WEG-Recht

BGH klärt Praxisstreit: Auch wenn die Jahresabrechnung vor Gericht „fliegt“, kriegt keiner Geld zurück!

Wird der Beschluss über die Genehmigung einer Jahresabrechnung ganz oder teilweise erfolgreich gerichtlich angefochten, stellt sich die Frage, ob der siegreiche Eigentümer oder gar alle Eigentümer und/oder auch die Gemeinschaft – falls Guthaben (positive Abrechnungsspitze) bereits an Eigentümer ausgezahlt wurden – geleistete Zahlungen zurückfordern können. Manche Gerichte und namhafte Stimmen im Schrifttum bejahten dies. Der Bundesgerichtshof (BGH) schließt sich der Gegenauffassung an und lehnt einen solchen Bereicherungsausgleich ab. Stattdessen postuliert er den „Vorrang des Innenausgleichs“ durch Erstellung neuer, korrigierter Jahresabrechnungen.

Mit Urteil vom 10. Juli 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 178/19 hat der BGH geklärt, dass die erfolgreiche Anfechtung einer Jahresabrechnung nicht zu Rückerstattungen bereits geleisteter Nachzahlungen oder Guthaben führt. Stattdessen ergibt sich sowohl für den erfolgreichen Anfechtungskläger als auch für jeden anderen Eigentümer ein Anspruch gegen den Verwalter auf Erstellung einer korrekten Jahresabrechnung, außerdem ein Anspruch gegen alle Miteigentümer auf Genehmigung des korrigierten Abrechnungswerks. Dies gilt laut BGH unabhängig davon, ob Jahresabrechnungen insgesamt oder nur in einzelnen Positionen für ungültig erklärt werden. Keine Rolle spielt ferner, ob es Eigentümerwechsel gab. Zudem klärt der BGH, dass trotz rückwirkenden Wegfalls des Zahlungsgrundes Verzugsfolgen (Anwaltskosten, Zinsen, Vollstreckungskosten) nicht entfallen. Hausgeldschuldner bleiben also insoweit zu Recht auf den Kosten hängen.

Der Fall

Ein Wohnungseigentümer erhob nacheinander zwei Klagen. Mit der ersten Klage – eine Anfechtungsklage gegen die übrigen Miteigentümer – wehrte er sich erfolgreich gegen den Kostenverteilungsschlüssel einer Dachsanierung in seiner Einzeljahresabrechnung. Der Beschluss über die Jahresabrechnung wurde bezüglich dieser Einzelposition rechtskräftig für ungültig erklärt. Während des Anfechtungsverfahrens hatte er die Nachzahlung aus seiner Jahresabrechnung (1.434,86 EUR) nebst Anwaltskosten, Zinsen auf Abrechnungsspitze und Vollstreckungskosten an die Gemeinschaft gezahlt. Mit seiner zweiten Klage – der hier beim BGH gelandeten – verklagte er die Gemeinschaft auf Rückzahlung der Gesamtsumme von 1.684,77 EUR sowie Herausgabe der vollstreckbaren Ausfertigungen der Zahlungstitel gegen ihn. Das Amtsgericht wies die Klage ab. In der Berufungsinstanz gab das Landgericht München I der Klage vollumfänglich statt. Das Landgericht führte aus, dass infolge der rückwirkenden Ungültigkeitserklärung der Jahresabrechnung der Rechtsgrund für die Zahlung in die Gemeinschaftskasse entfallen sei. Daher könne der Kläger aus dem Verwaltungsvermögen die Rückzahlung beanspruchen. Auf einen „Vorrang der Jahresabrechnung“ müsse sich der Kläger nicht verweisen lassen. Wegen der umstrittenen Rechtslage ließ das Landgericht die Revision zum BGH zu. Dieser beurteilt den Fall anders.

Die Entscheidung

Die Zahlungsklage sei unbegründet, weil die kollektive Finanzausstattungspflicht der Wohnungseigentümer im Verhältnis zur WEG („Gemeinschaftskasse“ bzw. Verwaltungsvermögen) Vorrang haben müsse vor individuellen Bereicherungsansprüchen. Handlungsfähigkeit und Liquidität einer Wohnungseigentümergemeinschaft gerieten ins Wanken, wenn erfolgreiche Anfechtungsklagen dazu führen könnten, geleistete Zahlungen zurückverlangen zu dürfen. Der BGH betont, dass die Positionen einer Jahresabrechnung lediglich unselbständige Rechnungsposten darstellten. Hausgeldzahlungen erfolgten nicht etwa auf diese, sondern stets auf die jeweilige negative oder positive Abrechnungsspitze als solche als Schlussstrich unter die über den Wirtschaftsplan kalkulierten Vorauszahlungen. Werde – wie im vorliegenden Fall – eine Einzelausgabe (Dachsanierung) über einen falschen Kostenverteilungsschlüssel zwischen den Eigentümern verteilt, sei eine Korrektur nur durch eine neue, den korrekten Verteilerschlüssel anwendende Jahresabrechnung möglich. Allein hierauf bestehe ein Rechtsanspruch, und zwar einerseits gegen den Verwalter, die korrigierte Jahresabrechnung zu erstellen und zur Beschlussfassung vorzulegen, dann aber auch gegen die Miteigentümer auf Zustimmung zur genehmigungsfähigen (also korrekten) neuen Jahresabrechnung.

