Mit Urteil vom 16. Juli 2021 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 163/20 entschied der BGH über eine Anfechtungsklage, die über das Landgericht Hamburg bei ihm landete. Diesmal war es nicht die rekordverdächtige Rehmstraße (dazu Newsletter vom 15.03.2018), die eine höchstrichterliche Klärung ihrer Rechtsverhältnisse begehrte, sondern eine andere Hamburger Wohnungseigentümergemeinschaft. Der BGH stärkt den Grundsatz der Einheitlichkeit der Jahresabrechnung. Wichtigste Folge ist, dass über die Gesamtjahresabrechnung als Teil der einheitlichen Jahresabrechnung zwingend allein die Gesamtgemeinschaft zu beschließen hat, also sämtliche Sondereigentümer stimmberechtigt sind. Dies gilt ferner für die Darstellung der Instandhaltungsrücklage, und zwar auch dann, wenn für die Untergemeinschaften laut GO buchhalterisch separate Instandhaltungsrücklagen zu bilden sind. Überdies stellt der BGH fest, dass im Zweifel das Rechnungswesen insgesamt Sache der Gesamtgemeinschaft ist.
Der Fall
Die Parteien der Anfechtungsklage bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die nach der GO in mehrere Untergemeinschaften untergliedert ist. Die GO enthält u. a. folgende Vereinbarungen:
„§ 11 Ziff. 5:
Die Kosten und Lasten gemäß Ziffern 1 und 2 werden - soweit möglich - für jede Untergemeinschaft (vgl. § 18) gesondert ausgeworfen:
Jede Untergemeinschaft (Häuser Nr. 1, 3 - 16 und die jeweilige Tiefgarage) trägt sämtliche ihrem Haus […] zuzuordnenden Kosten und Lasten so, als wenn sie eine eigene Wohnungseigentümergemeinschaft wäre. […]
§ 14 Ziff. 7:
Bei Angelegenheiten, die ausschließlich einer bestimmten Untergemeinschaft zuzuordnen sind, insbesondere bei solchen, die sich auf die alleinige Kosten- und Lastentragung der betreffenden Untergemeinschaft auswirken, sind allein die Mitglieder dieser Untergemeinschaft stimmberechtigt. […]
§ 18 Ziff. 1:
(2) Diese Gemeinschaften bilden in tatsächlicher Hinsicht voneinander getrennte und unabhängige Untergemeinschaften, die lediglich durch das Miteigentum am Grundstück miteinander verbunden
sind.
(3) Zu diesen Untergemeinschaften gehört jeweils das gesamte Gebäude mit allen Bestandteilen und Zubehör (Dach und Fach).
§ 18 Ziff. 2:
(1) Jede Untergemeinschaft regelt ihre Angelegenheiten nach Maßgabe der Teilungserklärung selbst.
(2) Sämtliche in den Untergemeinschaften anfallenden Kosten tragen die jeweiligen Eigentümer bzw. Sondernutzungsberechtigten in den Untergemeinschaften. Es sind - soweit möglich - gesonderte Rücklagen zu bilden sowie die Gebäude gesondert abzurechnen.
(3) Für alle Maßnahmen der Verwaltung einschließlich Beschlussfassung ist jeweils nur die Untergemeinschaft zuständig, zu deren Bereich (einschließlich zugeordneter Sondernutzungsbereiche) die jeweilige Maßnahme gehört.
