02.12.2022 Ausgabe: 8/22

WEG-Recht: Verteilung des im Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts auf die Sondereigentümer

(BGH, Urteil vom 16.9.2022 – Az. V ZR 69/21)

Das Thema
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzt sich in dem Fall mit der Frage auseinander, wie der in einem Gebäudeversicherungsvertrag vereinbarte Selbstbehalt, der aufgrund von in den Wohneinheiten eines Sondereigentümers wiederholt auftretenden Schäden mit der Zeit immer höher wurde, auf die Eigentümer unterschiedlicher Einheiten zu verteilen ist.

Der Fall
Innerhalb einer Wohnungseigentümergemeinschaft gehören der Klägerin eine gewerbliche Einheit und der Beklagten mehrere Wohnungen. Die Gemeinschaft unterhält eine Gebäudeversicherung, die neben anderen Risiken auch Leitungswasserschäden abdeckt (sog. verbundene Gebäudeversicherung), wobei der Versicherungsschutz für das gesamte Gebäude besteht, ohne dass zwischen Sonder- und Gemeinschaftseigentum unterschieden wird. In der Vergangenheit traten aufgrund mangelhafter Leitungen wiederholt Wasserschäden in den Wohnungen der Beklagten auf, die sich allein im Jahr 2018 auf ca. 85.000 Euro beliefen. Abgesehen davon, dass die Gemeinschaft bereits seit geraumer Zeit vor Gericht Ansprüche gegen das für die Leitungslegung verantwortliche Unternehmen geltend macht, ist die Praxis in der Gemeinschaft bislang so, dass die Verwalterin bei einem Wasserschaden ein Fachunternehmen mit der Schadensbeseitigung beauftragt und die Kosten vom Gemeinschaftskonto begleicht. Sie nimmt die Versicherung in Anspruch und legt die Kosten unter Abzug der Versicherungsleistung nach Miteigentumsanteilen um, und zwar auch insoweit, als die Schäden im Bereich des Sondereigentums entstanden sind. Aufgrund der Schadenshäufigkeit beträgt der in jedem Schadensfall verbleibende Selbstbehalt inzwischen 7.500 Euro mit der Folge, dass die Versicherung nur noch ca. 25 Prozent der Schäden erstattet. Gestützt auf die Behauptung, das die Mängel an den Leitungen jeweils hinter den Absperreinrichtungen in den betroffenen Wohneinheiten aufgetreten seien, verlangt die Klägerin mit ihrer auf zwei Anträge gestützten Beschlussersetzungsklage gemäß § 44 Abs. 1 S. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) eine von der bisherigen Praxis abweichende Verteilung des Selbstbehalts.

Sie will erreichen, dass sie nicht aufgrund des im Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbehalts anteilig an den Kosten für die Beseitigung von Leitungs- und Folgeschäden beteiligt wird, die nach ihrer Ansicht ausschließlich an dem Sondereigentum der Beklagten entstanden sind; auch verweist sie darauf, dass in ihrer Einheit bislang kein Schaden aufgetreten ist.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin vor dem Landgericht ist erfolglos geblieben. Dagegen hat sich die Klägerin mit der zugelassenen Revision gewandt, die jedoch nach der Entscheidung des BGH teilweise Erfolg hatte.

Keinen Erfolg hatte die Revision, soweit sich die Klägerin mit dem Antrag zu 1) gegen die Rechtmäßigkeit der derzeitigen Verwaltungspraxis wendet.

