07.09.2022 Ausgabe: 6/22

WEG-Recht: Erstattungsanspruch eines Wohnungseigentümers gegen die Miteigentümer

(BGH, Urteil vom 25.3.2022 – Az. V ZR 92/21)

Das Thema

Die Entscheidung beschäftigt sich punktuell mit der Frage nach den Erstattungsansprüchen eines ausgeschiedenen Wohnungseigentümers bei Tilgung von Verbindlichkei­ten der Eigentümergemeinschaft.

Der Fall

Die Parteien bildeten eine aus zwei Einheiten beste­hende Wohnungseigentümergemeinschaft, für die seit dem Jahr 2018 kein Verwalter mehr bestellt war. Der Beklagte veräußerte seine Einheit im Jahr 2019. Zuvor tilgten beide Parteien die Verbindlichkeiten der Gemein­schaft und verlangten wechselseitig die Erstattung der jeweils verauslagten Kosten in Höhe des Miteigentums-anteils des anderen.

Der Kläger hat von dem Beklagten die Zahlung von 7.068,49 Euro verlangt. Das Amtsgericht hat der Klage unter teilweiser Berücksichtigung wechselseitig zur Auf­rechnung gestellter Ansprüche in Höhe von 2.641,10 Euro stattgegeben. Die auf Zahlung weiterer 4.138,12 Euro gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht in der Hauptsache abgewiesen, nachdem es einen unmittel­baren, aufrechenbaren Ausgleichsanspruch des Beklagten gegen den Kläger nach § 9a Abs. 4 Wohnungseigentums-gesetz (WEG) bejaht hatte. Zwar finde die Vorschrift keine Anwendung auf Sozialverbindlichkeiten. Von diesem Grundsatz sei aber eine Ausnahme zu machen, wenn der Anspruchsteller aus der Gemeinschaft ausgeschieden sei. Der ausgeschiedene Wohnungseigentümer könne weder auf Beschlussfassungen der Gemeinschaft Ein­fluss nehmen noch über die Beschlussersetzungsklage ihre Ausstattung mit den zur Erfüllung der Ausgleichs­forderung notwendigen finanziellen Mitteln erreichen. Seine Position entspreche damit nicht mehr der eines Miteigentümers, sondern der eines außenstehenden Dritten. Aus diesem Grund müsse ihm als ausgeschiede­nem Miteigentümer der anteilige Rückgriff gegen andere Miteigentümer aus § 9a Abs. 4 WEG eröffnet werden. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung der Beklagte beantragt, verfolgt der Kläger den aufgrund der Aufrechnung des Beklagten abgewie­senen Teil seiner Klage in Höhe von 4.138,12 Euro nebst Zinsen weiter. Die Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hat Erfolg.

Der BGH verneint entgegen der Ansicht des Beru­fungsgerichts die Erfüllungswirkung der Aufrechnung des Beklagten, da es trotz dessen Ausscheidens aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer an einer Anspruchsgrundlage für einen unmittelbaren Aufwendungsersatzanspruch gegen den Kläger fehlt. Die Frage nach dem Ausgleichsanspruch beurteilt der BGH dabei nach WEG in der bis 30. November 2020 geltenden Fassung, da der maßgebliche Sachverhalt, nämlich die Tilgung von Verbindlichkeiten der Gemeinschaft, bereits abgeschlossen ist.

Ausgangspunkt ist dabei, dass dem einzelnen Wohnungs­eigentümer, der eine Verbindlichkeit der Gemeinschaft tilgt, nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften unabhängig von der Anspruchsgrundlage nur gegenüber der Gemeinschaft ein Aufwendungsersatzanspruch zuste­hen kann. Da der in Vorlage tretende Wohnungseigen­tümer für die Gemeinschaft tätig wird und sie von ihrer Schuld (vgl. § 10 Abs. 6 S. 2 WEG a. F.) befreit, ergibt sich ein Erstattungsanspruch gegen die übrigen Wohnungs­eigentümer weder aus den Grundsätzen der Geschäfts­führung ohne Auftrag noch aus dem Bereicherungsrecht.

Auch die Haftung eines Wohnungseigentümers nach § 10 Abs. 8 S. 1 WEG a. F. (entspricht § 9a Abs. 4 S. 1 WEG n. F.) für Verbindlichkeiten der Gemeinschaft gegen­über einem anderen Wohnungseigentümer scheidet aus, wenn es sich um Ansprüche handelt, die aus dem Gemeinschaftsverhältnis herrühren (sog. Sozialverbind­lichkeiten). Zu ihnen gehören die hier streitgegenständ­lichen Aufwendungsersatzansprüche wegen der Tilgung einer Verbindlichkeit der Gemeinschaft.

