03.12.2021 Ausgabe: 8/21

Wer bezahlt, sagt an - Die Möglichkeiten des Weisungsrechts als Mittel der Personalführung – und seine Grenzen

Die Funktionsfähigkeit eines Unternehmens hängt maßgeblich davon ab, ob das Personal den Anweisungen der Unternehmensleitung nachkommt und die zugeteilten Aufgaben zuverlässig verrich­tet. Immer wieder kommt es jedoch vor den Arbeitsgerichten zu Streitigkeiten, ob Anweisungen rechtmäßig erfolgt sind oder nicht. Dabei ist dies in den allermeisten Fällen gar nicht der eigentliche Gegenstand der rechtlichen Auseinandersetzung. Die Rechtmäßigkeit einer Weisung ist vielmehr oft Vorfrage, etwa ob einem Arbeitnehmer, der an ihn gerichtete Weisungen mehrfach nicht befolgt hat, gekündigt werden konnte oder eine neu zugeteilte Arbeit noch vom laufenden Arbeitsvertrag umfasst ist.

Ob eine Weisung rechtmäßig ist oder nicht, kann nicht pauschal beurteilt wer­den, sondern muss – wie so oft – unter den Umständen des Einzelfalls geprüft werden. Welche Kriterien hierbei eine Rolle spie­len, soll im Folgenden dargestellt werden.

Adressaten und gesetzliche Vorgaben
Weisungen können nur angestellten Arbeitskräften erteilt werden. Dies geht schon aus der gesetzlichen Vorgabe hervor: Nach § 611a Abs. 1 Bürgerliches Gesetz­buch (BGB) ist Arbeitnehmer, wer im Dienste eines anderen zur Leistung wei­sungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Selbstständigen – das können auch freie Mitarbeiter sein – können daher keine Weisungen im arbeitsrechtlichen Sinne erteilt werden. Bei freien Mitarbeitern aber durchaus zulässig sind jedoch einzelne Ein­schränkungen bezüglich Art, Ort und Zeit der Leistungserbringung, da freie Mitarbei­ter auf die betriebliche Organisation und sonstige Belange des Auftraggebers Rück­sicht nehmen müssen.

Inhalt, Umfang und Grenzen des Weisungs­rechts – also diejenigen Aspekte, die bei der Frage der Rechtmäßigkeit einer Weisung regelmäßig zu prüfen sind – werden durch § 106 Gewerbeordnung (GewO) bereits grob vorgegeben. Danach können Arbeit­geber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleis­tung sowie die Ordnung und das Verhalten von Arbeitnehmern im Betrieb nach billi­gem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, einen anwendbaren Tarif­vertrag oder gesetzliche Vorschriften fest­gelegt sind.

Der Arbeitsvertrag als Rahmen für das Weisungsrecht
Zunächst gibt also der Arbeitsvertrag den Rahmen vor, in dem Weisungen erteilt werden können. Feste Bestandteile eines jeden Arbeitsvertrages sind u. a. regelmäßig die Angabe des auszuübenden Berufs, die Höhe der Vergütung und die Anzahl der Arbeitsstunden. Gegebenenfalls ist auch bereits ein bestimmter Arbeitsort und die Lage der Arbeitszeit festgelegt. Davon abweichende Weisungen können dann nicht, jedenfalls nicht wirksam, erteilt werden.

So kann bei einer vereinbarten Arbeits­zeit von 35 Stunden pro Woche nicht einseitig die Erhöhung auf 40 Wochenar­beitsstunden angeordnet werden. Bindet sich der Arbeitgeber dahingehend, dass die tägliche Arbeitsleistung von 9:00 bis 17:00 Uhr zu erbringen ist, kann er nicht anordnen, dass stattdessen von 8:00 bis 16:00 Uhr gearbeitet werden soll. Ist als Beschäftigungsort München angegeben, kann der Mitarbeiter nicht per Weisung nach Nürnberg versetzt werden. Ein als WEG-Verwalter eingestellter Mitarbei­ter kann nicht angewiesen werden, gegen seinen Willen Hausmeistertätigkeiten zu verrichten.

Es ist also schon bei der Vertragsgestaltung zu berücksichtigen, dass das Arbeitsverhält­nis möglicherweise viele Jahre bestehen wird, die Anforderungen oder die betrieb­lichen Umstände sich jedoch im Laufe der Zeit ändern können. Je weiter dabei der durch den Arbeitsvertrag vorgegebene Rahmen gezogen wird, desto mehr Mög­lichkeiten gibt es, die Arbeitsbedingungen mittels Weisungen auszugestalten.

