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Dem Bundesarbeitsgericht zufolge gibt es in Deutschland durchaus eine allgemeine Verpflichtung zur Erfassung von Arbeitszeiten.
Bis ins Jahr 2019 herrschte in Politik und der arbeitsrechtlichen Fachliteratur fast einhellig die Meinung, dass im deutschen Recht keine generelle Pflicht des Arbeitgebers vorgesehen sei, die gesamte Arbeitszeit seiner Beschäftigten zu erfassen – Ausnahmen gab es nur in bestimmten Konstellationen und für bestimmte Berufsgruppen oder Branchen. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2019 ließ diese Auffassung ein wenig bröckeln; die Praxis wartete allerdings auf einschlägige Aktivitäten des Gesetzgebers. Aufhorchen lässt ein jüngst ergangenes Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG), demzufolge durchaus eine allgemeine Verpflichtung zur Erfassung der Arbeitszeit besteht, wenn man das deutsche Recht nur nach europäischen Maßstäben auslege.
Welche Verpflichtungen zur Zeiterfassung derzeit gelten, welche Auswirkungen die Urteile des EuGH und des BAG insbesondere auf flexible Arbeitszeitmodelle haben und was Arbeitgebern künftig abverlangt wird, soll hier näher beleuchtet werden:
Gesetzliche Regelungen und die praktizierten Modelle
Eine generelle Verpflichtung von Arbeitgebern, die Arbeitszeit ihrer Angestellten vollumfassend aufzuzeichnen, ist im deut-schen Recht nicht ausdrücklich geregelt. Lediglich § 16 Abs. 2 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) sieht bislang eine Aufzeichnungspflicht für diejenigen Stunden vor, die an Werktagen, also Montag bis Samstag mit Ausnahme von Sonntagen oder gesetzlichen Feiertagen, über acht Stunden hinaus geleistet werden. Des Weiteren existieren zahlreiche Spezialregelungen in missbrauchsanfälligen Sonderbereichen, wie § 21a ArbZG für Beschäftigte im Straßentransport, § 17 Mindestlohngesetz (MiLoG) für geringfügig Beschäftigte und Personengruppen bestimmter Branchen oder § 19 Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) im Anwendungsbereich spezieller Tarifverträge, die das Arbeitsleben aber bei Weitem nicht vollständig abdecken.
Sieht man sich die Betriebe in ihrer Breite an, ist festzustellen, dass ganz unterschiedliche Arbeitszeitmodelle praktiziert werden. Auf der einen Seite gibt es eine Vielzahl von Unternehmen, bei denen die Erfassung der Arbeitszeit – durch das „klassische“ Ein- und Ausstempeln, mittlerweile vielfach auch digital – zum Alltag gehört. Andererseits ist vor allem in den letzten Jahren eine zunehmende Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen zu beobachten, bei denen die Arbeitnehmer mehr oder minder frei über die Lage ihrer Arbeitszeit disponieren können.
Zu nennen sind hier die Gleitzeitmodelle, bei denen es zwar eine sogenannte Kernarbeitszeit gibt, es abseits davon den Arbeitnehmern aber ermöglicht wird, entweder die Lage oder die Lage und die Dauer der täglichen Arbeitszeit selbst zu bestimmen. Auch die sogenannte Vertrauensarbeitszeit ist – was wohl auch der zunehmenden Tätigkeit aus dem Home- bzw. Mobile Office geschuldet ist – in jüngster Zeit auf dem Vormarsch. Arbeitgeber vertrauen bei Vertrauensarbeitszeit darauf, dass Beschäftigte ihre arbeitsvertraglich festgelegte zeitliche Arbeitspflicht auch ohne Kontrolle erfüllen. Der Dauer der Arbeitszeit kommt dabei nur noch eine relative Bedeutung zu, die Einhaltung der jeweiligen Vorgaben wird nicht mehr überwacht.
