30.04.2019 Ausgabe: 3/19

Wohnen mit ­Energie-Flatrate - Beispielhaftes Bauprojekt: Das nahezu energieautarke Mehrfamilienhaus ­produziert 70 Prozent seines Energiebedarfs selbst.

In Wilhelmshaven an der Nordsee hat die Spar + Baugesellschaft eG ein Mehrfamilienhaus errichtet, das energetisch mit leuchtendem Beispiel vorangeht: Solar- und Photovoltaikmodule auf dem Dach und an den Balkonverkleidungen sorgen für Wärme und Strom. Rund 13 000 Kilowattstunden des Jahresenergiebedarfs lassen sich auf diese Weise mit Solarenergie gewinnen. Was die Sonne im Winter für den Energiebedarf des Hauses nicht hergibt, deckt eine Erdgasbrennwertheizung ab. Strom wird dann aus dem öffentlichen Netz bezogen. Ein 20 000 Liter fassender, rund neun Meter hoher Langzeitwärmespeicher im Inneren des hochgedämmten Gebäudes wird von den Hausbewohnern bei Bedarf genutzt, der selbst erzeugte Strom in Akkus gespeichert. Erzielte Strom- und Wärmeüberschüsse kommen zwei E-Ladesäulen vor dem Haus sowie von Frühjahr bis Herbst auch benachbarten Mehrfamilienhäusern zugute.

Pauschalmiete: 10,50 Euro/qm

Die innovative Haustechnik macht es möglich, für die sechs komfortabel ausgestatteten Wohnungen mit je etwa 90 qm Wohnfläche eine Pauschalmiete von 10,50 Euro/qm aufzurufen, etwa 1,30 Euro weniger als für vergleichbare konventionelle Neubauten in Wilhelms­haven. Ein Novum in Deutschland: Mieter zahlen weder Betriebs- noch Heizkosten, dafür gelten vertraglich vereinbarte Verbrauchsobergrenzen. Die sind aber mit 3 000 kWh und 100 Kubikmetern Wasser im Jahr großzügig bemessen. Erst darüber hinausgehende Verbräuche würden individuell abgerechnet. Displays in den Wohnungen zeigen den Nutzern ihre Verbrauchsdaten aktuell an.

Geschäftsmodelle erweitern

Das Konzept für energieautarkes Bauen mit Pauschalmiete und Energie-Flatrate hat der im sächsischen Freiberg ansässige Energieexperte Prof. Timo Leukefeld entwickelt. Er ist Mitglied im Vorstand des Sonnenhaus-Institut e. V. und stand der Wilhelmshavener Genossenschaft beratend zur Seite. Auf das Sonnenhaus-Konzept, das eine mindestens 50-prozentige solare Erzeugung des jeweiligen Wärmebedarfs vorsieht, geht auch das Energiekonzept des Wilhelmshavener Wohnhauses zurück – und deutlich über die Mindestgrenze hinaus. Das Gebäude erfüllt den KfW-Effizienzhaus 40-Plus-Standard. „Das Energiekonzept des Gebäudes ermöglicht neue Geschäftsmodelle rund um dezentrale Energieversorgung und -management. Es ist ein Beispiel modernen urbanen Bauens, das Ökologie, Nutzen, Sicherheit und Komfort in sich vereint“ so Leukefeld.

In 24 Monaten bezugsfertig

Bemerkenswert ist übrigens auch die Realisierung: Von der Projektierung über die Zustimmung durch den Aufsichtsrat, die Planungsphase bis zur Fertigstellung vergingen gerade mal 24 Monate, und das bei einem Investitionsvolumen von rund 2,47 Mio. Euro. Natürlich waren alle sechs Wohnungen des Ende vergangenen Jahres fertiggestellten Hauses sofort vergeben. Seit 1. Januar laufen die Mietverträge, und es zeigt sich, dass ambitionierte solare Baukonzepte auch im Norden Deutschlands funktionieren. „Es müssen nur ein paar Quadratmeter mehr Solarkollektoren für die Wärmeversorgung eingeplant werden“, so Leukefeld. In Wilhelmshaven wurden dafür 96 qm Solarwärmekollektoren auf dem Süddach verbaut. Hinzu kommen 196 qm ­Photovoltaikmodule für die Solarstromerzeugung.


Zwei weitere energieautarke Mehrfamilienhäuser nach Leukefelds Konzept wurden in diesem Jahr in Cottbus gebaut. Die dortige Wohnungsgenossenschaft Wohnen 1902 wird sie ebenfalls für eine Pauschalmiete mit Energie-Flatrate von 10,50 Euro/qm anbieten.

Fotos: © Wilhelmshavener Spar- und Baugesellschaft


Körner, Andrea

Redaktion