Hinsichtlich der Tätigkeitsbeschreibung empfiehlt es sich daher, – soweit möglich – im Arbeitsvertrag nicht von vornherein allzu konkret zu werden. So kann einem Kaufmännischen Mitarbeiter in der Buch­haltung später nicht per Weisung die eben­ falls seiner Qualifikation entsprechende Erstellung von Angeboten übertragen wer­den. Eine oft gewählte Alternative zur allzu unbestimmten Tätigkeitsbeschreibung ist es, Mitarbeitern vertraglich zunächst eine bestimmte Tätigkeit zuzuweisen – „einge­stellt als ...“ –, sich in einem Zusatz jedoch die Zuweisung gleichwertiger, den Leis­tungen und Fähigkeiten entsprechende Arbeitsaufgaben vorzubehalten. Allerdings ist bei einer derart flexiblen Gestaltung zu beachten, dass sich – die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes vorausge­setzt – im Falle einer etwaigen betriebs­bedingten Kündigung der Kreis der in die Sozialauswahl einzubeziehenden vergleich­baren Arbeitnehmer erweitert.

Nicht einseitig abgeändert werden kann die vereinbarte Dauer der Arbeitszeit (z. B. 40 Stunden pro Woche), da es sich um die Festlegung der Hauptleistungspflicht han­delt. Eine Ausnahme bildet die Arbeit auf Abruf nach § 12 Teilzeit- und Befristungs­gesetz (TzBfG). Unternehmern steht es jedoch frei, die Lage der Arbeitszeit per Weisung selbst zu bestimmen, wenn der Arbeitsvertrag dahingehend keine festen Vorgaben enthält. So kann bei einer ver­einbarten 40-Stunden-Woche sowohl der tägliche Beginn der Arbeitszeit verschoben werden als auch die Verteilung auf die ein­zelnen Arbeitstage.

Neben den Regelungen des Arbeitsvertrags müssen gegebenenfalls auch die Bestimmun­gen einer Betriebsvereinbarung und/oder eines Tarifvertrags beachtet werden. Schluss­endlich dürfen Weisungen auch nicht gegen das Gesetz verstoßen. Wird etwa ein Mitar­beiter angewiesen, noch spätabends E-Mails von Kunden zu beantworten, kann dies gegen die vom Arbeitszeitgesetz (ArbZG) vorgesehene tägliche Höchstarbeitszeit von acht Stunden (§ 3 ArbZG) oder die elfstün­dige Ruhezeit (§ 5 Abs. 1 ArbZG) verstoßen.

Interessenabwägung
Steht eine Weisung mit den Regelungen des Arbeitsvertrages in Einklang und ver­stößt sie auch nicht gegen gesetzliche Normen, sind bei der Ausübung des Wei­sungsrechtes immer noch die Interessen der betroffenen Arbeitskraft angemessen zu berücksichtigen. Bei der sogenannten Ausübungskontrolle sind die wesentlichen Umstände sowie die beiderseitigen Inte­ressen zu ermitteln und gegeneinander abzuwägen.

Das Hauptaugenmerk des Unternehmers dürfte bei der Weisungserteilung regelmä­ßig darauf liegen, einen wirtschaftlich pro­fitablen Betrieb zu führen und in diesem Rahmen freie Entscheidungen treffen zu können. Darunter fällt beispielsweise die Wahl der Betriebsmittel. Wird ein neues Computersystem eingeführt, können Mit­arbeiter selbstverständlich angewiesen wer­den, an einer entsprechenden Schulung teilzunehmen, auch wenn sie kurz vor Renteneintritt stehen und die Schulung deshalb für „sinnlos“ halten. Umgekehrt gilt das auch für die Entscheidung, ebenjene Mit­arbeiter nicht zu einer solchen Schulung zu schicken, wenn diese kostenpflichtig ist und die Mitarbeiter die verbleibenden Wochen oder Monate mit dem alten Sys­tem weiterarbeiten können.

Arbeitnehmer haben regelmäßig ein gro­ßes Interesse daran, Beruf und Familie in Einklang zu bringen. Im Rahmen der Inte­ressenabwägung haben Arbeitgeber des­halb die familiären Verpflichtungen wie Kindererziehung oder Pflege von Angehö­rigen zu berücksichtigen, soweit dem nicht betriebliche oder wirtschaftliche Gründe bzw. berechtigte Belange anderer Arbeit­nehmer entgegenstehen. Die Mitteilung an eine alleinerziehende Mutter, sie habe nicht wie bislang um 8:00 Uhr, sondern ab sofort schon um 7:00 Uhr zur Arbeit zu erscheinen, kann also unbillig sein, wenn die Kita ihres Kindes erst um 7:30 Uhr öffnet.

