WEG-Recht

BGH weitet die Rechtsfigur des „werdenden Wohnungseigentümers“ auf Teilungsverträge aus!

Der „werdende Wohnungseigentümer“ ist langjährig anerkannt und seit dem 01.12.2020 sogar gesetzlich geregelt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Rechtsfigur in seiner Rechtsprechung über Jahrzehnte hinweg entwickelt, verfeinert und gefestigt. Immer ging es um Fälle der Begründung von Wohnungseigentum durch Teilungserklärung (§ 8 WEG). Umstritten war, ob auch ein Erwerber, an den eine Einheit im Anschluss an eine Aufteilung durch Teilungsvertrag (§ 3 WEG) veräußert wurde, unter bestimmten Voraussetzungen als werdender Wohnungseigentümer behandelt werden muss. Der BGH bejaht das.

Mit Urteil vom 26. Februar 2021 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 33/20 weitet der BGH seine Rechtsprechung zum werdenden Wohnungseigentümer auf Sonderfälle der vertraglichen Begründung von Wohnungseigentum durch Teilungsvertrag (§ 3 WEG) aus, wenn eine strukturelle Vergleichbarkeit mit einer einseitigen Aufteilung gemäß § 8 WEG durch einen Bauträger gegeben ist, weil das Gebäude seitens der vertraglich teilenden Eigentümer neu errichtet oder grundlegend saniert („kernsanierter“ Alt- oder Bestandsbau) wurde und Einheiten im Zuge der Aufteilung veräußert werden sollen.

Der Fall

Die Klägerin – eine GmbH – und eine Schwestergesellschaft erwarben im Jahr 2013 gemeinschaftlich (nach Bruchteilen) ein Grundstück zum Zwecke der Bildung von Wohnungseigentum. Die Klägerin sollte dort insgesamt 43 Wohneinheiten, 52 Tiefgaragenstellplätze, zwei Kellerräume sowie eine Gewerbeeinheit neu errichten. Mit notariellem Teilungsvertrag vom 20.11.2015 wurde das Grundstück gemäß § 3 WEG in der bis zum 30.11.2020 geltenden alten Fassung (im Folgenden: WEG aF) aufgeteilt, wobei die Schwestergesellschaft die Gewerbeeinheit (Teileigentum) und die Klägerin die übrigen 97 Wohnungs- und Teileigentumseinheiten erhielt. Nach Vollzug der Aufteilung im Grundbuch (Anlegung der Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuchblätter) errichtete die Klägerin das Gebäude, veräußerte sämtliche ihr gehörenden Einheiten und übergab für alle den Besitz an die Erwerber, während die Schwestergesellschaft Eigentümerin der Gewerbeeinheit blieb. Die Klägerin blieb für eine Vielzahl der veräußerten Einheiten als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.

Am 11.12.2018 fand eine Eigentümerversammlung statt. Zu diesem Zeitpunkt waren einzelne Erwerber bereits als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen, die Übereignungsansprüche der übrigen Erwerber waren durch Auflassungsvormerkungen gesichert. Zu der Versammlung eingeladen waren sowohl die Erwerber als auch die Klägerin und die Schwestergesellschaft.

Die Klägerin erhob Anfechtungsklage und ist der Ansicht, dass den noch nicht als Eigentümer eingetragenen Erwerbern kein Stimmrecht zugestanden habe und die zu TOP 1 bis 7 gefassten Beschlüsse daher nichtig, jedenfalls aber anfechtbar seien. Das Amtsgericht Ludwigsburg hat die Anfechtungsklage als unbegründet abgewiesen. Das Landgericht Stuttgart hat die Berufung zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass die Anfechtungsklage sogar unzulässig sei, da der Klägerin trotz ihrer Grundbucheintragung keine Anfechtungsbefugnis mehr zustehe.

Die Entscheidung

Der BGH bestätigt die Sichtweise des Berufungsgerichts. Obwohl der BGH den Fall nach dem 01.12.2020 verhandelte und sein Urteil fällte, blieb mangels abweichender Übergangsvorschriften im WEMoG das WEG aF anwendbar, weil es für die Beurteilung der Rechtslage auf die zur Zeit der Beschlussfassungen (11.12.2018) geltende Rechtslage ankam (Rn. 5 und 6 der Urteilsgründe).

Im Mittelpunkt stehe die Frage, ob ein Erwerber, an den eine im Grundbuch vollzogene Aufteilung gemäß § 3 WEG aF veräußert wurde, nach Eintragung einer Vormerkung und Besitzübergabe ebenfalls als werdender Wohnungseigentümer behandelt werden müsse. Dies sei umstritten, jedenfalls für die vorliegende Sachverhaltskonstellation aber zu bejahen. Die Rechtsfigur des werdenden Wohnungseigentümers, die im Demokratisierungsinteresse der Erwerber im Verhältnis zum „übermächtigen“ Aufteilenden zu einer vorverlagerten Zuweisung der mitgliedschaftlichen Reche an die Erwerber führe, sei nicht auf die einseitige Aufteilung durch Teilungserklärung gemäß § 8 WEG aF beschränkt. Sei ein Verkaufsmodell – wie hier – mit dem Bauträgerverkauf strukturell vergleichbar, seien die Erwerber gleichermaßen schutzwürdig.

