Mit Urteil vom 28.01.2022 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 86/21 entschied der BGH, dass der einzelne Wohnungseigentümer nach Inkrafttreten des WEMoG am 01.12.2020 von einem anderen Wohnungseigentümer oder dessen Mieter nicht mehr die Unterlassung einer zweckbestimmungswidrigen Nutzung dessen Sondereigentums verlangen könne. Er habe zwar einen eigenen Unterlassungsanspruch, könne und dürfe diesen aber nicht durchsetzen, sondern von der Gemeinschaft lediglich ein Einschreiten gegen die regelwidrige Nutzung beanspruchen. Erfolgreich könne eine individuelle Unterlassungsklage nur sein, wenn der Kläger Beeinträchtigungen durch Störungen tatsächlicher Art im räumlichen Bereich seines Sondereigentums beweisen könne, z.B. durch Lärm, Geruch, Verschattung, Blendung oder Blickversperrung.
Der Fall
Die Klägerin und die Beklagte sind Wohnungseigentümerinnen einer aus 5 Einheiten bestehenden Gemeinschaft im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main. Der Klägerin gehört die Wohnung im 2. OG, der Beklagten die Erdgeschosswohnung Nr. 1. Durch einen Nachtrag wurde die ursprüngliche Teilungserklärung hinsichtlich der Kellerräume verändert. Der Wohnung Nr. 1 wurden 4 Kellerräume zugewiesen. Nach § 3b der Nachtragsurkunde sind die Wohnungseigentümer berechtigt, die „(…) Kellerräume umzubauen und zu jeglichen Zwecken zu nutzen, ohne dass hierdurch eine über das übliche Maß hinausgehende Geräuschbelästigung erfolgen darf“. Die Beklagte plante, die ihrer Wohnung zugewiesenen Kellerräume zu einem Gästezimmer mit Zugang zu einer Terrasse umzubauen. Dies führte vor Jahren zu einem von der Bauaufsichtsbehörde verfügten Baustopp und einer von der Klägerin gegen die Beklagte vor dem Amtsgericht erwirkten einstweiligen Verfügung vom 18.11.2016, wonach der Beklagten die Deckendurchbruchmaßnahmen vom Keller in ihre Wohnung sowie Fundament- und Erdarbeiten im Keller verboten wurden. Hintergrund war die Absicht der Beklagten, den Kellerraum mit Ausgang zum Garten 25 cm tieferzulegen, um die für Wohnräume erforderliche Deckenhöhe herbeizuführen. Die Umbauarbeiten waren Thema mehrerer Eigentümerversammlungen, ohne dass eine Einigung erzielt wurde.
Da unklar ist, inwieweit die Beklagte Arbeiten im räumlichen Bereich ihrer Sondereigentumseinheit durchführte, erhob die Klägerin vor dem 1.12.2020 Klage auf 1. Auskunft über die im Kellergeschoss vorgenommenen baulichen Veränderungen, 2. Zutritt zu den Kellerräumen für sich und einen Sachverständigen zwecks Inaugenscheinnahme der baulichen Veränderungen, 3. Beseitigung des Deckendurchbruchs und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands des Fußbodenaufbaus in den Kellerräumen und 4. Unterlassung der zweckwidrigen Nutzung der Kellerräume zu Wohnzwecken. Das Amtsgericht Frankfurt/Main hatte der Klage mit Urteil vom 19.2.2020 ganz überwiegend stattgegeben. Das Landgericht Frankfurt/Main hat mit Urteil vom 4.5.2021 die Klage in der Berufungsinstanz insgesamt abgewiesen, da der Klägerin nach Inkrafttreten des WEMoG insgesamt die Prozessführungsbefugnis für die geltend gemachten Ansprüche fehle. Wegen der ungeklärten Rechtslage ließ das Berufungsgericht die Revision zu, die von der Klägerin am 11.5.2021 eingelegt wurde.
Mit Schreiben vom 13.8.2021 teilte der WEG-Verwalter dem Gericht mit, dass die Eigentümerversammlung vom 22.7.2021 beschlossen habe, es der Klägerin zu untersagen, die im Prozess verfolgten Ansprüche gegen die Beklagte geltend zu machen.
