04.05.2020 Ausgabe: 2/20

Zu den Ansprüchen auf Räumung nach Mieterinsolvenz (BGH, Urteil vom 11.4.2019, Az. IX ZR 79/18)

DAS THEMA
Bei Insolvenz des Mieters herrscht häufig große Unklarheit, welche Ansprüche des Vermieters bestehen und in welchem Umfang und welcher Form diese geltend gemacht werden können. Das hier zu besprechende Urteil des IX. Senats (Insolvenz-Senat) knüpft an die neuere Rechtsprechung der Mietrechts-Senate an und bringt hier einiges Licht ins Dunkel. Die Grundsätze zur Räumung bei Mieterinsolvenz seien vorab nochmal kurz dargestellt:
Der Vermieter kann nur kündigen und Räumung verlangen, wenn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein Mietrückstand entsteht, der ihn zur Kündigung berechtigen würde. Mietrückstände vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens berechtigen nicht mehr zur Kündigung, diese können nur noch als Insolvenzforderungen zur Tabelle angemeldet werden bzw. eine eventuell vorhandene Kaution hierauf verrechnet werden.
Dagegen hat der Insolvenzverwalter ein Sonderkündigungsrecht, das er mit einer Frist von drei Monaten jederzeit im Laufe des Insolvenzverfahrens ausüben kann. Dann ist der Insolvenzverwalter verpflichtet, das Grundstück pünktlich zu räumen. Das Gleiche gilt natürlich bei Abschluss einer Mietaufhebungsvereinbarung. Gleichzeitig hat der Vermieter einen insolvenzrechtlichen Aussonderungsanspruch an der Mietsache, die in seinem Eigentum steht, und der auf unmittelbaren Besitz an der Mietsache gerichtet ist. Fraglich ist, in welchem Zustand der Insolvenzverwalter das Grundstück zurückgeben muss, insbesondere inwieweit er noch die Räumung und eventuelle Schadensbeseitigungsmaßnahmen selbst vornehmen muss, oder inwieweit auch solche Forderungen Insolvenzforderungen sind, die in Geldansprüche umgewandelt und ebenfalls zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen.
Schließlich thematisiert das Urteil den Rechts­charakter einer Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle bzw. deren Rücknahme.

DER FALL
Die Insolvenzschuldnerin hatte ein riesiges Gelände gemietet und war berechtigt, dort unter anderem Abfälle und Steine in großen Haufwerken zu lagern. Der Insolvenzverwalter schloss mit dem Vermieter einen Aufhebungsvertrag, in dem zwar die Räumung des Grundstücks vereinbart wurde, hiervon jedoch ausdrücklich ausgenommen wurden die Ablagerungen von Sand, Kompost, Baureststoffen und Ähnlichem; insoweit sollte es bei den insolvenzrechtlichen Vorschriften verbleiben, ebenso für Bodenkontaminationen und sonstige Altlasten. Der Vermieter meldete zunächst geschätzte Beseitigungskosten in Höhe von 4,35 Mio. Euro zur Insolvenztabelle an, nahm davon aber nach dem Prüfungstermin einen großen Teil zurück und reduzierte seine Anmeldung auf etwa 1,68 Mio. Euro, davon ca. 125.000 Euro Gutachter-, Ingenieurs- und Anwaltskosten. Der Insolvenzverwalter stellte die Entsorgungskosten zur Tabelle fest, lediglich der Teil, der auf Gutachter-, Ingenieurs- und Anwaltskosten entfiel, blieb bestritten. In einem späteren Schreiben erhöhte der Vermieter seine Forderung wieder um weitere 2,8 Mio. Euro. Der Vermieter klagte nun auf Feststellung zur Insolvenztabelle, sowohl betreffend des angemeldeten, jedoch streitig gebliebenen Betrags der Gutachterkosten, wie auch hinsichtlich der weiteren geltend gemachten Entsorgungskosten.
Im Rahmen der Frage, ob dem Vermieter die geltend gemachten Gutachterkosten zustehen, entscheidet der BGH die eigentlichen insolvenzrechtlichen Themen: Ein Anspruch auf die Gutachterkosten könnten dem Vermieter nur im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs zustehen. Sie sind weder Teil des insolvenzrechtlichen Aussonderungsanspruchs, der sich nur auf Besitzverschaffung im bestehenden Zustand richtet, noch Teil der mietvertraglichen Räumungspflicht. Diese umfasst zwar die Entfernung der vom Mieter eingebrachten oder vom Vormieter übernommenen Gegenstände und Einrichtungen, jedoch keinen weiterreichenden Schadensersatzanspruch. Hier klärt der Insolvenzsenat des BGH die Frage, inwieweit diese Räumungspflicht Masseschuld ist und daher vom Insolvenzverwalter noch selbst durchgeführt bzw. die Kosten in voller Höhe als „Masseverbindlichkeit“ erstattet werden müssen, bzw. inwieweit der Vermieter nur einen Insolvenzanspruch auf Geldersatz für die Räumungskosten hat, den er zur Insolvenztabelle anmelden muss: Entscheidend ist hierfür – ähnlich wie bei dem vom BGH kürzlich entschiedenen Fall zum Vermieterpfandrecht an Betriebs-Kfz (BGH, Urteil vom 6.12.2017 – XII ZR 95/16) – der Zeitpunkt der Einbringung der Gegenstände auf das Mietgrundstück. Gegenstände und Einrichtungen, die sich schon vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf dem Mietgrundstück befanden, muss der Insolvenzverwalter nicht selbst räumen, insoweit begründet der Räumungsanspruch lediglich eine Insolvenzforderung. Nur Gegenstände, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingebracht wurden, sind vom Insolvenzverwalter zu räumen bzw. begründen Masseverbindlichkeiten.

