29.07.2024 Ausgabe: 5/24

Wissen ist Macht

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Für selbstlernende digitale Systeme gibt es viele Einsatzmöglichkeiten in der Immobilienverwaltung - ein Ausblick auf Chancen und Herausforderungen.

Künstliche Intelligent (KI) ist in unserer Branche nichts Neues. Schon seit Jahren werden von den meisten Immobilienverwaltungen regelbasierte Systeme in der Buchhaltung eingesetzt, die Umsätze aus dem Zahlungsverkehr automatisiert verbuchen. Auch Bonitätsprüfungssysteme, die mithilfe von KI Aussagen über die Zahlungsfähigkeit treffen, sind verbreitet. Transkriptionssysteme, die eingehende Sprachanrufe in Text umgewandelt übermitteln, bieten die meisten VoIP-Telefonieanbieter heute automatisch mit an. Hinzu kommen Chatbots für die Mieterkommunikation sowie Predictive-Maintenance-Systeme für Aufzüge und die Leitungsinfrastruktur.

Dass die Integration von KI in Abläufe der Immobilienverwaltung Wettbewerbsvorteile verschaffen kann, liegt auf der Hand. Hier soll es nun um die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen gehen.

Erwartungen an die Zukunft

Zurzeit werden in der Branche sogenannte Large Language Models (LLM), also lernfähige Systeme zur Erzeugung von Texten, als Neuentwicklungen am intensivsten beworben. Sie eignen sich zum Einsatz für Vorgänge in CRM-Systemen und sind bereits bei Pilotkunden im Einsatz. Erste Anbieter erweitern auch schon die oben erwähnten Transkriptionssysteme so, dass sie Telefonate eigenständig bearbeiten können. In Kombination mit CRM-Systemen erfordern sie keinerlei Personaleinsatz mehr. Im Bereich der Makler-Software arbeitet man gerade am virtuellen Home Staging, mit dem Objekte zur Besichtigung in unterschiedlichen Ausstattungsvarianten gezeigt werden können – in Echtzeit, online und massiv kostensenkend. Sind diese Entwicklungen zunächst noch Zukunftsmusik, kann derzeit schon jeder Prozess in der Immobilien­verwaltung durch den Einsatz von KI ergänzt oder gar vollständig abgebildet werden. Im Unterschied zu anderen Branchen, z. B. der Medizin, stellt die Immobilienverwaltung sehr geringe Ansprüche an generative KI bzw. LLM, weshalb sie leicht adaptierbar sind für Anwendungszwecke wie

  • Buchhaltung und Abrechnungen
  • Kommunikation mit Eigentümern und Mietern
  • Vermarktung
  • Planung von Instandhaltung/ Instandsetzung/Budgets
  • Risikomanagement
  • Predictive Maintenance
  • Umsetzung gesetzlicher Anforderungen
  • Optimierung von Verträgen
  • Analysen des Bestandes

Generative KI und LLM können problemlos allgemeine und spezielle Buchhaltungsregeln lernen, womit zu erwarten ist, dass die Buchhaltung in ERP-Systemen in naher Zukunft zu 100 Prozent automatisiert und fehlerfrei erfolgen kann. Auch die Fähigkeit, eingegebene Daten aller Art zu verarbeiten, stellt in Aussicht, dass künftig beispielsweise die Anlage einer neu zu verwaltenden Liegenschaft per „Drag & Drop“ aller relevanten Dokumente im ERP- und CRM-System zu 100 Prozent automatisiert und fehlerfrei geschieht. Weil Daten zudem auch ohne spezielle Programmierung für Auswertungen zusammengeführt werden, können in Zukunft Budgetplanungen und die Erkennung eintretender Risiken etc. vollautomatisch erfolgen. Gleiches gilt für Betriebskosten- und Hausgeld-abrechnungen oder die Einnahmen-/Überschussrechnung sowie für Tagesordnungen zu Eigentümerversammlungen, die auf Basis vorliegender Daten zu Reparaturen, Liquiditätsentwicklung, gesetzlichen Neuerungen etc. automatisch vom CRM-System erstellt werden.

Wo viele Abläufe automatisiert werden können, muss die Bedienbarkeit von ERP-, CRM- und DMS-Systemen massiv vereinfacht werden – bis zum kompletten Verzicht auf Software-Schulungen, was ebenfalls Kosten senkt.

Bei all dem wird es darauf ankommen, dass KI Prozesse „final“ erledigt. Ein Voicemail-Assistent muss eine Sprachnachricht nicht nur transkribieren und ans CRM-System weitergeben, um den Vorgang anzulegen, sondern ihn auch bearbeiten, also z. B. eine Dienstleistung beauftragen.