Die Entscheidung
Der BGH bestätigt die Klageabweisung zumindest im Ergebnis, auch wenn die vom Berufungsgericht gelieferte Urteilsbegründung vereinzelt zu korrigieren sei.
Der auf Beseitigung und Wiederherstellung gerichtete Klagantrag einschließlich der dazu gehörigen Nebenansprüche (Auskunft und Zutrittsgewährung) seien bereits unzulässig, da der Klägerin die Prozessführungsbefugnis fehle. Kellersohle und Geschossdecke sowie Erdreich seien zwingend gemeinschaftliches Eigentum, so dass die Prozessführungsbefugnis und auch die Aktivlegitimation (Anspruchsinhaberschaft) seit dem 1.12.2020 bei der Gemeinschaft lägen. Zwar komme der Klägerin übergangsrechtlich zugute, dass die Klage schon vor Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 erhoben worden sei. Allerdings seien die zunächst weiter fortbestehende Prozessführungsbefugnis der Klägerin ebenso wie ihre Aktivlegitimation durch das eindeutige Schreiben des Verwalters vom 13.8.2021 während des Verfahrens nachträglich entfallen. Die Verwaltererklärung sei zwar erst während des Revisionsverfahrens vor dem BGH eingegangen. Der darin in Bezug genommene Beschluss sei an diesem Tage auch noch nicht bestandskräftig, gleichwohl aber gültig und insbesondere nicht gemäß § 242 BGB wegen Verwirkung nichtig gewesen. Dass der Verwalter bzw. die Gemeinschaft am Ende des Verfahrens in den fremden Prozess der Klägerin „hineingrätschten“, sei rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hätte hierauf mit einer Hauptsacheerledigungserklärung reagieren sollen.
Die Klägerin sei auch nicht wegen einer etwaigen Beeinträchtigung ihres Sondereigentums prozessführungsbefugt. Denn das hierfür erforderliche Vorliegen einer tatsächlichen Beeinträchtigung innerhalb des räumlichen Bereichs ihrer Wohnung habe die Klägerin nicht behauptet. Stattdessen habe sie nur unsubstantiierte und vage Behauptungen in den Raum gestellt, wonach es nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass in den folgenden Jahren statische Auswirkungen auf das Gebäude sowie Senkungen oder Senkrisse eintreten könnten.
Aus demselben Grund scheide auch ein denkbarer Anspruch der Klägerin aus § 14 Abs. 2 Nr. 1 WEG aus. Für einen derartigen Abwehranspruch, der das Binnenrechtsverhältnis zwischen Sondereigentümerinnen betreffe, sei die Klägerin zwar prozessführungsbefugt. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei aber eine tatsächliche Beeinträchtigung innerhalb des räumlichen Bereichs der Wohnung der Klägerin nicht dargetan.
Schließlich sei der Beseitigungsanspruch auch vor dem Hintergrund des § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG zu verneinen. Für einen solchen Abwehranspruch, der aufgrund der möglichen Beschädigung des gemeinschaftlichen Eigentums an der Geschossdecke und des Kellerbodens in Betracht komme, sei die Klägerin nicht aktivlegitimiert. Anspruchsinhaber sei insoweit nämlich die Gemeinschaft, nicht der einzelne Sondereigentümer.
