18.01.2021 Ausgabe: 8/20

Willkommen in einer neuen Ära - COVID-19 verändert die Arbeitswelt.

Das „neue Normal“ wird ein anderes sein als vor der Corona-Krise. Die Ausnahmesituation schafft einen Paradigmenwechsel sowohl für Mitarbeiter als auch für Unternehmen. Einige signifikante Veränderungen lassen sich bereits erkennen und nutzen. Dazu sieben Thesen; denn Krisenzeiten sind auch Innovationszeiten.

1. Digital und virtuell statt Face to Face
Die Corona-Pandemie hat für einen enormen Digitalisierungsschub gesorgt. Unternehmen, die sich bisher gescheut haben, den nächsten Schritt zu tun, oder bei denen die Dringlichkeit nicht gegeben war, haben sich nun ernsthaft mit dem Einsatz digitaler Hilfsmittel und ungenutzter Potenziale auseinandergesetzt. Die so in Gang gebrachte Dynamik wird in den kommenden Jahren viele Branchen in Umbruch- und Aufbruchsstimmung versetzen.
Die Krise zeigte es, und in der Praxis lässt sich erkennen, dass man sich nicht zu jeder Besprechung persönlich treffen muss. Online-Treffen sind wunderbar als Ergänzung dazu. Auch Kosteneffizienz und Zeitersparnis sprechen dafür. Besprechungen allerdings, die kreative Prozesse im Team freisetzen sollen, stoßen in Zeiten von Homeoffice oft an ihre Grenzen. Wir plädieren daher für eine gezielte Auswahl an Meetings vor Ort, keinen gänzlichen Ersatz realer Zusammenkünfte durch digitale Lösungen.

2. Homeoffice ist kein Bürokonzept.
Homeoffice öffnet vielen Unternehmen die Tür in eine neue Ära des Arbeitens. Wo agile Arbeitsmethoden wegen bestehender Prozesse bisher nicht in Betracht gezogen wurden, führte die Umstellung zur Entdeckung neuer Möglichkeiten. Die eigentliche Notlösung für einen begrenzten Zeitraum von ein paar Wochen ist per se aber noch keine Zukunftsstrategie. Aspekte wie das Fehlen der ergonomischen Infrastruktur oder des separaten Büroraums zu Hause, der Trennung zwischen familiärer und beruflicher Verfügbarkeit haben klare Grenzen aufgezeigt.
Homeoffice wird sich bei ein bis drei Wochentagen einpendeln. Als Teilaspekt agiler Arbeitsmethoden wird es als ergänzendes Raumszenario ungenutzte Poten­ziale in Unternehmen freisetzen.

3. Flexibel nutzbare Gemeinschaftsflächen nehmen zu.
Auch wenn derzeit Vereinzelung und Distanz das Bild prägen – die  Entwicklung in Richtung Multispace als Möglichkeitsraum, also zu Entfaltung, Begegnung und Teamarbeit, wird sich fortsetzen. Die Rückkehr zum Einzelbüro ist unwahrscheinlich und auch nicht zielführend in Bezug auf Wohlbefinden, Identifikation und Produktivität der Mitarbeiter. An der Gesamtfläche des Büros wird sich nicht viel verändern – allein die Verteilung der Flächen für die verschiedenen Funktionen wird sich wandeln. Die persönlich zugeordneten Schreibtischarbeitsplätze werden sich verkleinern zugunsten von wachsenden Flächen, die alle nutzen können; denn diese lassen sich tagesaktuell der jeweiligen Besetzung und den zu erreichenden Zielen anpassen.

4. Geteilte Nutzung im Büro
Viele Bereiche – Auto, Wohnung, Arbeitsplatz – wurden über die letzten Jahre auf gemeinschaftliche Nutzung ausgelegt. Dies wird sich auch auf die Arbeitsplätze in Unternehmen übertragen. Etabliert sich Homeoffice, liegt die Zukunft der Büroarbeit beim Sharing von Arbeitsplätzen. Der Fokus wird sich von personalisierten Plätzen zu situativen Arbeitsmöglichkeiten verlagern, und Teams werden sich Infrastrukturflächen teilen.
Ein Bestandteil der neuen Arbeitswelt werden Wechselarbeitsplätze sein. So lassen sich Flächen sparen, zum Ausgleich aber auch anspruchsvollere Flächen schaffen, etwa als Begegnungsorte oder als Orte für Komplexität, an denen Spezialistentum zusammenkommt. So stellt sich künftig nicht allein die Frage, wie viele Quadratmeter vermietet werden, sondern in welcher Qualität und mit welcher Zielsetzung.