KI-Systeme können so auch Mietverträge automatisch erstellen, prüfen und verwalten, relevante Klauseln erkennen, mit gesetzlichen Vorgaben abgleichen und auf mögliche Risiken hinweisen. Ebenso lassen sich Hausgeld- und Nebenkostenabrechnungen durch KI-gestützte Analyse der Verbrauchsdaten und Rechnungen effizienter gestalten. Sind mehrere Systeme im Einsatz, müssen generative KI bzw. LLM zusammenarbeiten und die Daten daraus automatisch gemeinsam nutzen, sodass für jeden Vorgang alle relevanten Informationen vorliegen und gepflegt werden.

Macht KI uns ersetzbar?

Jede neue Technologie, die Tätigkeiten der Immobilien­verwaltung übernimmt, schont Personalressourcen, aber machen wir uns damit nicht ersetzbar? Software-Tools, mit denen Eigentümer ihre Immobilie selbst verwalten können, gibt es bereits. Umso wichtiger wird es für uns, den Unterschied zwischen persönlicher Betreuung und einer Software-Lösung herauszustellen. Besinnen wir uns darauf, unsere Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, ihnen persönlich zur Verfügung zu stehen und vor Ort in den Immobilien Präsenz zu zeigen. Unsere Software verschafft uns die Zeit dafür und senkt unsere Kosten.

Viele Chancen, aber auch Risiken

Generative KI- und LLM-Systeme sind nur so gut wie die Daten, mit denen sie lernen. Wir müssen verhindern, dass unsere Daten dazu genutzt werden, die allgemeine Datenbasis zu verbessern – von Software-Herstellern und -Anbietern, die dafür noch nicht einmal unser Einverständnis einholen. Auch der Datenschutz muss gewährleistet sein und die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung. Tatsächlich hat unsere Branche es bereits dazu kommen lassen, dass das für uns relevante Wissen quasi monopolisiert wurde, indem es im Wesentlichen bei einem Verlag liegt – der „Lernstoff“ für generative KI und LLM also in einer Hand.

Wo KI und LLM in unserem Tagesgeschäft vieles effizienter gestalten, werden auch die Kosten der Software-Anbieter mittelfristig sinken, weil Implementierungen weniger Aufwand erfordern. Das sollte sich in der Preis­gestaltung für Lizenzen bemerkbar machen. Es gilt also, Software-Entwicklungen aufmerksam zu beobachten und auch den Blick über den Tellerrand zu werfen. Speziallösungen für unsere vergleichsweise kleine Branche sind eher rar, branchenfremde Produkte häufig aber adaptierbar.

Was ist zu tun?

Künftig müssen wir weiterhin darauf achten, die Hoheit über unsere und die Daten unserer Kunden zu bewahren. Und wir brauchen einen Back-up-Plan, für den Fall, dass Dienste einmal nicht zur Verfügung stehen oder gar Unternehmen vom Markt verschwinden, denen wir unsere Daten als Basis unserer Handlungsfähigkeit anvertraut hatten.

Gefordert sind auch die Branchenverbände, eigenes Fachwissen anzulegen, um digitale lernende Systeme unabhängig von kommerziellen Daten zu machen. Gleiches gilt für Universitäten und Berufskollegs, die Inhalte unter offene Lizenzen stellen sollten.

Bei all dem ist es wichtig, die Grenzen des Einsatzes von KI realistisch zu betrachten. Viele unserer Aufgaben erfordern auch künftig menschliche Fähigkeiten, etwa zur einfühlsamen Kommunikation in Konfliktsituationen oder zur Entwicklung kreativer Lösungen für komplexe Probleme. Hier bleibt KI Ergänzung, nicht Ersatz.

Fazit

KI eröffnet der Immobilienverwaltung viele Möglichkeiten. Durch Automatisierung von Routineaufgaben, Optimierung von Prozessen und datengestützte Entscheidungsfindung können Immobilienverwaltungen effizienter arbeiten, Kosten senken und den Service für Eigentümer und Mieter verbessern, ohne das eigene Personal zu belasten, sondern es tatsächlich zu entlasten.

Um das Potenzial der selbstlernenden Systeme auszuschöpfen, müssen wir uns den Herausforderungen stellen. Dazu gehören der Datenschutz, die sorgfältige Planung und Umsetzung geeigneter Lösungen, die in bestehende Abläufe zu integrieren sind, und wir müssen klar definieren, welche Grenzen wir der KI setzen – und wo wir tatsächlich Mensch bleiben und Technologien lediglich als unterstützendes Werkzeug begreifen.

Niesen, Sebastian

Geschäftsführender Inhaber der Niesen Hausverwaltungen e. K., Düsseldorf