Europäische Rechtsprechung
Mit einem vielbeachteten, dem sogenannten „Stechuhr-Urteil“ entschied der EuGH im Mai 2019, dass eine spanische Regelung – die ähnlich wie der deutsche § 16 Abs. 2 ArbZG lediglich zur Aufzeichnung von Überstunden und nicht der gesamten Arbeitszeit verpflichtete – nicht mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) übereinstimme. Vielmehr müssten die Mitgliedstaaten Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzurichten, mit dem die von jedem Beschäftigten geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann. Ohne die Arbeitszeiterfas- sung könne, so der EuGH, weder die Dauer der Arbeitszeit noch ihr Beginn oder Ende verlässlich festgestellt werden. Arbeitneh- mern werde die Durchsetzung ihrer Rechte dadurch erschwert bzw. unmöglich.
Seither wurde kontrovers disku- tiert, ob und inwieweit sich das deutsche Recht europarechtskonform auslegen ließe und durch das Urteil des EuGH bzw. aus der in Bezug genommenen Arbeits- zeitrichtlinie eine Verpflichtung der deutschen Arbeitgeber abgeleitet werden könne, die Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten vollumfänglich zu erfassen. Fast einhellig wurde das Urteil dabei so interpretiert, dass der EuGH damit lediglich die nationalen Gesetzgeber verpflichtet, eine gesetzliche Verpflichtung zur Einrichtung eines Zeiterfassungssystems zu schaffen, nicht aber die einzelnen Unternehmen unmittelbar in die Verant- wortung nehmen wolle. Da der deutsche Gesetzgeber dieser Verpflichtung aber bislang nicht nachgekommen sei (es waren mehrere Gesetzesentwürfe im Umlauf, die jedoch allesamt nicht verabschiedet wurden), bestehe auch weiterhin keine Pflicht zu einer umfassenden Erfassung der Arbeitszeit sämtlicher Beschäftigter. Vorher müsse der Gesetzgeber aktiv werden, so die bis August 2022 ganz überwiegende Meinung.
Aktuelle Entscheidung des BAG
Dieser Ansicht hat eine jüngst ergangene Entscheidung des BAG (Urteil vom 13.9.2022, Az. 1 ABR 22/21) den Boden entzogen. In dem zugrunde liegenden Sachverhalt
ging es zwar vordergründig lediglich um die Frage, ob ein Betriebsrat, der den Arbeitgeber verpflichten wollte, ein System der Zeiterfassung einzuführen, ein Initiativrecht hatte und, da der Arbeitgeber nicht verhandlungsbereit war, arbeitsgerichtlich eine Einigungsstelle einsetzen lassen wollte. Das BAG entschied jedoch – völlig über- raschend –, dass es bereits die gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gebe, die unmittelbar in allen Betrieben und für sämtliche Arbeitnehmer gelte – resultierend aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG). Und weil das Betriebsverfassungsgesetz immer dann, wenn die vom Betriebsrat angestrebte Regelung nicht bereits durch Gesetz oder Tarifvertrag normiert sei, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebs- rats ausschließt, verneinte das BAG das Bestehen eines solchen Initiativrechts des Betriebsrats und wies dessen Antrag auf Feststellung des Bestehens eines Initiativ- rechts ab – mit der Folge, dass die Einigungsstelle auch nicht mehr entscheiden kann.
In § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ist geregelt, dass Arbeitgeber für eine geeignete Organisation zu sorgen haben, um notwendige Arbeitsschutzmaßnahmen – zu denen auch die Verpflichtung der Arbeitgeber gehört, auf die Einhaltung der Grenzen des ArbZG zu achten – umzusetzen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung – also im Einklang mit der Arbeitszeitrichtlinie und der Rechtsprechung des EuGH – bedeute dies nach Ansicht des BAG eine gesetzliche Verpflichtung, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen, da nur so eine entsprechende Kontrolle ermöglicht wird.
Kurz: Nach Auffassung des BAG ist es bereits heute geltendes Recht, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit – also Beginn, Ende und Dauer – der Beschäftigten aufzuzeichnen ist.