(4) Hinsichtlich des Gesamtgrundstücks und der nicht den einzelnen Untergemeinschaften obliegenden Angelegenheiten wird eine Gesamtgemeinschaft gebildet, die über alle Angelegenheiten beschließt, die nicht die jeweilige Untergemeinschaft, sondern alle Eigentümer gemeinschaftlich angehen.“
Im Jahr 2017 wurde in einer Eigentümerversammlung der Gesamtgemeinschaft unter TOP 3 ein Beschluss über die Genehmigung der vom Verwalter vorgelegten Jahresabrechnung 2016 gefasst. Die Darstellung der Instandhaltungsrücklage führt unter der Position „Instandhaltungsrücklage Haus 11“ Entnahmen in Höhe von 18.664,45 EUR für Architekten- und Planungskosten auf. Nur bezüglich dieser Position wenden sich die Kläger gegen die Beschlussfassung und beanstanden die fehlende Beschlusskompetenz der Gesamtgemeinschaft. Sie wollen erreichen, dass der Beschluss „fliegt“. Ihre Anfechtungsklage scheiterte in allen Instanzen, gab dem BGH aber Gelegenheit, seine Rechtsprechung zur Abrechnung in sog. Mehrhausanlagen weiter zu verfeinern. Seit einem Urteil aus Sommer 2012 hatte der BGH die streitige Frage offengelassen, ob die Gesamtgemeinschaft die Beschlusskompetenz hat, im Rahmen der Genehmigung von Jahresabrechnungen auch über solche Kostenpositionen zu beschließen und deren Verteilung auf die Untergemeinschaften zu regeln, die von vornherein getrennt nach Untergemeinschaften anfallen.
Weiterhin offen lässt der BGH leider, ob in der Praxis ein zwei- oder dreistufiges Abstimmungsverfahren vorzugswürdig ist. Im vorliegenden Fall spielte dies keine Rolle, weil die Kläger sich mit ihren Rügen nur auf die von der Gesamtgemeinschaft beschlossene Gesamtabrechnung einschließlich Darstellung der Rücklage stürzten.
Die Entscheidung
Der BGH bestätigt die Klagabweisung durch die Vorinstanzen. Der angefochtene Beschluss über die Gesamtabrechnung sei weder anfechtbar noch mangels Beschlusskompetenz der Gesamtgemeinschaft in Bezug auf die Rücklagenentnahme für die Untergemeinschaft Haus 11 nichtig. Denn die Annahme des Berufungsgerichts, dass einzig und allein die Gesamtgemeinschaft den Beschluss über die Gesamtabrechnung und die Darstellung der Instandhaltungsrücklage fassen dürfe, sei rechtsfehlerfrei.
Zunächst weist der BGH darauf hin, dass bezüglich der Bildung, Zuständigkeit, Abrechnungsweise und Abstimmung von Untergemeinschaften durch Regelungen in der Gemeinschaftsordnung ganz unterschiedliche Gestaltungsvarianten denkbar und zulässig seien. Die sich hieraus ergebenden Fragen seien indes noch nicht abschließend geklärt und müssten auch an dieser Stelle noch nicht einer endgültigen Klärung zugeführt werden (Randnummern 7 und 15 der Urteilsgründe). Sehe die GO – wie im vorliegenden Fall – die Bildung von Untergemeinschaften mit grundsätzlich alleiniger Kosten- und Lastentragung, Zuständigkeit und Stimmberechtigung in solchen Angelegenheiten, die ausschließlich diese Untergemeinschaft betreffen, vor, im Übrigen aber auch hinsichtlich des Gesamtgrundstücks eine „Gesamtgemeinschaft“, sei bei der Beschlussfassung über die Genehmigung der Jahresabrechnung keine ausschließliche und alleinige Angelegenheit im Sinne der GO gegeben, jedenfalls nicht in Bezug auf die hier streitgegenständliche Gesamtabrechnung samt Darstellung der Entwicklung der Instandhaltungsrücklage der Gesamtgemeinschaft. Vielmehr sei im Zweifel das gesamte Rechnungswesen Sache der Gesamtgemeinschaft, also auch dann, wenn – wie hier – die Darstellung einer Entnahme aus der Rücklage zur Bezahlung einer ausschließlich die Untergemeinschaft Haus 11 betreffenden Instandsetzungsmaßnahme Gegenstand der Beschlussfassung sei.
Ausdrücklich offen lässt der BGH, ob in Fällen der vorliegenden Art ein dreistufiges Abstimmungsverfahren erforderlich ist oder ein zweistufiges Verfahren ausreicht (siehe zum Meinungsstand Rn 15 der Urteilsgründe). Diese Frage ist wichtig bei der Versammlungsleitung.
