WEG-Recht

Bauliche Veränderung am Sondereigentum muss sich in das optische Gesamtbild einfügen

§ 22 Abs. 1-3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) regelt bauliche Maßnahmen (bauliche Veränderungen, Modernisierung, modernisierende Instandsetzung) am gemeinschaftlichen Eigentum. Sondereigentum wird nicht umfasst. Dennoch unterliegen auch bauliche Maßnahmen am oder auf dem Sondereigentum gesetzlichen Beschränkungen, wie der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil von Ende 2016 feststellt.

Mit Urteil vom 18.11.2016 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 49/16 entschied der BGH in einem Rückbauprozess, in dem die Klägerin einen Miteigentümer auf Rückbau baulicher Maßnahmen verklagte, die dieser für rund 21.000,00 EUR auf seinem Dachgarten vorgenommen hatte.

Der Fall

Klägerin und Beklagter sind Mitglieder einer WEG im Taunus, die 1964 errichtet wurde. Dem Beklagten gehört das Penthouse auf dem Dach, der Klägerin eine Wohnung in einem unteren Geschoss. Zu dem Penthouse gehört nach der Teilungserklärung ein Dachgarten, den die Rechtsvorgänger des Beklagten bereits 1964 mit Zustimmung des damaligen Verwalters, aber ohne die Zustimmung der Wohnungseigentümer, mit Platten auslegten, mit einem Zaun umgrenzten und mit einem Dachvorbau aus teilverglasten Holzseitenwänden versahen. In der Gemeinschaftsordnung ist vereinbart, dass Veränderungen am gemeinschaftlichen Eigentum im Außenbereich der Zustimmung des Verwalters bedürfen und bei wesentlichen Veränderungen zusätzlich die Zustimmung der Eigentümerversammlung einzuholen ist. Dies gilt insbesondere auch für Veränderungen an den Balkonen und Dachterrassen, auch soweit diese im Sondereigentum stehen. Die Eigentümerversammlung beschloss eine gemeinschaftliche Dachinstandsetzung, in deren Zuge auch Form und Gestalt der gesamten Dachkonstruktion und der Attika verändert wurden. Die Arbeiten wurden in der Zeit von Oktober 2012 bis April 2013 vorgenommen. Zur Durchführung der gemeinschaftlichen Arbeiten war es auch erforderlich, den Belag, die Umgrenzung und den Dachvorbau auf dem Dachgarten des Beklagten zu entfernen. Dieser duldete die Arbeiten und ließ im Anschluss einen neuen Dachvorbau errichten, der in Form und Farbe von dem früheren Zustand abwich. Hierzu behauptet der Beklagte, die Zustimmung des Verwalters eingeholt zu haben. Eine Zustimmung der Eigentümerversammlung lag unstreitig nicht vor. Das Amtsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landgericht in der Berufungsinstanz den Beklagten zum Rückbau der Seitenwände des neuen Dachvorbaus sowie eines Kastens in der Mitte des Dachgartens verurteilt. Das Landgericht ließ die Revision zu, so dass der BGH entscheiden musste.

Die Entscheidung

Der BGH hob das Urteil des Landgerichts auf und verwies die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung in die zweite Instanz zurück. Der BGH führt aus, dass die bisher getroffenen Feststellungen nicht genügten, um der Klage stattzugeben. Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht zur Beurteilung der Rechtslage auf § 22 Abs. 1 WEG zurückgegriffen. Dies sei verfehlt, weil § 22 WEG lediglich bauliche Maßnahmen am gemeinschaftlichen Eigentum regele, insbesondere Substanzeingriffe. Daran fehle es, da der Dachgarten – mit ähnlichen Einschränkungen wie bei Balkonen und Dachterrassen – an sich sondereigentumsfähig sei, wenn die Teilungserklärung – wie hier – ihn zum Sondereigentum erkläre.

Obwohl § 22 Abs. 1 WEG mithin nicht einschlägig sei, sei einem Sondereigentümer gleichwohl die Vornahme baulicher Veränderungen an oder auf seinem Sondereigentum nur in bestimmten Grenzen erlaubt. Die Zustimmungsbedürftigkeit könne sich aus § 14 Nr. 1 WEG ergeben. Jeder Wohnungseigentümer dürfe zwar mit seinem Sondereigentum nach Belieben verfahren, doch müsse er dabei das Gesetz und die Rechte Dritter berücksichtigen (§ 13 Abs. 1 WEG). Diese Einschränkung werde vor allem durch § 14 Nr. 1 WEG in der Weise konkretisiert, dass jeder Wohnungseigentümer von seinem Sondereigentum nur in solcher Weise „Gebrauch machen“ dürfe, dass dadurch keinem der anderen Wohnungseigentümer über das zumutbare Maß hinaus ein Nachteil erwachse. Deshalb liege ein Nachteil nicht nur bei Eingriffen in das gemeinschaftliche Eigentum vor, sondern auch bei Eingriffen in das Sondereigentum, wenn diese zu einer erheblichen optischen Veränderung des gesamten Gebäudes führen.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts dürfe bei der Beurteilung der Erheblichkeit eines Nachteils nicht nur auf das konkret veränderte Bauteil geschaut werden. Vielmehr sei ein Vorher-Nachher-Vergleich von Nöten, der das gesamte Gebäude einbeziehe. Außerdem dürfte bei der Feststellung des Gesamteindrucks des Gebäudes nicht nur auf die zeichnerischen Vorgaben im Aufteilungsplan zurückgegriffen werden. Stattdessen sei es erforderlich, auch zwischenzeitlich vorgenommene bauliche Veränderungen am Gebäude, die entweder von Sondereigentümern vorgenommen wurden oder auf gemeinschaftliche Beschlüsse zurückgehen, in die Vergleichsbetrachtung einzubeziehen. Da es um den optischen Gesamteindruck gehe, sei für die Betrachtung jeder Blickwinkel auf oder vor dem Grundstück entscheidend, also beispielsweise nicht nur der Blick von der Straßenseite aus.