Die für den Erfolg einer Beschlussersetzungsklage er- forderliche Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer betreffend den Antrag zu 1) sei zwar gegeben. Komme es für die Beurteilung, ob eine Verwaltungsmaßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht – wie hier – auf eine umstrittene und höchstrichterlich nicht geklärte Rechtsfrage an, sei die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt, durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, welche Auffassung für die künftige Verwaltungspraxis maßgeblich sein soll. Die Klägerin müsse sich auch nicht darauf verweisen lassen, dass der Rechtsstreit gegen das Unternehmen, das die Kupferrohrleitungen verlegt hatte, noch nicht abgeschlossen ist, weil dies den Regelungsbedarf für die Beschlussersetzungsklage nicht entfallen lasse, zumal die Dauer des Verfahrens nicht absehbar sei. Da die in der Gemeinschaft derzeit praktizierte Verteilung des Selbstbehalts bei einem Leitungswasserschaden nach Miteigentumsanteilen rechtmäßig sei, könne die Klägerin mit ihrem hierauf gerichteten Antrag zu 1) nicht verlangen, dass ein ihrer Rechtsauffassung entsprechender Beschluss durch das Gericht ersetzt wird. Tritt in einer Wohnungseigentumsanlage aufgrund einer defekten Wasserleitung ein Schaden ein, sei ein von der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer in der verbundenen Gebäudeversicherung vereinbarterSelbstbehalt wie die Versicherungsprämie nach dem gesetzlichen bzw. vereinbarten Verteilungsschlüssel zu verteilen. Dies gelte unabhängig davon, ob der Leitungswasserschaden an dem Gemeinschafts- oder an dem Sondereigentum entstanden ist. Zwar stelle nach versicherungsrechtlichen Maßstäben die Verein- barung eines Selbstbehalts im Versicherungsvertrag, bei dem der Versicherer einen bestimmten Betrag des versicherten Schadens nicht ersetzen muss, einen Fall der bewussten Unterversicherung dar. Es würde jedoch der Interessenlage der Wohnungseigentümer bei Abschluss einer verbundenen Gebäudeversicherung nicht gerecht, wenn der geschädigte Sondereigentümer den Selbstbehalt alleine tragen müsste, weil die Entscheidung für einen Selbstbehalt im Versicherungsvertrag regelmäßig damit verbunden ist, dass die Gemeinschaft als Versicherungsnehmerin eine herabgesetzte Prämie zu zahlen hat. Dies sei wiederum für die Wohnungseigentümer wegen der damit einhergehenden Verringerung des Hausgeldes wirtschaftlich sinnvoll. Von sonstigen Fällen einer bewussten Unterversicherung unterscheide sich der Selbstbehalt wegen des typischerweise überschaubaren und genau festgelegten Risikos. Grundlage der Entscheidung zugunsten eines Selbstbehalts ist dabei die Erwartung der Wohnungseigentümer, dass dieses durch Mehrheitsentscheidung eingegangene Risiko für alle vom Versicherungsumfang erfassten Sachen gemeinschaftlich getragen wird. Im Ergebnis stelle der im Schadensfall in der verbundenen Gebäudeversicherung verbleibende Selbstbehalt bei wertender Betrachtung wie die Versicherungsprämie einen Teil der Gemeinschaftskosten gemäß § 16 Abs. 2 S. 1 WEG dar.

In dem Antrag zu 2) hatte die Revision jedoch Erfolg. Insoweit hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entschei- dung an das Landgericht zurückverwiesen.

Mit ihrem Antrag zu 2) will die Klägerin für die Zukunft erreichen, dass der Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der Wohneinheiten allein von den Eigentümern der Wohneinheiten getragen wird, während sie ihrerseits für den Selbstbehalt bei einem Schaden am Sondereigentum der gewerblichen Einheit aufkommen muss. Den Antrag der Klägerin legt der BGH dahingehend aus, dass der derzeit maßgebliche Verteilungsschlüssel für die Zukunft geändert werden solle. Hierzu sind die Wohnungseigentümer grundsätzlich gemäß § 16 Abs. 2 S. 2 WEG befugt. Ein Anspruch eines einzelnen Wohnungseigentümers auf eine solche Beschlussfassung ist aber nur dann gegeben, wenn gemäß § 10 Abs. 2 WEG ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint. Hierzu wurden keine hinreichenden Tatsachenfeststellungen getroffen, sodass der BGH die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen hat. Für das weitere Verfahren hat der BGH darauf hingewiesen, dass eine im Vergleich zu den übrigen Eigentümern – unbillige Belastung der Klägerin in Betracht kommen könnte, wenn das (alleinige bzw. jedenfalls überwiegende) Auftreten der Leitungswasserschäden im Bereich der Wohneinheiten auf baulichen Unterschieden des Leitungsnetzes in den Wohneinheiten einerseits und der Gewerbeeinheit andererseits beruhen sollte. Nicht ausreichend wäre es demgegenüber, wenn die Ursache bei gleichen baulichen Verhältnissen in einem unter- schiedlichen Nutzungsverhalten läge.

VERWALTERSTRATEGIE
Die Entscheidung zeigt, dass Verwalter bei der Geltendmachung eines Ersatzanspruchs gegen die Versicherung für die vom Gemeinschaftskonto beglichenen Kosten der Schadensbeseitigung selbst dann weitgehend freie Hand haben, wenn der verursachte Schaden im Bereich des Sondereigentums bzw. einer Sondereigentumsart entstanden ist. Auf eine entsprechende Umlage der aufgrund des Selbstbehalts verbliebenen Kosten nur auf diejenigen Sondereigentümer, aus deren Sphäre der Schaden stammt, muss dabei – vorbehaltlich eines entgegenstehenden Beschlusses – nicht geachtet werden. Kommt es für die Beurteilung, ob eine Verwaltungs- maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, auf eine umstrittene und höchst- richterlich nicht geklärte Rechtsfrage an, ist die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer laut BGH jedoch durchaus berechtigt, durch Mehrheitsbeschluss zu entscheiden, welche Auffassung für die künftige Verwaltungspraxis maßgeblich sein soll. Gerade bei solchen nicht geklärten Rechtsfragen ist dem Verwalter anzuraten, auf einen entsprechenden Beschluss hinzuwirken, um sich auf sicherem Boden bewegen zu können.

Piekut, Dr. Susanne Schießer & Piotr

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungs­eigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

PIOTR PIEKUT
Der Rechtsanwalt ist am Berliner Standort derselben Kanzlei u. a. im Miet- und Grundstücksrecht tätig. www.asd-law.com