Erhöhte Rücksicht ist auf besonders schutz­bedürftige Mitarbeiter zu nehmen. Darun­ter fallen v. a. Schwangere, Behinderte und Jugendliche. Ihnen dürfen keine Aufgaben zugewiesen werden, die ihre Konstitution gefährden oder verschlechtern. Bei wer­denden Müttern gilt in Ausnahmefällen eine Besonderheit: Ist es dem Arbeitgeber nicht möglich, den aktuellen Arbeitsplatz schwangerschaftsgerecht umzugestalten oder ist dies nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen möglich, können Schwangeren zu ihrem Schutz auch zumut­bare Tätigkeiten zugewiesen werden, die arbeitsvertraglich nicht vereinbart wurden. Diese müssen allerdings in ihrer sozialen Wertigkeit mit den vorherigen Tätigkeiten vergleichbar und dürfen weder maßregelnd noch kränkend sein.

In die Abwägung sind aber auch die Interes­sen anderer Mitarbeiter miteinzubeziehen. Diese haben oftmals gleiche oder ähnliche Interessen wie der von der Weisung betrof­fene Arbeitnehmer. Kommt ein Unterneh­mer etwa bei der angedachten Versetzung eines Mitarbeiters zu dem Ergebnis, dass dies eine starke Belastung darstellen würde, weil dieser seine Kinder rechtzeitig von der Schule abholen muss, heißt das nicht automatisch, dass dieser Mitarbeiter den Weg zur neuen Tätigkeitsstätte künftig nicht trotzdem antreten muss. Denn wenn der einzige andere „Versetzungskanditat“ ebenfalls schulpflichtige Kinder hat, darü­ber hinaus aber noch seine pflegebedürfti­gen Eltern versorgen muss, wiegen dessen Interessen schwerer und sind vorzuziehen.

Erkrankung 
Sind Mitarbeiter arbeitsunfähig erkrankt, besteht in Bezug auf die Hauptleistungs-pflichten sowie die unmittelbar damit zusammenhängenden Nebenleistungs-pflichten grundsätzlich gar kein Weisungs­recht. Arbeitgeber können Arbeitnehmer dann aber anweisen, zu einem Personalgespräch in den Betrieb zu kommen, wenn es hierfür einen dringenden betrieblichen Anlass gibt, der einen Aufschub der Wei­sung auf einen Zeitpunkt nach der Arbeits­unfähigkeit nicht gestattet, die persönliche Anwesenheit des Arbeitnehmers im Betrieb dringend erforderlich ist und ihm zuge­mutet werden kann. Dies ist etwa der Fall, wenn der Arbeitnehmer über Informatio­nen zu wichtigen betrieblichen Abläufen oder Vorgängen verfügt, ohne deren Wei­tergabe dem Arbeitgeber die Fortführung der Geschäfte erheblich erschwert oder gar unmöglich würde.

Personalgespräche
Einladungen zum Personalgespräch müs­sen Beschäftigte folgen, wenn ihr Arbeitge­ber damit Weisungen vorbereiten, erteilen oder ihre Nichteinhaltung beanstanden will. Wird aber zu einem Gespräch einge­laden, in dem es um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungs­vertrag geht, steht dies nicht mit Vorgaben zu Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung bzw. der betrieblichen Ordnung in Verbin­dung, sondern betrifft den Bestand des Arbeitsverhältnisses an sich. Mitarbeiter können nicht angewiesen werden, zu einem solchen Personalgespräch zu erscheinen.

FAZIT
Schon bei Gestaltung des Arbeitsvertrages können die Weichen für ein späteres weit bemessenes Weisungs­recht gestellt werden. Selbst wenn eine Weisung arbeits­vertraglich unbedenklich ist, kann sie aber unbillig sein und sich (im Nachhinein) als rechtswidrig erweisen. Ins­besondere bei einschnei­denden Maßnahmen ist es daher ratsam, Weisungen – soweit möglich – nicht ad hoc, sondern unter Einbe­ziehung aller Umstände und widerstreitender Interes­sen im Rahmen der Ermes­sensausübung zu erteilen. Gegebenenfalls sind Mit­bestimmungsrechte des Betriebsrates zu beachten. Ein solches besteht zum Bei­spiel nach § 99 Betriebsver­fassungsgesetz (BetrVG) bei einer Versetzung des Mit­arbeiters an einen anderen Ort oder an einen inhaltlich anderen Arbeitsplatz.

Matthias Wißmach, Tobias Schwartz,

TOBIAS SCHWARTZ
Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie für Handels- und Gesellschaftsrecht, Geschäftsführer der LKC Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München-Bogenhausen

MATTHIAS WIßMACH
Rechtsanwalt in derselben Kanzlei www.lkc-recht.de