Erstelle der Verwalter die neue Jahresabrechnung, habe er die gerichtlich für ungültig erklärte Position nach dem korrekten Schlüssel richtig zu verteilen; die übrigen, im Anfechtungsprozess nicht streitgegenständlichen Einnahmen, Ausgaben und Verteilungsschlüssel habe der Verwalter hingegen beizubehalten, da die Jahresabrechnung insoweit (also teilweise) bestandskräftig geworden sei.

Verweigere der Verwalter die Erstellung der neuen Jahresabrechnung, stünde jedem Eigentümer ein individueller Anspruch gemäß § 28 Abs. 3 WEG zu, den er ohne Ermächtigung der Versammlung persönlich durchsetzen dürfe. Verweigere die Versammlung die Genehmigung der vorgelegten Jahresabrechnung, könne der berechtigte Anspruch mit der Beschlussersetzungsklage gemäß § 21 Abs. 8 WEG durchgesetzt werden.

Fazit für den Verwalter

„Fliegen“ Abrechnungsbeschlüsse vor Gericht, kriegen weder Wohnungseigentümer bereits geleistete Nachzahlungen (negative Abrechnungsspitzen) noch die Gemeinschaft ausgekehrte Guthaben (positive Abrechnungsspitzen) zurück. Vielmehr ist der Fehler bei der Verteilung über eine korrigierte Jahresabrechnung und deren Genehmigung durch einen weiteren Beschluss „glattzuziehen“.

Für Hausgeldschuldner wirkt sich die Entscheidung nicht positiv aus. Sie bleiben trotz der an sich rückwirkenden Ungültigerklärung des Genehmigungsbeschlusses in Verzug, schulden also Anwaltskosten und Zinsen. Eine Anfechtungsklage hat keinen Suspensiveffekt. Nachzahlungsansprüche der Gemeinschaft bleiben also fällig und durchsetzbar. Die Eigentümer müssen zahlen. Ihnen steht weder ein Aufrechnungsrecht noch ein Zurückbehaltungsrecht zur Seite.

Laut BGH spielt es keine Rolle, ob die Jahresabrechnung ganz oder teilweise für ungültig erklärt wird. Den Urteilsgründen nach (Rn 33 und 34) soll dies auch gelten, wenn ein Wirtschaftsplan gerichtlich kassiert wird. Wendet man die vom BGH aufgestellten Grundsätze an, müsste der Wirtschaftsplan ebenfalls neu beschlossen werden. Dies ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig, selbst wenn das betreffende Wirtschaftsjahr schon verstrichen ist und Abrechnungsreife besteht.

Wehrt sich en Anfechtungskläger nur gegen eine falsch verteilte Einzelposition, sind sämtliche Einzeljahresabrechnungen Streitgegenstand der Klage, selbst wenn dies im Klageantrag nicht deutlich zum Ausdruck gebracht wird, weil der Kläger nur „seine“ Einzelabrechnung an dieser Stelle anficht. Die Gesamtjahresabrechnung indessen darf der Kläger nicht anfechten, weil bei einem Verteilungsfehler die Höhe der fraglichen Gesamtausgabe korrekt ist und unangefochten bleiben muss. An dieser Stelle würde ein Gericht einem schlecht formulierten Klageantrag vermutlich „nicht auf die Sprünge helfen“. Die Klage wäre zumindest insoweit also abzuweisen.

Durch die Hintertür geht der BGH davon aus, dass der Verwalter sich trotz erheblichen Zeitablaufs nicht erfolgreich auf die Verjährung berufen kann. Im vorliegenden Fall ging es um die Jahresabrechnung 2011, die 2012 beschlossen und 2014 durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt wurde. Erst jetzt – im Juli 2020 – steht fest, dass der Kläger den Weg des Innenausgleichs („Vorrang der Jahresabrechnung“) gehen und beim Verwalter – ggf. dem inzwischen ehemaligen Verwalter – eine neue Jahresabrechnung 2011 verlangen muss. Dieser wird sich nicht erfolgreich auf Verjährung berufen können. Im Anfechtungsprozess war er beigeladen, so dass nicht nur das Urteil ihn in seine Rechtskraft einbindet, sondern auch die Rechtshängigkeit der Klage die Verjährungsfrist gestoppt haben dürfte. Solange der Anfechtungsprozess rechtshängig war, dürfte die mehrheitlich genehmigte Jahresabrechnung gültig gewesen sein (vgl. § 23 Abs. 4 WEG) und der Verwalter seine Abrechnungspflicht erfüllt haben. Darüber hinaus dürfte die Abrechnungspflicht des Verwalters als eine Art Vorstufe oder Nebenanspruch zum Hauptanspruch der Wohnungseigentümer auf ordnungsmäßige Verwaltung zu qualifizieren sein. Da in einer bestehenden Gemeinschaft dieser Anspruch zwischen den Wohnungseigentümern nicht verjährt, kann auch der vorbereitende Nebenanspruch – jedenfalls meiner Meinung nach – nicht verjähren.
 

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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