Konsequenzen für die betriebliche Praxis
In der Fachliteratur hat sich zur Entscheidung des BAG innerhalb kürzester Zeit ein lebhafter Diskurs entwickelt. Befürchtet werden insbesondere massive Auswirkungen auf solche Unternehmen, bei denen derzeit flexible Arbeitszeitmodelle – zu nennen ist hier insbesondere die Vertrauensarbeitszeit, ob im Home- bzw. Mobile Office oder vor Ort – gelebt werden. Selbst bei leitenden Angestellten im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne, für die die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes und damit eine Aufzeichnungspflicht nicht gelten, muss künftig eine Arbeitszeiterfassung angeboten werden.
Des Weiteren stellt sich die Frage, wie insbesondere Kleinunternehmen und Handwerksbetriebe die Vorgaben umsetzen sollen. Bei diesen sind die Mitarbeiter oftmals weder den ganzen Tag im Betrieb anwesend (Stichwort: Ein- und Ausstempeln), noch sitzen sie im Homeoffice vor dem PC. So ist also auch keine Zeiterfassung per Computerprogramm möglich. Immerhin gibt es bereits leistungsfähige Smartphone-Apps, die hier hilfreich sein können.
Zum Redaktionsschluss, Ende Oktober, lagen die Urteilsgründe nicht vor. Erwartet wird aber, dass sich das BAG an die vom EuGH aufgestellten Maßstäbe anlehnt. Danach muss „ein objektives, verlässliches und zugängli- ches System“ eingeführt werden, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. Das System muss es also ermöglichen, dass sicher festgestellt werden kann, von wann bis wann Beschäftigte arbeiten und wie viel Pause sie machen. Mithin muss es ohne große Schwierigkeiten die (behördliche) Kontrolle erlauben, ob die Vorgaben des Arbeitsschutzes, insbesondere Höchstarbeitszeit und Ruhezeiten, eingehalten wurden. Schätzungen, Pauschalisierungen oder ungefähre Angaben dürften nicht ausreichen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist dazu der Auffassung, dass die Erfassung der reinen Dauer der Arbeitszeit nicht ausreichend ist.
Die Einrichtung eines solchen Systems könnte für Unternehmen, in denen bislang keine Erfassung der Arbeitszeit praktiziert wird, einige (verwaltungs-)technische Herausforderungen und einen gewissen Kostenaufwand mit sich bringen – in Betrieben mit Betriebsrat ist dieser zu beteiligen, falls ein technisches System eingeführt wird, das (auch) zur Überwachung von Leistung oder Verhalten der Arbeitnehmer geeignet ist. Allerdings muss das System nicht notwendigerweise elektronisch/digital eingerichtet werden, da – jedenfalls nach unserer und wohl überwiegender Ansicht – auch eine Aufzeich- nung in Papierform genügt. Außerdem kann die Pflicht zur Erfassung der Arbeitszeit auf die Beschäftigten übertragen werden.
Fazit
Viele Unternehmen dürften gleichwohl vor der Aufgabe stehen, ein funktionierendes Zeiterfassungssystem einzuführen und ggf. sogar ihre Arbeitszeitmodelle anzupassen – das alles ohne Umsetzungsfrist. Jetzt rächt sich, dass der Gesetzgeber trotz Kenntnis der europäischen Rechtsprechung über Jahre hinweg untätig geblieben ist und nun von einer Entscheidung der Fachgerichte überholt wurde. Das viel beschworene Ende der Vertrauensarbeitszeit wurde durch das Urteil aber definitiv nicht eingeleitet. Es spricht überhaupt nichts dagegen, es innerhalb der Grenzen des ArbZG weiterhin den Beschäftigten zu überlassen, wann und wie viel sie arbeiten. Allerdings ist die geleistete Arbeitszeit künftig aufzu- zeichnen. Das Bundesarbeitsministerium hat angekündigt, einen Gesetzesentwurf für die Ausgestaltung der Arbeitszeiterfassung vorzustellen, sobald die Entschei- dungsgründe des BAG für das Urteil vom 13. September 2022 veröffentlicht sind.
Fachanwalt für Arbeitsrecht,
Handels- und Gesellschaftsrecht,
Geschäftsführer der LKC
Rechtsanwaltsgesellschaft mbH,
München-Bogenhausen