BGH zu § 27 Abs. 2 WEG: Delegation von Entscheidungskompetenzen auf den Verwalter ist nicht nur in engen Grenzen zulässig!

Dieses Urteil ist für die Verwalterpraxis eine der wichtigsten Entscheidungen des Jahres. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich erstmals mit dem Verhältnis von Vertretungsmacht des Verwalters im Außenverhältnis (§ 9b WEG) und seinen Entscheidungsbefugnissen im Innenverhältnis (§ 27 WEG) befasst. Das Urteil war mit Spannung erwartet worden und betrifft die Delegation einer mehrjährigen Erhaltungsmaßnahme an Fenstern und Balkontüren einer Wohnanlage im Amtsgerichtsbezirk Wuppertal. Der BGH bejaht die Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer, Entscheidungen über die Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums auf den Verwalter zu delegieren. Er verlangt nicht, dass der Beschluss über die Kompetenzverlagerung auf den Verwalter zugleich ausdrücklich einen für den Verwalter verbindlichen Entscheidungsmaßstab – etwa im Wege so genannter Eckpunkte oder Leitplanken – vorgibt.

Mit Urteil vom 05.07.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 241/23 hält der BGH die Delegation von Entscheidungskompetenzen auf den Verwalter in weitaus größerem Umfang für zulässig, als viele Instanzgerichte dies taten. Bereits einmal hatte der BGH nach dem 01.12.2020, aber noch zum alten Recht, also der bis zum 30.11.2020 geltenden Gesetzeslage, einige grundsätzliche Ausführungen zum Thema gemacht. Nunmehr sieht er aber eine klare und eindeutige Haltung des Gesetzgebers, die im neuen § 27 Abs. 2 WEG kodifiziert wurde.

Der Fall

Die Kläger sind Mitglieder der beklagten GdWE. Im Jahr 2019 beschlossen die Wohnungseigentümer im Zuge einer geplanten Erneuerung der Außenfenster, einen Sachverständigen mit der Begutachtung der Fenster und der Erstellung eines Prioritätenplans nach Dringlichkeit zu beauftragen. Nachdem der Sachverständige die Bestandsaufnahme durchgeführt hatte, beschlossen die Wohnungseigentümer im November 201, den Sachverständigen auch mit der Sanierungsplanung (Erstellung der Ausschreibungsunterlagen, Einholung von Angeboten und Fertigung eines Preisspiegels) zu beauftragen. Dies geschah in der Folge. Der Verwalter als Versammlungsleiter schlug vor, auf Grundlage des Sanierungsplans und nach aktueller Dringlichkeit entsprechende Einzelaufträge zu vergeben. Er wies darauf hin, dass ein Rabatt auf größere Aufträge aktuell von den Firmen nicht gewährt werde. In der Eigentümerversammlung vom 09.06.2022 informierte der Verwalter darüber, dass mehrere Anbieter in der Zwischenzeit Angebote zurückgezogen hätten und die einzige verbliebene Anbieterin, die den Fensteraustausch zunächst für einen Preis zwischen 4.500 EUR und 5.000 EUR pro Wohnung angeboten hatte, mitgeteilt habe, dass sie im Jahr 2022 weder einen Austausch vornehmen noch eine Bestellung entgegennehmen könne, sodass die Preise für den Austausch nicht kalkulierbar seien. Am Ende der Diskussion fasste die Versammlung folgenden Beschluss:

Beschlussantrag: Die Verwaltung wird ermächtigt, die Erneuerung der Fensteranlagen nach den folgenden Maßgaben zu beauftragen:

Es soll ein Austausch nach Dringlichkeit erfolgen. Vorab sollen nochmal drei Angebote eingeholt werden. Der Umfang des jährlichen Budgets für 2022 soll bei 35.000,00 EUR brutto liegen. Die Fenster sollen der Optik der bisherigen Fensteranlagen entsprechen. Ein Lüftungskonzept soll nicht in Auftrag gegeben werden. Ebenfalls sollen mögliche Fördermittel für das Vorhaben geprüft und beantragt werden. Die Kosten dieser Maßnahme sollen aus der Erhaltungsrücklage finanziert werden.

Die Verwaltung soll die Maßnahme unabhängig von einem möglichen Anfechtungsverfahren in Auftrag geben und wird von einer Haftung freigesprochen. Die Verwaltung erhält eine Sondervergütung gem. Verwaltervertrag.

Die Mehrheit stimmte für den Beschlussantrag und der Verwalter verkündete dessen Annahme. Die Kläger erhoben eine Beschlussanfechtungsklage.

