsse. Nach der überwiegenden Meinung in der Literatur und der erstinstanzlichen Rechtsprechung kann das Recht eines Wohnungseigentümers auf persönliche Teilnahme an der Versammlung nicht vollständig ausgeschlossen werden, es sei Teil des mitgliedschaftlichen Kernbereichs, die Ver­sammlung hat zumindest auch physisch stattzufinden. Dieser Voraussetzung stand jedoch das Versammlungs­verbot während der Corona-Pandemie diametral entgegen. Zur Lösung dieses Dilemmas behalf sich die Praxis oftmals mit der Organisation von sogenannten „Vertreterversammlungen“. Ob die auf einer solchen Versammlung gefassten Beschlüsse nichtig oder nur anfechtbar sind, hat der Bundesgerichtshof (BGH) mit folgendem Urteil entschieden.

Der Fall

Die Kläger sind Mitglieder der beklagten GdWE und wenden sich gegen die auf einer sogenannten „Vertreterversammlung“ gefassten Beschlüsse. Aufgrund des herrschenden Versammlungsverbots wäh­rend der Corona-Pandemie übermittelte die Verwalterin den Eigentümern eine Ladung zur Eigentümerver­sammlung mit folgendem Inhalt: „Die Versammlung findet schriftlich am 24.11.2020 statt. Bitte (...) senden Sie uns die Vollmacht sowie das ausgefüllte Weisungsdokument zu.“

Nur fünf von vierundzwanzig Wohnungseigentümern erteilten der Verwalterin daraufhin eine Vollmacht, worauf­hin die Verwalterin allein und aufgrund der ihr erteilten Vollmachten eine Versammlung abhielt.

Die klagenden Eigentümer hatten ihre Beschlussmängel-klage zunächst – fälschlicherweise – gegen die übrigen Wohnungseigentümer erhoben. Das Gericht hatte auf­grund des Versäumnisses der Anfechtungsfrist des § 45 S. 1 WEG daher nur darüber zu entscheiden, ob die auf der „Vertreterversammlung“ gefassten Beschlüsse nichtig sind.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sind die Be­schlüsse nicht nichtig, obwohl die „Vertreterversammlung“ nicht die Voraussetzungen des Wohnungseigentums-gesetzes an die Einberufung und Abhaltung einer Eigentümerversammlung erfüllt.

Denn die tatsächlich abgehaltene Vertreterversammlung ist nur dann zulässig, wenn sämtliche Wohnungseigentümer auf ihr Recht, persönlich an der Versammlung teilzunehmen, verzichten und andererseits den Verwalter zur Teilnahme und Stimmabgabe an ihrer statt bevollmächtigen. Da nur fünf von vierundzwanzig Wohnungseigentümern mit dem Vorgehen einverstanden gewesen waren und der Verwalterin eine Vollmacht erteilt haben, hätte die Versammlung in Präsenz stattfinden müssen. Indem die Verwalterin die Versammlung ohne Möglichkeit für die Eigentümer, an der Versammlung persönlich teilzunehmen, geplant hat, hat sie zwar die Voraussetzungen der §§ 23, 34 WEG bewusst außer Acht gelassen. Allein deshalb sind die auf der Vertreter­versammlung gefassten Beschlüsse jedoch nicht nichtig.

Ein Beschluss ist gemäß § 23 Abs. 4 S. 1 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. § 24 WEG, der die für die Einberufung der Wohnungs-eigentümerversammlung einzuhaltende Form und die Fristen vorgibt, ist jedoch dispositiv und nicht Bestandteil der zwingenden Bestimmungen des Wohnungseigentums-gesetzes. Folge der Nichteinhaltung der durch Vereinbarung abänderbaren Vorschriften ist daher nicht die Nichtigkeit der Beschlüsse, sondern lediglich deren Anfechtbarkeit. Die Nichtigkeit eines Beschlusses kann im Ausnahmefall nur aus dem böswilligen Ausschluss eines Wohnungseigentümers von der Versammlung folgen, was während der Corona-Pan-demie schon aufgrund der zu diesem Zeitpunkt geltenden Gesetzeslage, die u. a. Versammlungsverbote umfasste, ausgeschlossen war. Denn die Verwalterin hat sich mit einer nicht lösbaren Konfliktsituation konfrontiert gesehen: Hält sie eine Eigentümerversammlung ab, missachtet sie das Infektionsschutzrecht und sieht sich einer Geldbuße ausgesetzt; entscheidet sie sich dagegen, missachtet sie den im Wohnungseigentumsrecht verankerten Grundsatz, einmal im Jahr eine Versammlung einzuberufen.

Die Entscheidung für eine „Vertreterversammlung“ folgt in einer solchen Ausnahmesituation praktischen Erwägungen; nur auf diese Weise hat eine Verwaltung den Wohnungs­eigentümern eine Beschlussfassung ermöglichen können. Dies hat, im Gegensatz zu der teilweisen Handhabung der Verwaltungen, gar keine Eigentümerversammlung abzuhalten, im Interesse der Wohnungseigentümer gelegen. Denn durch die „Vertreterversammlung“ war den Wohnungseigentümern zumindest der Weg zur gerichtlichen Kontrolle der gefassten Beschlüsse eröffnet. Zudem hätten die Eigentümer – auch, wenn sie sich bei der Stimmabgabe hätten vertreten lassen müssen – der Verwalterin eine konkrete Weisung erteilen können, wie sie das ihr übertragene Recht auszuüben hat.


VERWALTERSTRATEGIE

Mit vorstehendem Urteil hat der BGH die bis­lang höchstrichterlich noch nicht entschiedene und in der Rechtsprechung sowie Literatur kontrovers diskutierte Frage entschieden, ob Beschlüsse, die auf einer Versammlung an der die Wohnungseigentümer nur durch (zwingende) Erteilung einer Vollmacht an die Verwaltung partizipieren konnten, gefasst wurden, nichtig sind. Mit überzeugenden Argumenten hat der BGH sich von der über­wiegenden Meinung in der Literatur und der erstinstanzlichen Rechtsprechung abgewendet, wonach die Ladung zu einer sogenannten „Vertreterversammlung“ einer Ausladung der Eigentümer von der Versammlung gleichsteht. Vielmehr ist der Mangel nur ein formeller hinsichtlich der Art und Weise ihres Zustande­kommens, nicht jedoch ein inhaltlicher der zur Nichtigkeit führt. Die Wohnungseigentümer können auf die verletzten Rechte wirksam verzichten. Folge ist, dass die auf einer so­genannten „Vertreterversammlung“ gefassten Beschlüsse mittlerweile – wurden sie nicht wirksam angefochten und leiden sie nicht an einem anderen zur Nichtigkeit führenden Mangel – in Bestandskraft erwachsen sind.

Bordt, Franziska

Rechtsanwältin; Unternehmensrecht
Kanzlei Bub Memminger & Partner, München
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