10.03.2022 Ausgabe: 2/20

WEG-Recht: Nutzungsverbot der Sondereigentums und Definition der „Zerstörung"

(BGH, Urteil vom 15.10.2021 – Az. V ZR 225/20)


DAS THEMA
Die streitgegenständliche Parkgarage wurde bereits jahrelang zur Hälfte nicht mehr genutzt, da die Eigentümer beschlossen hatten, dass sie nicht mehr saniert wird und dies auch nicht mehr verlangt werden kann. Nun sollte auch die zweite Hälfte wegen erheblicher Brandschutzmängel nicht mehr genutzt werden dürfen. Hiergegen wehrt sich der Sondereigentümer dieser zweiten Garageneinheit. Mit Erfolg?


DER FALL
Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Das gemeinschaftliche Grundstück ist mit einem Parkhaus mit elf Ebenen bebaut. Nach der Teilungserklärung bilden die Ebenen eins bis drei das Teileigentumsrecht 1 und die Ebenen vier bis elf das Teileigentumsrecht 2. Die Klägerin ist Sondereigentümerin des Teileigentumsrechts 1, das über eine eigene Zufahrt verfügt und zusammen mit dem benachbarten Hotelgebäude der Klägerin vermietet ist („Hotelparkhaus“). Die Beklagten zu 1 bis 3 sind die übrigen Wohnungseigentümer; die Beklagten zu 2 und 3 verfügen über die Mehrheit der Stimmen.

Aufgrund einer Begehung des Hotelparkhauses im Jahr 2016 forderte das Bauordnungsamt die Verwalterin der Eigentümergemeinschaft auf, binnen zwei Monaten Nachweise zu erbringen, dass die brandschutztechnischen Mindeststandards eingehalten sind und die Standsicherheit auch im Brandfall gewährleistet ist. Daraufhin fassten die Wohnungseigentümer am25. Oktober 2016 zu TOP 10 folgenden Beschluss: „Die Ebenen 1 bis 3 des Parkhauses dürfen, insbesondere aufgrund der im Schreiben der Stadt A. (Bauordnungsamt) vom 19.10.2016 dargestellten Bedenken im Hinblick auf den nicht eingehaltenen Brandschutz, aus Gründen der Verkehrssicherheit ab sofort nicht mehr genutzt werden.“ Und weiter: „Die Hausverwaltung wird namens und im Auftrag der WEG als Verband beauftragt und bevollmächtigt, die unverzügliche Schließung der Ebenen 1 bis 3 zu erwirken. Diesbezüglich ist die Hausverwaltung berechtigt, die Eigentümer und Nutzer des Parkhauses zur unverzüglichen Beendigung der Nutzung und der weiteren Unterlassung der Nutzung aufzufordern und im Übrigen – soweit die Nutzung nicht freiwillig beendet wird oder nicht unterlassen diesbezüglich wird eine Sonderumlage in einer gesamten Höhe von 10.000,00 € beschlossen, welche nach Miteigentumsanteilen aufzubringen ist.“ Letztlich beschloss die Gemeinschaft: „Die Eigentümergemeinschaft hat einen bestandskräftigen Beschluss darüber gefasst, dass eine Sanierung des Parkhauses insgesamt nicht stattfindet. Vor diesem Hintergrund wird den Eigentümern der Ebenen 1 bis 3 des Parkhauses gestattet, die im Bereich des Brandschutzes nachzurüstenden notwendigen baulichen Maßnahmen auf eigene Kosten durch einen Fachkundigen prüfen zu lassen und die erforderlichen Ertüchtigungsmaßnahmen auf eigene Kosten und im eigenen Namen zu beauftragen. Die Hausverwaltung ist bevollmächtigt, den Eigentümern der in den Ebenen 1 bis 3 befindlichen Stellplatzeinheiten die Nutzung der Stellplätze auf den Ebenen 1 und 2 wieder zu gestatten, sobald ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Brandschutz sowie Prüfsachverständiger bzw. die Feuerwehr bestätigt, dass die sich für eine Nutzung der Ebenen ergebenden Erfordernisse des Brandschutzes vollständig erfüllt sind und gegen die Wiederaufnahme der Nutzung keine Bedenken bestehen (…). Die Gutachter sollen auch Stellung hierzu nehmen, inwieweit Zwischenlösungen oder Notmaßnahmen durchgeführt werden können, sodass gegen die Nutzung keine Bedenken mehr bestehen und die Hausverwaltung den Eigentümern der in den Ebenen 1 bis 3 befindlichen Stellplatzeinheiten die Nutzung der Stellplätze auf den Ebenen 1 und 2 wieder gestatten kann – bis zum Abschluss der gesamten bzw. weitreichenderen Maßnahmen gemäß vorstehendem Absatz. Abweichend zu vorstehendem Absatz – d. h. schnelle Freigabe zur Nutzung – reicht ein Gutachten eines Sachverständigen für Brandschutz (…) aus. Auch insoweit haben die Eigentümer der Ebenen 1 bis 3 die hierfür anfallenden Kosten der Sachverständigen zu tragen.“