Des Weiteren sei im Rahmend es Vorher-Nachher-Vergleichs zu berücksichtigen, dass die Veränderung des Dachgartens nicht auf einen freien Entschluss des Beklagten zurückgegangen sei, sondern auf die gemeinschaftliche Instandsetzung des Daches, die ihrerseits erhebliche Veränderungen des Dachaufbaus mit sich brachte und dadurch notwendige bauliche Anpassungen von Dachgarten und Dachvorbau unvermeidbar machten. Schließlich müsse auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei der Ersetzung betagter Bauteile – wie hier aus dem Jahre 1964 – eine originalgetreue Ersetzung vielfach nicht – jedenfalls nicht mit vertretbarem wirtschaftlichen Aufwand – möglich sei.

Interessant ist, dass der Bundesgerichtshof auf solche bauliche Maßnahmen am oder auf dem Sondereigentum auch die Regelungen von § 22 Abs. 2 (Modernisierung) und Abs. 3 WEG (modernisierende Instandsetzung) anwenden will. Ein Sondereigentümer, der durch eine bauliche Maßnahme am Sondereigentum in erheblicher Weise in die Rechte seiner Miteigentümer eingreife, könne einen Rückbau dadurch verhindern, dass er mit der jeweils erforderlichen Mehrheit einen Beschluss herbeiführe. Für den vorliegenden Fall zieht der BGH (Rn 26 des Urteils) in Betracht, dass der geschaffene neue Dachvorbau als Modernisierung oder modernisierende Instandsetzung eingestuft werden könne, was freilich näherer Feststellungen zum Sachverhalt durch das Berufungsgericht voraussetze.

Randnotizen der Entscheidung

Einmal mehr betont der BGH, dass § 15 Abs. 3 WEG und § 1004 Abs. 1 BGB zwei unterschiedliche Anspruchsgrundlagen für einen Rückbau sind (Rn 7).

Balkone, Dachterrassen und Dachgärten sind teilweise sondereigentumsfähige (raumähnliche) Bauteile eines Gebäudes (Rn 8).

Auslegungsfrage ist, ob mit einem Sondernutzungsrecht zugleich ein Recht zur baulichen Umgestaltung im Sinne einer vorweggenommenen Zustimmung liegt (Rn 24). Im vorliegenden Fall verneinte der BGH dies.

Fazit für den Verwalter

Nimmt ein Sondereigentümer bauliche Maßnahmen an seinem Sondereigentum vor, die auf den optischen Gesamteindruck der Wohnanlage ausstrahlen, kann sich die Notwendigkeit einer Beschlussfassung der Wohnungseigentümer anlog § 22 Abs. 2 und 3 WEG ergeben. Der Verwalter kann gehalten sein, einen entsprechenden Beschlussantrag in die Einladung / Tagesordnung aufzunehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der bauwillige Sondereigentümer einen solchen Antrag stellt.

Sieht eine Gemeinschaftsordnung – wie hier – eine Verwalterzustimmung für bauliche Maßnahmen vor, ist dies grundsätzlich ein zusätzliches Erfordernis zur Zustimmung beeinträchtigter Wohnungseigentümer, die also zusätzlich erforderlich ist. Da im vorliegenden Fall weder 1964 noch 2013 die Zustimmung der Wohnungseigentümer eingeholt wurde, handelte es sich möglicherweise um rechtswidrige bauliche Veränderungen. Hinsichtlich des alten baulichen Zustandes des Dachgartens war Verjährung möglicher Rückbauansprüche eingetreten. Ein Rückbau und eine plangerechte Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums und der Dachterrasse hätten folglich nur durch und auf Kosten der Gemeinschaft erfolgen können und dürfen. Fraglich ist, ob der Beklagte eine gemeinschaftliche Wiederherstellung des vorherigen Zustandes hätte verlangen können. Dies ist zweifelhaft, weil durch die Verjährung die Rechtswidrigkeit des vorherigen baulichen Zustandes nicht beseitigt wurde. Er hätte daher wohl nur eine plangerechte Herstellung verlangen können, also ohne die von seinen Rechtsvorgängern eingebauten Platten, Umgrenzungszaun und Dachvorbau mit Holzseitenwänden. Mit der Errichtung des neuen Dachgartens entstand allerdings ein neuer Beseitigungsanspruch, dessen Verjährung mit Ablauf des Jahres begann, in dem der Beklagte die Baumaßnahmen durchführte, hier wahrscheinlich also mit Ablauf des 31.12.2013.

 
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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