WEG-Recht

Änderung des Abrechnungsmaßstabs: weites Gestaltungsermessen der Mehrheit bis hin zur Grenze der Willkür

Vom Amtsgericht Fürstenfeldbruck über das Landgericht München I (Berufung) gelangte eine Anfechtungsklage gegen einen Mehrheitsbeschluss nach § 16 Abs. 3 WEG a. F. (alte Fassung) betreffend die Verteilung der Warmwasserkosten zum Bundesgerichtshof (BGH) in der Revisionsinstanz. Das Urteil betont den weiten Ermessensspielraum der Mehrheit bei der Ausgestaltung des Abrechnungsmaßstabs.

Mit Urteil vom 2. Oktober 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 282/19 entschied der BGH, dass die Aufgabe eines Kostenverteilungsschlüssels zugunsten eines neuen Verteilungsmaßstabes durch Mehrheitsbeschluss nach § 16 Abs. 3 WEG a. F. nicht voraussetze, dass der bisher geltende Schlüssel einzelne Wohnungseigentümer benachteilige oder dass aufgrund sonstiger Umstände eine Neuregelung erforderlich sei. Vielmehr stehe der Mehrheit aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zu, der lediglich durch das allgemeine Willkürverbot beschränkt werde. Gleichzeitig entschied der BGH, dass auch bei Beibehaltung des Kostenverteilungsschlüssels (hier: verbrauchsabhängiger und verbrauchsunabhängiger Teil der Warmwasserkosten) eine Nachjustierung bei den Wohnflächen (hier: Einbeziehung der Grundflächen von Balkonen, Loggien und Dachterrassen gemäß der Wohnflächenverordnung [WoFlV] zu 1/4) von § 16 Abs. 3 WEG a. F. gedeckt sei.

Der Fall

In der Gemeinschaftsordnung (GO) ist abweichend von § 16 Abs. 2 WEG a. F. (Verteilung nach Miteigentumsanteilen) vereinbart, dass die Kosten des Heizbetriebs zu 50 Prozent nach gemessenem Verbrauch und zu 50 Prozent verbrauchsunabhängig nach der Wohnfläche (Grundkostenanteil) verteilt werden, wobei Terrassen, Balkone und Loggien bei der Berechnung der Wohnfläche insoweit ausgenommen sind. Für die Kosten der zentralen Warmwasserversorgung gelten laut GO die gleichen Grundsätze, lediglich mit der Ausnahme, dass der Verbrauchskostenanteil 70 Prozent und der Grundkostenanteil 30 Prozent der Gesamtkosten beträgt.

In der Eigentümerversammlung vom 12.07.2017 fasste die Mehrheit folgenden Beschluss:

„Die Eigentümergemeinschaft beschließt die Umstellung der Umlage des 30-prozentigen Festkostenanteils der Warmwasserkosten ab dem Jahr 2018 folgendermaßen: Es werden der Wohnflächenverordnung folgend – in dem Bewusstsein, dass diese nicht zwingend anzuwenden ist, sondern nur eine Möglichkeit darstellt – auch die Außenflächen, d. h. die Dachterrassen und Balkone/Loggien mit dem in der Wohnflächenverordnung zugelassenen Anteil von 25Prozent ihrer Grundfläche miteinbezogen.“

Die hiergegen gerichtete Anfechtungsklage scheiterte. Die Kläger zu 3) und 4) gelangten bis in die vom Berufungsgericht eröffnete Revisionsinstanz. Sie beanstanden die Verletzung zwingender Vorgaben der Heizkostenverordnung (HeizkostenV) und der Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung. Insbesondere benachteilige der bisher geltende Schlüssel niemanden, so dass vielmehr die sie nun treffende jährliche Mehrbelastung von 45,31 Euro ungerechtfertigt sei.