Fazit für den Verwalter
Hat der Verwalter Mehrhausanlagen im Verwaltungsbestand, muss bei Objektübernahme geprüft werden, ob und – falls ja – welche Vereinbarungen die GO zur Bildung von Untergemeinschaften enthält. Begrifflich setzt eine Mehrhausanlage nicht notwendig die Existenz mehrerer freistehender Gebäude oder Baukörper voraus. Auch ein zusammenhängender Gebäudekomplex gestattet bei entsprechender Ausgestaltung der GO die Bildung von Untergemeinschaften.
Die Einberufung und Durchführung echter Teilversammlungen wird nur in seltenen Ausnahmefällen so klar und eindeutig in der GO vereinbart sein, dass die Einladung anderer Eigentümer aus anderen Untergemeinschaften einen formellen Beschlussmangel bedeuten würde. Gesetzlicher Ausgangspunkt und im Zweifel anzunehmen ist eine „Gesamtversammlung“ mit getrennten Stimmberechtigungen der Eigentümer in solchen Angelegenheiten, die jeweils allein und ausschließlich die eigene Untergemeinschaft betreffen. Speziell bei Erhaltungsmaßnahmen an oder in dem jeweiligen Gebäude einer Untergemeinschaft einschließlich ihrer Finanzierung ist ein solches „Blockstimmrecht“ anerkannt, wenn in der GO zugleich vereinbart ist, dass die diesbezüglichen Kosten allein von den Eigentümern der betroffenen Untergemeinschaft zu tragen sind (dazu Newsletter vom 15.03.2018).
Sollte eine GO tatsächlich einmal im Sinne der Durchführung von separaten Teilversammlungen anstelle der Gesamtversammlung auszulegen sein, bedeutet das vorliegende Urteil, das die Genehmigung der Gesamtabrechnung zwingend in die Gesamtversammlung gehört. Dann aber erscheint es unpraktikabel, die Genehmigung von Teilen der Jahresabrechnung in verschiedene Teilversammlungen auszulagern. Neben der vom BGH betonten Einheitlichkeit der Jahresabrechnung zur Ermittlung einheitlicher Abrechnungsspitzen erfordern meiner Meinung nach auch die Einheitlichkeit des Abstimmungsverfahrens mit synchroner Beschlussergebnisverkündung sowie die Einheitlichkeit der Anfechtungsfristen eine einheitliche Versammlung.
Solange nicht geklärt ist, ob ein zweistufiges oder ein dreistufiges Abstimmungsverfahren statthaft bzw. zulässig ist, sollte der Verwalter bei der Formulierung von Beschlussanträgen keine Experimente machen. Rechtssichere Auslegungsergebnisse werden sich meines Erachtens erzielen lassen, wenn diesbezüglich keine besonderen Formulierungen oder Abstimmungszwischenschritte in den Beschlussantrag aufgenommen werden.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Eine in der GO vereinbarte weitgehende Verselbständigung von Untergemeinschaften hat ihre sachliche Berechtigung auf anderen Gebieten als dem Finanz- und Rechnungswesen. Daraus folgt, dass zwar etwa bei Instandsetzungsmaßnahmen das Selbstorganisationsrecht der jeweiligen Untergemeinschaft durch eigene Zuständigkeit, Kostentragungspflicht, Finanzierungsweise und Stimmberechtigung praktiziert werden kann. Bei der Genehmigung der Abrechnung dagegen verhält es sich anders. Aus der vom BGH betonten Einheitlichkeit der Abrechnung zwecks Erzielung einheitlicher Abrechnungsspitzen (Nachzahlungen oder Guthaben) folgt, dass im Zweifel die Gesamtgemeinschaft die Beschlusskompetenz besitzt und stimmberechtigt ist, das Rechenwerk zu legitimieren. Dies wird auch für die Angabe der Anfangs- und Endbestände der gemeinschaftlichen Bankkonten zu gelten haben, wenn man diese weiterhin als notwendigen Bestandteil der Jahresabrechnung ansieht und nicht in den Vermögensbericht (§ 28 Abs. 4 WEG nF) verschiebt.
