11.03.2021 Ausgabe: 1/21

Weg-Recht - Zur Verkündung von Beschlüssen über bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums

(BGH, Urteil vom 29.5.2020 – Az. V ZR 141/19)

DAS THEMA
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte hier über besondere Rechte und Pflichten des Verwalters zu entscheiden – genauer: zu der Frage, ob dieser pflichtwidrig handelt, wenn er einen mehrheitlich gefassten Beschluss über bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums verkündet, obwohl es eine Gegenstimme gab, weil ein Wohnungseigentümer durch die Maßnahme besonders benachteiligt wäre. Zu welchem Zeitpunkt muss eine Prüfung dieser Benachteiligung stattfinden?

DER FALL
Die Kläger sind Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, deren Verwalterin zum Zeitpunkt der Eigentümerversammlung am 20. Mai 2011 die Beklagte war. In dieser Versammlung, an der die Kläger und andere Wohnungseigentümer nicht teilnahmen, wurden zu TOP 2 jeweils mit einer Gegenstimme zwei Beschlüsse gefasst. Zum einen wurde der von einer Teileigentümerin geplante Umbau ihres Einkaufszentrums im Hinblick auf die damit verbundenen Veränderungen des gemeinschaftlichen Eigentums genehmigt. Zum anderen wurde die Erhebung einer Sonderumlage für die brandschutztechnische Ertüchtigung des Gemeinschaftseigentums beschlossen. Der Geschäftsführer der Beklagten verkündete das Zustandekommen beider Beschlüsse.

Der Wohnungseigentümer, der jeweils dagegen gestimmt hatte, focht beide Beschlüsse an. In diesem Anfechtungsverfahren waren die Kläger des vorliegenden Rechtsstreits aufseiten der Beklagten beteiligt und ließen sich durch einen eigenen Rechtsanwalt vertreten. Das Amtsgericht gab der Klage bezogen auf den Beschluss über die Sonderumlage statt und wies sie im Übrigen ab. Gegen die Abweisung der auf den Beschluss über die Genehmigung bezogenen Anfechtungsklage wandte sich der klagende Wohnungseigentümer mit der Berufung. Das Berufungsverfahren endete mit einer übereinstimmenden Erledigungserklärung.

Das Landgericht legte die Kosten des Verfahrens insgesamt den beklagten Wohnungseigentümern auf und führte zur Begründung u. a. aus, dass auch der Genehmigungsbeschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit für ungültig zu erklären gewesen wäre, weil das äußere Erscheinungsbild des Gebäudes durch den Umbau erheblich umgestaltet werde und es hierfür der Zustimmung aller Eigentümer bedurft hätte, diejenige des klagenden Wohnungseigentümers jedoch gefehlt habe.

Gestützt auf die Ansicht, der Geschäftsführer der Beklagten hätte das Zustandekommen der Beschlüsse nicht verkünden dürfen, verlangen die Kläger von der Beklagten den Ersatz der ihnen in dem Beschlussanfechtungsverfahren entstandenen Kosten. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung der Kläger zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit der Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgen die Kläger ihre Anträge weiter.

Der BGH wies die Revision ab und begründete diese Entscheidung wie folgt: Die Revision war teilweise unzulässig und ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet. Der Beklagte hat im Zusammenhang mit der Verkündung des Genehmigungsbeschlusses keine Pflichten aus dem Verwaltervertrag verletzt, der Schutzwirkung zugunsten der einzelnen Wohnungseigentümer entfaltet, vgl. § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

Der Beschluss über eine bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums bedarf einer einfachen Mehrheit. Diese war vorliegend erreicht. Allerdings hatte ein Eigentümer, der über das in § 14 Nr. 1 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt war, seine Zustimmung versagt. Daher kommt es hier darauf an, welche Pflichten einen Verwalter in seiner Funktion als Versammlungsleiter im Zusammenhang mit Beschlussfassungen über bauliche Veränderungen im Sinne von § 22 Abs. 1 WEG in der Eigentümerversammlung treffen.

Einigkeit besteht darüber, dass die in § 24 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 WEG genannte Verkündung des Beschlussergebnisses durch den Versammlungsleiter konstitutive und inhaltsfixierende Bedeutung hat; es handelt sich im Regelfall um eine Voraussetzung für das rechtswirksame Zustandekommen eines Beschlusses.

Keine Einigkeit herrscht hingegen über die Frage, ob der Versammlungsleiter einen positiven Beschluss über eine bauliche Veränderung verkünden darf, wenn zwar die einfache Stimmenmehrheit erreicht ist, aber die erforderliche Zustimmung einzelner nachteilig betroffener Wohnungseigentümer fehlt. Dem BGH zufolge betrifft das Zustimmungserfordernis nicht die von dem Versammlungsleiter zu prüfende Stimmabgabe, sondern es stellt vielmehr eine materielle Frage der ordnungsmäßigen Verwaltung dar. Der Versammlungsleiter ist deshalb jedenfalls berechtigt, bei erreichter einfacher Mehrheit ein positives Beschlussergebnis zu verkünden, auch wenn eine gemäß § 22 Abs. 1 WEG i. V. m. § 14 Nr. 1 WEG erforderliche Zustimmung nicht erteilt worden ist. Denn die Pflichten, die den Verwalter in seiner Funktion als Versammlungsleiter bei der Verkündung des Beschlussergebnisses treffen, müssen von seinen Pflichten bei der Vorbereitung der Eigentümerversammlung und im Vorfeld der Beschlussfassung unterschieden werden.

Das Zustimmungserfordernis ist als besondere Vorgabe für die ordnungsmäßige Verwaltung anzusehen. Im Rahmen der Eigentümerversammlung kann daher weder die erforderliche Tatsachenermittlung noch die wertende Betrachtung erfolgen. Hierfür bedarf es einer sorgfältigen Vorbereitung, die nicht erst bei Verkündung des Beschlusses, sondern im Vorfeld der Eigentümerversammlung erfolgen muss. Anhaltspunkte dafür, dass der Verwalter vorliegend seinen Aufklärungs- und Hinweispflichten im Vorfeld der Beschlussfassung über die bauliche Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums nicht nachgekommen war (z. B. Prüfung, ob einzelne Wohnungseigentümer – und ggf. welche – ihre Zustimmung erteilen müssen, Information der Eigentümerversammlung vor der Beschlussfassung über das Ergebnis seiner Prüfung, ggf. Hinweis auf ein bestehendes Anfechtungsrisiko), wurden nicht vorgetragen und ergeben sich auch sonst aus keinen Anhaltspunkten.

Verwalter­strategie
In dieser Entscheidung trifft der BGH eine zeitliche Abstufung der Handlungspflichten des Verwalters: Ist er in ausreichendem Maße seinen Hinweis- und Prüfungspflichten im Vorfeld eines Beschlusses über bauliche Veränderungen des Gemeinschaftseigentums nachgekommen, reicht für eine Verkündung des Beschlusses in der Versammlung das Vorliegen der einfachen Mehrheit, um ein pflichtgemäßes Handeln zu garantieren. ­Weitere Pflichten bestehen zu diesem Zeitpunkt nicht. Es obliegt somit den Wohnungseigentümern selbst, dem Verwalter im Vorfeld der Eigentümerversammlung besondere Belastungen durch die anstehende Beschlussfassung aufzuzeigen, um diesem eine entsprechende Prüfung im Vorfeld zu ermöglichen und zu erleichtern.

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Schiesser, Dr. Susanne

DR. SUSANNE SCHIESSER
Die Fachanwältin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner in der Kanzlei „ Sibeth Partnerschaft Rechtsanwälte Steuerberater“.