Die Entscheidung

Das Amtsgericht Wuppertal wies die Klage ab. Es bejahte sowohl die gesetzliche Beschlusskompetenz aus § 27 Abs. 2 WEG als auch die Ordnungsmäßigkeit des Beschlusses und verwies auf den grundsätzlich weiten Ermessensspielraum der Wohnungseigentümer bei der Übertragung von Entscheidungskompetenzen. Das Landgericht Düsseldorf hob das amtsgerichtliche Urteil auf und erklärte den Beschluss für ungültig. Die Revision nach Karlsruhe ließ es zu. Das Landgericht bejahte im Ausgangspunkt zwar ebenfalls Beschlusskompetenz und die Delegationsbefugnis. Als rechtswidrig erachtete es allerdings, dass im Beschluss keinerlei Bezugsgröße bzw. Kostengröße, beispielsweise durch Bezugnahme auf einen Leistungskatalog oder ein Angebot oder einen Kostenvoranschlag für das einzelne zu tauschende Fenster festgelegt wurde, und damit auch hinsichtlich der genauen Ausgestaltung der Fenster keine Vorgaben jenseits der Optik gemacht wurden; so sei der Verwalter vollkommen frei in seiner Entscheidung darüber gewesen, aus welchem Material die zu ersetzenden Fenster sein müssten und welche Kosten der Verwalter für das einzelne Fenster ansetzen dürfe. Im Ergebnis habe der Beschluss daher mangels hinreichender Bestimmtheit nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entsprochen.

Der BGH beurteilt dies anders. Im Hinblick auf den weiten Ermessensspielraum der Mehrheit im Hinblick auf Erhaltungsmaßnahmen entspreche eine Delegation regelmäßig jedenfalls dann ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die Wohnungseigentümer selbst die grundlegende Entscheidung über deren Vornahme getroffen haben und der Verwalter nur über die Ausführung im Einzelnen entscheiden solle. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei es nicht erforderlich, dass der Beschluss einen konkreten Entscheidungsmaßstab definieren müsse. Dass der Verwalter im Rahmen der Ausübung seines pflichtgemäßen Entscheidungsermessens das Gebot der Wirtschaftlichkeit zu beachten habe, sei eine Selbstverständlichkeit und müsse nicht durch ausdrückliche konkrete Vorgaben im Beschluss (deklaratorisch) wiederholt werden. Hierfür sprächen letztlich auch praktische Bedürfnisse, weil der Aufwand für die Durchführung einer oder weiterer Eigentümerversammlungen zum Thema vermieten und eine effiziente Verwaltung ermöglicht werde.

Fazit für den Verwalter

Im Innenverhältnis einer GdWE eröffnet § 27 Abs. 2 WEG weitreichende Gestaltungsmöglichkeiten für eine Delegation. Werden dem Verwalter infolge einer beschlossenen Kompetenzverlagerung Entscheidungsbefugnisse eingeräumt, übt er bei der Umsetzung dieses Beschlusses Befugnisse auf, die ohne die Delegation der Eigentümerversammlung zugestanden hätten. Gleichwohl wird der Verwalter hierdurch nicht zum Willensbildungsorgan, sondern weiterhin das interne Organ für die Beschlussdurchführung. Unabhängig davon, ob und inwieweit der Beschlussinhalt Entscheidungsgrenzen und Eckdaten definiert, muss der Verwalter als Organ der GdWE die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung beachten und sein Handeln daran ausrichten. Diese Pflicht trifft ihn „von Amts wegen“ kraft seiner Bestellung in das Verwalteramt.

Zwar ist der Verwalter nicht notwendig verpflichtet, das billigste oder das technisch hochwertigste Angebot anzunehmen; er muss aber – so der BGH in Randnummer 16 – unter mehreren sich bietenden Optionen unter Beachtung des Gebots der Wirtschaftlichkeit nach pflichtgemäßem Ermessen diejenige wählen, die dem Interesse der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen gerecht wird (§ 18 Abs. 2 WEG).