Bei der Belegprüfung haben Mitglieder des Verwaltungsbeirats stichprobenartig darauf zu achten, dass die in der Gesamtabrechnung dargestellten Geldflüsse (Zu- und Abflüsse aus dem Gemeinschaftsvermögen) bei der Zuordnung zu Untergemeinschaften und der endgültigen Verteilung auf die einzelnen Sondereigentumseinheiten in den Einzeljahresabrechnungen vollständig berücksichtigt sind. Hierbei sollte auch darauf geachtet werden, ob und inwieweit einzelne Untergemeinschaften beispielsweise für bestimmte einzelne Kostenarten abweichende Kostenverteilungsschlüssel beschlossen haben. Dies ist denkbar und zulässig.
Fazit für die Gemeinschaft
Nur die Wohnungseigentümergemeinschaft ist rechtsfähig. Einzelne Untergemeinschaften sind es nicht. Soweit eine GO Vereinbarungen zur Bildung von Untergemeinschaften mit Selbstorganisationsbefugnissen enthält, handelt es sich um Innenrecht. Im Rechtsverkehr nach außen kann eine Untergemeinschaft nicht als Rechtsperson auftreten. Dementsprechend können auch Giroverträge über die Eröffnung von Bankkonten nur von der Wohnungseigentümergemeinschaft abgeschlossen werden. Wenn für Untergemeinschaften separate Konten geführt werden, ist Kontoinhaberin stets die Wohnungseigentümergemeinschaft. Für Untergemeinschaften können allenfalls Buchhaltungskonten eingerichtet werden. Dies gilt auch für Rücklagenkonten der Untergemeinschaften.
Im Rechtsverkehr führt eine Wohnungseigentümergemeinschaft die Bezeichnung „Gemeinschaft der Wohnungseigentümer“ oder „Wohnungseigentümergemeinschaft“, gefolgt von der bestimmten Angabe des gemeinschaftlichen Grundstücks (§ 9a Abs. 1 S. 3 WEG nF bzw. bis zum 30.11.2020 § 10 Abs. 6 S. 4 WEG aF). Den Begriff „Gesamtgemeinschaft“ kennt das Gesetz nicht. Spricht – wie hier im Fall des BGH – die GO von Untergemeinschaften und einer Gesamtgemeinschaft, muss man sich den oben erklärten Unterschied klarmachen. Es handelt sich um Regelungen des Innenrechts. Allenfalls die Gesamtgemeinschaft ist im Sinne der rechtsfähigen Wohnungseigentümergemeinschaft auszulegen.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Der hier besprochene Fall war nach alten Recht zu beurteilen, da die Eigentümerversammlung vor dem 1.12.2020 stattfand. Interessant ist, dass der BGH in Rn. 9 seiner Urteilsbegründung anzudeuten scheint, dass es sich nach der neuen Gesetzeslage nunmehr gemäß § 28 Abs. 2 S. 1 WEG (in der Fassung vom 1.12.2020) anders verhalten könnte. Gemeint sein dürfte allerdings nicht die Abrechnungsweise in Untergemeinschaften, sondern der Umstand, dass die Darstellung der Entwicklung der Instandhaltungsrücklage möglicherweise nicht mehr Bestandteil der Jahresabrechnung sein könnte. Zu § 28 WEG nF wird nämlich vertreten, dass Gegenstand der Beschlussfassung über die Genehmigung des Jahresabrechnung nur noch die Einforderung von Nachschüssen oder die Anpassung der mit dem Wirtschaftsplan beschlossenen Vorschüsse sei und die Darstellung der Instandhaltungsrücklage nicht mehr an der Beschlussfassung teilnehme, sondern in den vom Gesetzgeber neu vorgesehenen Vermögensbericht (§ 28 Abs. 4 WEG nF) gehöre. Vorerst bleibt abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung, insbesondere und letztlich die des BGH, zu diesem gesetzgeberischen Novum positionieren wird.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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