5. Nachhaltige Büroimmobilien – Trend zur Hybridisierung
Die nachhaltige Entwicklung von Gewerbeimmobilien berücksichtigt ökonomische, ökologische und sozio-kulturelle Gesichtspunkte gleichwertig. Über ökologische Materialien sowie die Energie- und Ressourceneffizienz hinaus geht es dabei um die langfristige Nutzbarkeit eines Objekts. Wie kann eine Büroimmobilie so geplant werden, dass sie sich dem Bedarf wechselnder Mieter leicht anpassen lässt, ihre Nutzung flexibel zu ändern ist und sowohl Um- als auch Rückbau dem Cradle-to-Cradle-Ansatz folgen? CSMM plädiert dafür, den Nutzer in den Vordergrund zu rücken und die bestmöglichen Bedingungen für ihn zu schaffen. Architektonisch betrachten wir hybride Bauten als Lösung, die sich sowohl durch Nutzungsvielfalt und Erlebnisqualität auszeichnen als auch flexibel und langfristig angelegt sind.

6. Das Büro als Hub & Home
Nach Phasen der Einschränkung und Isolation ist es ersichtlicher denn je, wie wichtig das Büro als sozialer Knotenpunkt für den Austausch und als Plattform für Kreativität und Innovation ist. Bei aller Unabhängigkeit, die die Digitalisierung mit sich bringt, suchen Menschen weiterhin Stabilität und Nähe. Als soziale Wesen sehnen sie sich auch in der Arbeitswelt nach einem Ort, der Identifikation stiftet. Eine inspirierende Arbeitsumgebung dient als emotionales Bindemittel zum Unternehmen und steigert das Wohlbefinden.
Der Trend zur Hybridisierung, also zur Schaffung einer Mischform der vorher getrennten Systeme „Hub“ (sozialer Knotenpunkt Büro) und „Home“ (Heimat) wird fortschreiten. Als „Home“ bietet das Büro der Belegschaft eine Unternehmensheimat und vermittelt Zugehörigkeit. Zudem dient es als „Hub“, als Dreh- und Angelpunkt, um zusammenzukommen, kreativ zu sein und gemeinsam Ideen zu entwickeln. Mitarbeitende werden das Büro – insbesondere die Begegnungs- und Kommunikationsflächen – neu entdecken und neu bewerten. Die These ist in einer Kooperation von CSMM und ISF – Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung entstanden.

7. Der Möglichkeitsraum begünstigt neue Arbeitsweisen und Innovationen.
Unternehmen, die wettbewerbsfähig bleiben wollen, benötigen Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist. Eine solche Arbeitsumgebung muss mehr sein als ein Raum, in dem Notwendiges abgearbeitet wird, nur eben mit schickem Design. Künftige Arbeitswelten sollten als Möglichkeitsräume konzipiert sein, die Nutzern dabei helfen, neue Visionen zu entwickeln und zu verwirklichen. Solche Räume dienen primär dazu, Innovation zu ermöglichen, indem sie Nutzern eine Umgebung bieten, um sozial und innovierend agieren zu können. Alles ist hier möglich – frei nach dem Prinzip der Serendipität, einem für die Bürowelt neuartigen Aspekt.
Unser Interesse ist es, Impulse zu geben und Prozesse anzustoßen, die die Arbeitswelt verbessern. Wir haben es gerade mit einer Revolution zu tun, und es liegt an uns, wie wir sie gestalten und nutzen, welche verbesserten Büro- und Organisationskonzepte wir daraus entwickeln – weg von der Notwendigkeitsarchitektur, hin zu Möglichkeitsräumen, die auch Innovationen begünstigen.


Die Entwicklung in Richtung Multispace als Möglichkeitsraum schreitet voran.


Agile Arbeitsmethoden eröffnen neue Möglichkeiten, auch in Unternehmen selbst.


Wettbewerbsfähigkeit erfordert Raum für Empathie, Kreativität und Erfindergeist.


Die Bedeutung von Büros als soziale Knotenpunkte und Identitätsstifter steigt.

Fotos: © Wolf Heider-Sawall; Eva Jünger, Christian Krinninger, BSH Hausgeräte, Gleb Polovnykov


Brehme, Timo

Gründer und geschäftsführender Gesellschafter des Architektur- und Beratungsbüros CSMM – architecture matters
www.cs-mm.com