Entgegen einer im Schrifttum vertretenen Gegenansicht sei der Erwerberschutz nicht über bilaterale schuldrechtliche Vereinbarungen in den Erwerbsverträgen gesichert. So unterläge der Erwerber bei der praktisch wichtigen Verfolgung von Mängelrechten einem Stimmverbot, wenn der bzw. die aufteilenden Veräußerer Wohnungseigentümer blieben und der Erwerber das Stimmrecht nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung ausüben könne (Hinweis auf § 25 Abs. 5 Alt. 2 WEG aF), denn der vom Stimmverbot betroffene Wohnungseigentümer (Veräußerer) könne nicht mehr Rechtsmacht (Stimmrecht) übertragen, als ihm selbst zustehe. Zudem bestünde die Gefahr eines Widerrufs der Stimmrechtsermächtigung im Vorfeld der Eigentümerversammlung.

Im vorliegenden Fall war aus der maßgeblichen objektivierten Erwerbersicht eine strukturelle Vergleichbarkeit mit einer klassischen einseitigen Aufteilung gemäß § 8 WEG aF durch einen Bauträger gegeben. Hier wie dort wäre der Gebäudekomplex neu errichtet und der Großteil der Sondereigentumseinheiten zeitnah und fast restlos veräußert worden, so dass nach den Gesamtumständen aus Erwerbersicht ein Unterschied zu einer Teilung nach § 8 WEG aF nicht erkennbar gewesen sei. Ob zwischen den teilenden Eigentümern – hier die Klägerin und ihre Schwestergesellschaft – ein besonderes Näheverhältnis bestand, sei aus juristischer Sicht nicht entscheidend (Rn. 20)

Fazit für den Verwalter

Angesichts der Sach- und Rechtslage hätte der Verwalter die Klägerin schon gar nicht zur Eigentümerversammlung einladen dürfen. Zwar war sie noch für eine Vielzahl von Einheiten als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Ihre mitgliedschaftlichen Rechte, insbesondere das Teilnahme- und Stimmrecht, in der Versammlung hatte sie aber bereits an die Erwerber eingebüßt. Denn diese hatten Erwerbsverträge, Auflassungsvormerkungen und Besitz, mithin eine gesicherte Erwerbsposition, die ihnen diese mitgliedschaftlichen Rechte originär zuwies. Verwalter müssen ab sofort beachten, dass in Sonderfällen der vorliegenden Art auch bei Teilungsverträgen nach § 3 WEG die Grundsätze des werdenden Wohnungseigentümers maßgeblich sein können. Dies gilt nach alter wie nach neuer Rechtslage.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Praktisch unwahrscheinlich, theoretisch aber denkbar und rechtlich zulässig ist es, wenn werdende Wohnungseigentümer (Erwerber) im Anschluss an eine vertragliche Teilung nach § 3 WEG (aF) den noch im Grundbuch eingetragenen Veräußerer zur Stimmrechtsausübung in der Versammlung bevollmächtigen. Dies wäre jedenfalls dann zulässig, wenn in der Gemeinschaftsordnung keine Stimmrechtsbeschränkung vereinbart ist. Selbst wenn – wie so oft – eine Vertretung nur durch andere Wohnungseigentümer, Ehegatten oder den Verwalter zulässig sein sollte, wird man als Wohnungseigentümer in diesem Sinne sowohl den Erwerber (werdenden Wohnungseigentümer) als auch den eingetragenen Wohnungseigentümer ansehen können. Der Aufteilende als Stimmrechtsbevollmächtigter machte dann freilich keine eigenen (originären) Mitgliedschaftsrechte geltend, sondern leitete diese vom Erwerber ab.

 

Fazit für die Gemeinschaft

In der Praxis kommt der vorliegende, vom BGH als Sonderfall bezeichnete Sachverhalt gar nicht so selten vor. So wird die Teilung nach § 3 statt nach § 8 WEG aus grunderwerbssteuerlichen Gründen gewählt oder es kommt zu einem „Tausch mit dem Bauträger“, bei dem der Alleineigentümer sein Grundstück zwecks Bebauung einem Bauträger überlässt und im Gegenzug eine Wohnung in dem zu errichtenden Gebäude bekommt (sog. Anteilsmodell).

Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?

Der Gesetzgeber hat zum 01.12.2020 die werdende Wohnungseigentümergemeinschaft als Rechtsfigur abgeschafft. Dies folgt daraus, dass die Gemeinschaft gemäß § 9a Abs. 1 S. 1 WEG neue Fassung (nF) nunmehr bereits mit Anlegung der Wohnungsgrundbücher entsteht. Dies gilt sowohl im Fall der Begründung von Wohnungseigentum durch Teilungsvertrag (§ 3 WEG) als auch im Falle der einseitigen Teilungserklärung durch einen Alleineigentümer (§ 8 WEG).

Den werdenden Wohnungseigentümer hingegen gibt es weiterhin, und zwar nicht nur kraft höchstrichterlicher Anerkennung, sondern aufgrund ausdrücklicher Kodifizierung im Gesetz (§ 8 Abs. 3 WEG). Ob der werdende Wohnungseigentümer auch bei vertraglicher Teilung nach § 3 WEG nF künftig anzuerkennen sein wird oder obsolet ist, hat der BGH im vorliegenden Fall offengelassen (Rn. 9 am Ende).

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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