Nach diesen Maßstäben kann der Beklagte allein die Gemeinschaft auf Ersatz der für sie getätigten Auf­wendungen in Anspruch nehmen. Nichts anderes gilt in einer Zweiergemeinschaft, in der ein Verwalter nicht bestellt ist und in der wegen des Kopfstimmrechts keine Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, oder wenn der zwi­schenzeitlich aus der Gemeinschaft ausgeschiedene Wohnungseigentümer für die während seiner Zuge­hörigkeit zu der Gemeinschaft entstandenen oder während dieses Zeitraums fällig gewordenen Verbind­lichkeiten der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in Anspruch genommen werden soll. Zwar nimmt ein ausgeschiedener Wohnungseigentümer nach der Veräu­ßerung seiner Einheit die Stellung eines außenstehen­den Dritten ein (so ist es ihm z. B. nicht mehr möglich, unmittelbar auf die Beschlussfassung der Gemeinschaft Einfluss zu nehmen und eine Beschlussersetzungs-klage nach § 44 Abs. 1 S. 2 WEG anzustrengen). Das Ausscheiden ändert aber nichts daran, dass es sich bei dem noch während seiner Mitgliedschaft entstandenen Erstattungsanspruch gegen die Gemeinschaft um eine Sozialverbindlichkeit handelt, auf die § 10 Abs. 8 WEG a. F. nicht anwendbar ist. Ob der Haftungstatbestand des § 10 Abs. 8 S. 1 WEG a. F. greift, bestimmt sich vielmehr nach der Art des gegen die Gemeinschaft begründeten Anspruchs im Zeitpunkt seines Entstehens. Forderun­gen eines Wohnungseigentümers auf Aufwendungs-erstattung wegen der Tilgung einer Verbindlichkeit der Gemeinschaft haben ihre Grundlage ausschließlich in dem Gemeinschaftsverhältnis und sind untrennbar mit der Stellung des Ausgleichsberechtigten als (früherem) Wohnungseigentümer verbunden.

In der Folge muss sich der ausgeschiedene Wohnungs­eigentümer an die Gemeinschaft als Schuldnerin sei­ner Ersatzforderung halten, was ihm auch zumutbar ist. Ist die Gemeinschaft nicht mit Finanzmitteln aus­gestattet und fehlen Beschlüsse über Wirtschaftspläne, Jahresabrechnungen oder die Erhebung einer Sonder­umlage, kann der Gläubiger den Anspruch der Gemein­schaft gegen ihre Mitglieder auf ordnungsmäßige Verwaltung, insbesondere durch Beschlussfassungen über die Zuführung von Mitteln an die Gemeinschaft, oder aber deren Schadensersatzansprüche wegen Ver­letzung der Pflichten der Mitglieder im Zusammen­hang mit der ordnungsgemäßen Finanzausstattung der Gemeinschaft pfänden. Die mit einer solchen Vor­gehensweise eventuell verbundenen Schwierigkeiten treffen den ausgeschiedenen Wohnungseigentümer nicht derart unvermeidbar wie einen unbeteiligten Dritten. Der frühere Eigentümer kann die Innenver­hältnisse der Gemeinschaft zum einen erheblich bes­ser überblicken und die Vollstreckung deshalb von vornherein zielgerichteter angehen. Zum anderen hat es jeder Wohnungseigentümer in der Hand, noch vor der Veräußerung seiner Einheit die Erstattung sei­ner Aufwendungen durch Beschlussanträge und ggf. Beschlussersetzungsklagen für eine ordnungsgemäße Finanzausstattung der Gemeinschaft zu verfolgen. Zudem steht es ihm offen, geeignete Vereinbarungen mit seinem Erwerber zu treffen, um letztlich den von ihm angestrebten Ausgleich zu erreichen.


Verwalterstrategie 

Für Verwalter ist die Entscheidung insoweit interessant, als sie veranschaulicht, wie sich durch rechtzeitige Vorsorge Streitigkeiten zwischen einem ausgeschiedenen Wohnungseigentümer und der Gemeinschaft bzw. den übrigen Wohnungseigentümern wegen eines Erstattungsanspruchs des ausgeschiedenen Wohnungseigentümers vermeiden lassen.

 

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com