14.10.2020 Ausgabe: 6/20

WEG-Recht: Zu baulichen Veränderungen des Gemeinschaftseigentums durch einzelne Wohnungseigentümer: Genehmigung mit Kostenmassgaben möglich?

(BGH, Urteil vom 15.5.2020 – Az. V ZR 64/19)

DAS THEMA
Das vorliegende Urteil setzt das vom Bundesgerichtshof (BGH) gesprochene Urteil vom 20. Juli 2018 fort, Az. V ZR 56/17, vgl. vdivaktuell 4/19, in dem die Frage behandelt wurde, ob die Herstellung des ordnungsgemäßen Erstzustands einer Baumaßnahme als Instandsetzung zu werten ist, auf deren Herstellung der einzelne Wohnungseigentümer einen Anspruch hat.
Nun streiten die Parteien im Wesentlichen darum, ob ein nachträglicher Beschluss aus dem Jahr 2018, der auch Kostenregelungen betraf, wirksam ist und somit den Bau der Verschattungsanlagen von einzelnen Wohnungseigentümern legitimierte.


DER FALL
Die Parteien sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In der Eigentümerversammlung vom 1. Juni 2012 fassten die Wohnungseigentümer einen Beschluss (TOP 7), wonach es ihnen grundsätzlich gestattet wurde, an ihren Fenstern und Türen hofseitig fach- und sachgerecht Jalousien, Lamellen und feste Verschattungen zu installieren. Ausführungs- und Realisierungsdetails wurden nicht beschlossen. Für die Anbringung einer Verschattung an einer vor der Glasfassade des Gebäudes angebrachten Stahlbaukonstruktion sollte der Verwalter Angebote einholen. Im September 2013 ließen die Beklagten schließlich jeweils eigenmächtig an der Stahlbaukonstruktion der Hofseite ihrer Wohnungen Außenjalousien anbringen.

Das Amtsgericht hat die auf Beseitigung der Jalousien und die Erstattung vorgericht­licher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger ist vor dem Landgericht ohne Erfolg geblieben. Mit dem ersten Revisionsurteil vom 20. Juli 2018 hat der Senat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen (vgl. vdivaktuell 4/19). Während des neuen Berufungsverfahrens fassten die Wohnungseigentümer in der Eigentümerversammlung vom 28. September 2018 einen neuen Beschluss, der es ihnen gestattet, Verschattungsanlagen anzubringen. Entstehende Einbau- und Folgekosten werden durch die betreffenden Eigentümer selbst getragen. Ebenso ist die Haftung für evtl. auftretende Schäden und deren Beseitigung, sofern diese nicht durch die Gebäudeversicherung abgedeckt sind, laut Beschluss selbst zu tragen. In dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht haben die Kläger ihre bisherigen Anträge weiterverfolgt und im Wege der Klageerweiterung die Feststellung beantragt, dass der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 1. Juni 2012 zu TOP 7 nichtig ist. Hilfsweise haben sie zudem die Beseitigung oder Veränderung der angebrachten Jalousien in der Weise beantragt, dass für sie die freie Sicht aus ihren Fenstern und von ihren Balkonen gewährleistet ist. Das Landgericht hat die Berufung erneut zurückgewiesen und die mit der Klageerweiterung geltend gemachten Anträge abgewiesen. Gegen dieses Urteil wenden sich die Kläger mit der vom Landgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen. Ohne Erfolg – der BGH wies die Revision endgültig ab und begründete diese Entscheidung wie folgt:
Der Kläger hat keinen Anspruch auf vollständige Beseitigung der Verschattungsanlagen gemäß § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. m. § 22 Abs. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) und § 15 Abs. 3 WEG, denn durch den Beschluss im Jahr 2018 hatte sich der Kläger verpflichtet, diese Verschattungsanlagen zu dulden. Die beschlossene Genehmigung des Baus der Anlagen berechtigte die Wohnungseigentümer, Gemeinschaftseigentum mitzubenutzen. Aus dieser Berechtigung wird die Duldungspflicht des Klägers abgeleitet. Zudem haben die Wohnungseigentümer diese baulichen Veränderungen, die ohne vorherige Zustimmung erfolgt sind, nachträglich genehmigt, wozu sie nach allgemeiner Auffassung berechtigt sind. Dies ergibt eine objektive Auslegung des Beschlusses von 2018.
Diese Genehmigung ist auch nicht nichtig. Eine Nichtigkeit der Genehmigung folgt insbesondere nicht daraus, dass sie nur zusammen mit der in dem Beschluss enthaltenen Kostenregelung Bestand hat, deren Wirksamkeit die Kläger angreifen. Denn auch im Hinblick auf diese Kostenregelung ist laut BGH die Beschlusskompetenz gegeben. Die streitgegenständliche Kostenregelung stellt vorliegend keine gesetzlich geregelte Kostenregelung gemäß § 16 Abs. 4 WEG dar (dieser enthält enge Grenzen der Änderung des Kostenverteilungsschlüssels), sondern vielmehr eine von dieser Vorschrift nicht erfasste Maßgabe für die Gestattung, Verschattungsanlagen anzubringen, und für die Genehmigung der bereits angebrachten Anlagen. Sinn und Zweck des § 16 Abs. 4 WEG bestehen darin, den Wohnungseigentümern für einzelne bauliche Maßnahmen eine flexible Kostenregelung zu gestatten. Solche Maßnahmen sind oft kostenintensiv und bringen nicht in gleichem Maße jedem Wohnungseigentümer Vorteile. Die Norm bietet die Möglichkeit, diejenigen Eigentümer, die von der Maßnahme besonders profitieren, abweichend vom allgemeinen Kostenverteilungsschlüssel verhältnismäßig stärker zu belasten. Die Vorschrift setzt deshalb voraus, dass die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Durchführung einer Maßnahme beschlossen hat, für die die Gemeinschaft Kosten aufzuwenden hat, die eigentlich nach dem in der Gemeinschaftsordnung vereinbarten oder hilfsweise nach dem gesetzlichen Maßstab
(§ 16 Abs. 2 WEG) verteilt werden müssten. Vorliegend obliegt die Anbringung der Verschattungsanlagen und Jalousien jedem Wohnungseigentümer selbst und gerade nicht der Gemeinschaft als Ganzes. Der Eigentümer ist in diesem Fall gänzlich für Vergabe des Auftrags, Durchführung und Vergütung der baulichen Maßnahme verantwortlich. Der Gemeinschaft entstehen keine Kosten, auch keine Folgekosten, denn auch für diese ist der Einzeleigentümer verantwortlich. Hierfür muss die Maßnahme im Zeitpunkt noch nicht geplant sein. Sollten aus bestimmten Gründen doch Folgekosten auf die Gemeinschaft fallen, so sind diese entsprechend § 16 Abs. 6 WEG nicht zur Übernahme verpflichtet.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.