Die Entscheidung

Der BGH weist die Revision zurück. § 16 Abs. 3 WEG a. F. verleihe eine gesetzliche Beschlusskompetenz zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels für Betriebskosten. Warmwasserkosten seien Betriebskosten im Sinne der Vorschrift. Der für die Verteilung des verbrauchsunabhängigen Grundkostenanteils maßgebliche Begriff der „Wohnfläche“ im Sinne des § 8 Abs. 1 HeizkostenV dürfe sehr wohl unter Rückgriff auf die Bestimmungen der Wohnflächenverordnung (WoFlV) und damit unter Einbeziehung von Balkonen, Loggien, Dachgärten und Terrassen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2, § 4 Nr. 2 WoFlV) ermittelt werden. Der Begriff „Wohnfläche“ sei auslegungsbedürftig. Es sei nicht erkennbar, weshalb die Mehrheitsentscheidung, die insoweit auf die WoFlV als eine allgemein erkannte Berechnungsmethode zurückzugreife, keine ordnungsmäßige Verwaltung darstellen solle. Grenze der Mehrheitsmacht sei sowohl im Bereich von § 16 Abs. 3 WEG a. F. als auch im Anwendungsbereich von § 6 Abs. 4 S. 2 Nr. 3 HeizkostenV das allgemeine Willkürverbot. Willkürlich sei die Mehrheitsentscheidung vorliegend aber nicht. Der Mehrheit stehe bei Änderungen bzw. Modifizierungen des Verteilungsschlüssels aufgrund ihres Selbstorganisationsrechts ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

Fazit für den Verwalter

Die Heizkostenverordnung ist auch in einer Wohnungseigentümergemeinschaft zu beachten (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 i. V. m. § 2 HeizkostenV). Dies gilt unabhängig davon, ob die Wohnungseigentümer durch Vereinbarung (GO) oder Beschluss abweichende Bestimmungen getroffen haben. Vorliegend wurde der Kostenverteilungsschlüssel für Warmwasserkosten (Grundkostenanteil 30 Prozent, Verbrauchskostenanteil 70 Prozent) beibehalten, nicht geändert. § 16 Abs. 3 WEG a. F. gestattet aber auch die Modifikation des Berechnungsmaßstabes für den Grundkostenanteil bzw. dessen flächenmäßige Berechnung.

§ 16 Abs. 3 WEG a. F. galt vom 01.07.2007 bis zum 30.11.2020. Auch nach dem am 01.12.2020 in Kraft getretenen neuen WEG können die Wohnungseigentümer für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten eine vom gesetzlichen Verteilerschlüssel (Miteigentumsanteile) oder einer Vereinbarung (Gemeinschaftsordnung) abweichende Verteilung mehrheitlich beschließen (§ 16 Abs. 2 S. 2 WEG 2020). Gleiches gilt für per Mehrheitsbeschluss bereits früher einmal geänderte Kostenverteilungsschlüssel. Heizkosten und Warmwasserkosten sind eine einzelne bestimmte Kostenart im Sinne der Vorschrift. Die Aussagen des BGH zum Gestaltungsspielraum gelten auch nach neuer Gesetzeslage.

Im vorliegenden Fall war die Beschlussfassung auf den Beginn der nächstjährigen Abrechnungsperiode gerichtet. Vorteilhaft an einer solchen Beschlussgestaltung ist, dass es keinen Streit über die Frage der rechtlichen Zulässigkeit einer Rückwirkung bzw. Geltung im laufenden Wirtschaftszeitraum geben kann.

Offen lässt der BGH, ob der vorliegende Beschluss auch bei der Verteilung der Heizkosten rechtmäßig gewesen wäre oder ob insoweit nicht beheizbare Außenflächen auch beim verbrauchsunabhängigen Kostenanteil außen vor bleiben müssen (Rn. 26 des Urteils).

Die Mehrheit hat einen weiten Spielraum. Diesen kann und darf sie nutzen, auch wenn der bisherige Verteilerschlüssel keinen einzelnen Wohnungseigentümer benachteiligt. Das mehrheitliche Streben nach einer höheren Kostenverteilungsgerechtigkeit genügt, selbst wenn jede Änderung für einzelne Miteigentümer wiederum nachteilig, weil mit einer höheren Kostenbelastung verbunden sein kann. Ist die Mehrheit hingegen gegen eine Änderung, kann es für die Minderheit schwieriger werden, die begehrte Neuregelung gerichtlich durchzusetzen.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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