Die dagegen gerichtete Beschlussmängelklage der Klägerin hat das Amtsgericht abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Landgericht – soweit noch von Interesse – zurückgewiesen. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten zu 2 und 3 beantragen, will die Klägerin weiterhin erreichen, dass der Beschluss für ungültig erklärt wird.

Die Revision hat Erfolg. Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt fest, dass den gefassten Beschlüssen grundsätzlich kein auf das Sondereigentum bezogenes Nutzungsrecht zu entnehmen ist. Vielmehr wird (nur) die Nutzung des Gemeinschaftseigentums untersagt. Zwar wird zwangsläufig auch die Nutzung des Sondereigentums unterbunden, jedoch lässt sich daraus nicht schließen, dass die Gemeinschaft ihre auf das Gemeinschaftseigentum beschränkte Beschlusskompetenz überschreiten wollte. Allerdings durfte die Eigentümergemeinschaft kein dauerhaftes
Nutzungsverbot verhängen. Dies hat sie faktisch dadurch getan, dass sie der Klägerin selbst die Beseitigung der Brandschutzmängel überantwortete. Die Gemeinschaft ist verpflichtet, Mängel am Gemeinschaftseigentum zu beseitigen. Hierbei kann sie sich nicht darauf berufen, dass ihnen die damit einhergehenden Kosten nicht zuzumuten seien. Erst recht kann diese Aufgabe nicht auf einzelne Eigentümer abgewälzt werden.

Sofern sich die Beklagten darauf berufen, dass das Gebäude zu mehr als der Hälfte seines Wertes zerstört und der Schaden nicht durch eine Versicherung gedeckt ist, sodass ein Wiederaufbau gem. § 22 Abs. 4 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) a. F. (nun § 22 WEG) nicht verlangt werden kann, führt der BGH aus, dass dieser Zustand durch unterlassene Instandhaltung erfolgt war. Dies führt nicht zur Anwendung des § 22 Abs. 4 WEG a. F., sodass sich die Beklagten nicht darauf berufen können, dass ein Wiederaufbau nicht verlangt werden kann. Diese Norm ist vielmehr nur bei unerwarteten, punktuell eintretenden Schadensereignissen anwendbar, die zur Zerstörung des Gebäudes führen. Sie dient hingegen nicht dazu, das Verschleppen von Instandhaltungsmaßnahmen mit dem Wegfall der Sanierungspflicht zu „belohnen“.

VERWALTER STRATEGIE
Diese Entscheidung des BGH macht deutlich, welche Bedeutung der zeitnahen Instandsetzung von Gemeinschaftseigentum zukommt: Eine Verschleppung der Maßnahmen führt im Ergebnis zu massiven Kosten für die Wohnungseigentümer, die zusammen für die Sanierung aufkommen müssen. Ein Beschluss, eine Sanierung nicht durchzuführen und sich auf die Zerstörung der Immobilie zu berufen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Da die Durchführung von Instandhaltungsmaßnahmen Teil der ordnungsgemäßen Verwaltung des Gemeinschaftseigentums ist, muss der Verwalter hier für eine rasche Durchführung sorgen und gegebenenfalls Eigentümer über die hier dargelegte Folge einer Unterlassung aufklären: eine massive Kostensteigerung für jeden Eigentümer.
 

Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
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