Hält der Verwalter eine Delegation von Entscheidungsbefugnissen auf ihn in bestimmten Bereichen für sinnvoll, darf er einen Beschlussgegenstand (TOP) von Amtswegen auf die Tagesordnung setzen und die GdWE mit der Thematik befassen. Der in Fall benutzte Beschlussantrag enthält mehrere Anhaltspunkte, wie eine rechtssichere Formulierung vorgenommen werden kann. Die Kläger hatten ausdrücklich die Unbestimmtheit und Intransparenz des Beschlusses gerügt. Der BGH folgt diesem Ansatz nicht. Bezüglich der am Ende des Beschlusses gewährten Haftungsfreistellung hatte die Gemeinschaft offenbar Glück, dass die Kläger diesen Umstand nicht gerügt hatten. Wäre sie fristgerecht (Klagebegründungsfrist) gerügt worden, hätte es sein können, dass der Beschluss insoweit für ungültig zu erklären gewesen wäre. Bezüglich Durchführung trotz Anfechtung und Sondervergütung gemäß Verwaltervertrag war der Beschlussantrag wohl unverfänglich, da er rein deklaratorischen Charakter besaß.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Die Erhaltungsmaßnahme folgte in üblichen Schritten. Aufgrund der tatsächlichen Anhaltspunkte an den Fenstern und Balkontüren (Fenstertüren) wurde zunächst eine Bestandsaufnahme nebst Prioritätenliste bei einem geeigneten Fachmann in Auftrag gegeben. Auf Basis der gutachterlichen Feststellungen wurde eine Sanierungsplanung samt Ausschreibung und Vergabeempfehlung in Auftrag gegeben. Im Jahr 2020 fand – vermutlich infolge von Corona – keine Eigentümerversammlung statt, sodass es wenig verwunderlich war, dass Anbieter ihre Angebote zurückzogen. Im nächsten Schritt wurde die Vergabe der Maßnahme beschlossen, vorliegend allerdings nicht mit einer Direktbeauftragung des Anbieters, sondern mittels einer Delegation auf den Verwalter.

In der Regel müssen vor größeren (teuren) Erhaltungsmaßnahmen Vergleichsangebote eingeholt werden, nach h.M. in der Regel drei. Gelingt es dem Verwalter für die GdWE nachweislich nicht, ausreichend Anbieter zu finden, kann es ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, auf Basis eines einzigen Angebots oder auf der Grundlage von nur zwei Angeboten die Auftragsvergabe zu beschließen. Eine mangelhafte Tatsachengrundlage (Entscheidungsgrundlage) ist in solchen Fällen zu verneinen. Freilich muss der Verwalter im Streitfall darlegen und beweisen können, inwieweit er ernsthafte Bemühungen angestellt hat. Diese Grundsätze müssen entsprechend gelten, wenn – wie hier – nicht die Versammlung den konkreten Anbieter festlegt, sondern diese Entscheidung dem Verwalter überträgt. Vor der Auftragsvergabe muss sich der Verwalter von Amts wegen eine hinreichende Entscheidungsgrundlage beschaffen. Tut er dies, handelt er pflichtgemäß.

 

Fazit für die Gemeinschaft

Um die Handlungsfähigkeit der GdWE zu stärken, hat der Gesetzgeber die Kompetenz der Wohnungseigentümer, eigene Entscheidungskompetenzen durch Beschluss auf den Verwalter zu übertragen, durch das WEMoG erheblich erweitert. Die Gesetzesänderung gilt seit dem 01.12.2020. Nach § 27 Abs. 2 WEG können die Wohnungseigentümer die gesetzlichen Rechte und Pflichten des Verwalters bei derartigen Entscheidungen, wie sie sich aus § 27 Abs. 1 WEG ergeben, durch Beschluss einschränken oder erweitern. Hierfür genügt ein Beschluss mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Da § 27 Abs. 1 WEG zahlreihe unbestimmte Rechtsbegriffe enthält und eine exakte Abgrenzung der gesetzlichen Entscheidungsbefugnisse, wie sie sich unmittelbar aus der Bestellung in das Verwalteramt ergeben, mit Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten verbunden ist, muss es zugleich zulässig sein, wenn die Wohnungseigentümer diejenigen Maßnahmen, zu denen der Verwalter eigenständig entscheidungsbefugt sein soll, zu definieren, ohne rechtlich festlegen zu müssen, ob darin eine Einschränkung oder Erweiterung liegt. Auch deklaratorische Beschlüsse können ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, wenn bzw. weil sie zu Rechtsklarheit und Rechtssicherheit innerhalb des Kompetenzgefüges einer GdWE beitragen.

Die GdWE hat die grundlegende Entscheidung der Erhaltung selbst getroffen, indem sie beschlossen hatte, eine Erneuerung der Außenfester vorzunehmen. Darin liegt ein Grundlagenbeschluss, der durch die Beschlüsse aus späteren Jahren konkretisiert wurde. Die Erneuerung sämtlicher Fenster und Balkontüren ist in diesem Sinne ein Einzelfall, auch wenn sich die Maßnahme über mehrere Jahre hinweg erstreckt.

Das Urteil behandelt Erhaltungsmaßnahmen. Es ist anzunehmen, dass dieselben Grundsätze auch für andere Bereiche der Verwaltung und Benutzung des gemeinschaftlichen Eigentums gelten, etwa bei dem Abschluss von Verträgen, der Geltendmachung oder Abwehr bestimmter Ansprüche etc. Diskussionswürdig ist auch, ob der Bereich der Durchführung (§ 20 Abs. 2 Satz 2 WEG) von der Versammlung selbst grundlegend gestatteter baulicher Veränderungen dem Anwendungsbereich von § 27 Abs. 2 WEG unterfällt.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg

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