Diese Feststellungen trifft der Senat im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch hinsichtlich der Gutachterkosten. Diesbezüglich greift der Insolvenz-Senat zunächst auf die Rechtsprechung der beiden Mietsenate zum Schadensersatz zurück. Hiernach können Schadensersatzansprüche entweder aus der schuldhaften Verletzung einer Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) begründet werden, oder es handelt sich um einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§§ 280 Abs. 1 und 3, 281 Abs. 1 S. 1 BGB). Für die Verletzung einer Nebenpflicht fehlt es hier bereits am Verschulden, da die Mieterin gerade aus dem Mietzweck berechtigt war, Haufwerke zu lagern, insbesondere war in den Tatsacheninstanzen nicht festgestellt worden, dass die Lagerung der Haufwerke tatsächlich pflichtwidrig zu einer Kontamination der Böden geführt hatte. Auch ein Schadensersatzanspruch statt der Leistung steht dem Vermieter nicht zu. Der Insolvenzverwalter war nämlich nach den dargestellten Grundsätzen nicht zur Räumung der Haufwerke verpflichtet, sodass es einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung auch nicht geben kann. Die angemeldeten Gutachterkosten waren daher vom Insolvenzverwalter zu Recht bestritten worden und konnten nicht zur Tabelle festgestellt werden.

Der prozessuale (und daher im Abdruck der Entscheidung vorausgehende) Teil des Urteils befasst sich mit der Frage, ob die weitere vom Vermieter nachträglich geltend gemachte Forderung überhaupt korrekt angemeldet war und daher (nach Prüfung) zur Tabelle festgestellt werden konnte. Der BGH verneinte bereits die korrekte Anmeldung, die Voraussetzung für die vom Vermieter erhobene Tabellenfeststellungsklage ist. Zwar hatte der Vermieter zunächst 4,35 Mio. Euro zur Tabelle angemeldet, diese Forderung dann aber mit Schreiben an den Insolvenzverwalter zu einem großen Teil zurückgenommen, sodass nur noch 1,68 Mio. Euro angemeldet blieben. Die Erhöhung der Forderung erfolgte in einem weiteren Schreiben, das nach Feststellung zur Tabelle beim Insolvenz­verwalter einging und daher von diesem nicht mehr berücksichtigt werden musste. Für die Zulässigkeit der Klage kam es deshalb darauf an, ob die Anmeldung noch in Höhe des ursprünglichen hohen Betrags von 4,35 Mio. Euro bestand, oder ob der Vermieter hiervon große Teile wirksam zurückgenommen hatte. Der BGH misst hierfür dem Prüftermin im Insolvenzverfahren eine ganz maßgebliche Rolle bei. Vor diesem Termin können Anmeldungen und auch die Rücknahme der Anmeldung gegenüber dem Insolvenzverwalter erklärt werden; nach diesem Termin muss eine weitere Anmeldung bzw. Rücknahme auch dem Insolvenzgericht zugehen, dies geschieht in der Regel, indem der Insolvenzverwalter solche Schreiben an das Insolvenzgericht weiterleitet. Mit Eingang beim Insolvenzgericht werden solche Erklärungen wirksam, der BGH zieht insoweit Parallelen zum Eingang einer Rechtsmittelschrift beim unzuständigen Gericht und Weiterleitung an das zuständige Gericht. Da das Berufungsgericht nicht aufgeklärt hatte, ob die Rücknahme der Forderung auch beim Insolvenzgericht eingegangen war, musste der BGH die Sache hinsichtlich dieser Frage zurückverweisen.

VERWALTERSTRATEGIE
Bei einer Mieterinsolvenz ist Vorsicht geboten, denn bereits das Insolvenz­verfahren ähnelt hinsichtlich seiner Fristen, Termine und Verbindlichkeit von Erklärungen einem Gerichtsverfahren! Die Rücknahme von Beträgen, die zunächst zur Tabelle angemeldet wurden, löst zwar keine Gebühren aus, ist jedoch verbindlich.
Hinsichtlich des Umfangs der Räumungspflicht (und des Vermieterpfandrechts!) ist bei Insolvenzeröffnung genau zu dokumentieren, welche Gegenstände sich zu diesem Zeitpunkt (Tag und Stunde!) auf dem Mietgrundstück befinden. Diese unterfallen zwar nicht dem Räumungsanspruch gegen die Masse, jedoch dem Vermieterpfandrecht. Umgekehrt sind alle Gegenstände, die nach dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung eingebracht wurden, vom Insolvenzverwalter zu räumen; unterfallen jedoch nicht mehr dem Vermieterpfandrecht.

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Warken, Dr. Susanne Schiesser & Victoria E.

DR. SUSANNE SCHIEßER
Die Fachanwältin für ­Miet- und Wohnungseigentumsrecht ist Salary Partner der Kanzlei Arnecke Sibeth Dabelstein, München.

VICTORIA E. WARKEN
Die Rechtsanwältin ist in derselben Kanzlei schwerpunktmäßig auf dem Gebiet des gewerblichen Mietrechts tätig.
www.asd-law.com