Keinen Erfolg haben könne darüber hinaus auch der Unterlassungsanspruch. Dieser sei nicht auf eine tatsächliche Beeinträchtigung gestützt, sondern die rechtswidrige, da nach den Vorgaben der Gemeinschaftsordnung zweckbestimmungswidrige Nutzung der Kellerräume zu Wohnzwecken. Durch die WEG-Reform habe sich an dieser Stelle die Rechtslage geändert. Der einzelne Wohnungseigentümer könne nach Inkrafttreten des WEMoG nicht mehr von einem anderen Wohnungseigentümer oder dessen Mieter die Unterlassung einer solchen zweckbestimmungswidrigen Nutzung von Sondereigentum verlangen. Eine dem früheren § 15 Abs. 3 WEG alte Fassung (aF) entsprechende Vorschrift gäbe es nach der neuen Gesetzeslage nicht mehr. Der Streit darüber, ob eine Nutzung von Sondereigentum den gemeinschaftlichen Spielregeln entspreche - der BGH spricht von dem in der Gemeinschaft geltenden Regelwerk -, sei nicht im Binnenrechtsverhältnis zwischen Sondereigentümern zu klären. Anspruchsinhaberin sei vielmehr gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG nunmehr ausschließlich die Gemeinschaft. Zwar gäbe es auch aus dem jeweiligen Sondereigentum heraus einen entsprechenden Unterlassungsanspruch auf zweckbestimmungswidrige Nutzung. Der einzelne Sondereigentümer sei jedoch nicht mehr befugt, derartige Ansprüche geltend zu machen. Die Prozessführungsbefugnis liege nach § 9a Abs. 2 WEG ausschließlich bei der Gemeinschaft. Individuelle Abwehransprüche könnten nur dann in Betracht kommen, wenn es losgelöst von Verletzungen des Regelwerks zu tatsächlichen Beeinträchtigungen durch Störungen im räumlichen Bereich des jeweiligen Sondereigentums komme.
Fazit für den Verwalter
In Übergangsfällen hängt es vor allem vom Verhalten des Verwalters ab, ob eine individuelle Störungsabwehrklage des einzelnen Sondereigentümers zu Ende geführt werden darf oder unzulässig wird. Der Verwalter agiert nicht im eigenen Namen, sondern als Organ der Gemeinschaft. Daher darf er nicht unbekümmert nach Lust und Laune oder Sympathien entscheiden, sondern nach pflichtgemäßem Ermessen. In aller Regel ist es empfehlenswert, dass der Verwalter diesbezüglich eine Beschlussfassung herbeiführt, wie es auch im vorliegenden Fall geschah. Grundsätzlich sind derartige Beschlüsse, mit denen die Gemeinschaft dem einzelnen Kläger dessen Prozess auf den letzten Metern „kaputtmacht“, mit einem Anfechtungsrisiko verbunden. Im vorliegenden Fall fällt auf, dass der Klägerin laut Beschluss lediglich (destruktiv) untersagt wurde, den Prozess zu Ende zu führen, ohne jedoch als Gemeinschaft den vergemeinschafteten Prozess aktiv fortzuführen. Allerdings war der Vergemeinschaftungsbeschluss der Eigentümerversammlung vom 22.7.2021 offenbar bestandskräftig geworden, weil keine Anfechtungsklage erhoben und auch kein einstweiliger Rechtsschutz in Anspruch genommen worden war. Nichtigkeitsgründe erkannte der BGH nicht.
Die Gemeinschaft war nicht Partei des Rechtsstreits. Der Verwalter dürfte den BGH entweder direkt angeschrieben oder sich an einen der für die Wohnungseigentümerinnen tätigen BGH-Rechtsanwälte gewendet haben, die sein Schreiben an den V. Zivilsenat weiterleiteten.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Ist ein Verwalter nicht bestellt, kann eine schriftliche Mitteilung an das Gericht von den nachrückenden vertretungsberechtigten Organen an das mit der Klage befasste Gericht übersandt werden, also nach dem Gesetz von allen Wohnungseigentümern gemeinschaftlich oder einem durch Beschluss dazu ermächtigten Wohnungseigentümern. Einberufungsbefugt für eine Versammlung, in der eine solche Willensbildung herbeigeführt werden soll, wäre der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats (§ 24 Abs. 3 WEG).
Eine Kernaussage des Urteils ist, dass der Sondereigentümer nicht mehr auf Unterlassung einer (vermeintlich) zweckbestimmungswidrigen Nutzung von Sondereigentum klagen darf. Er muss einen Umweg gehen und kann von der Gemeinschaft beanspruchen, wegen der zweckbestimmungswidrigen Nutzung einzuschreiten. Lehnt die Gemeinschaft eine solche Anspruchsverfolgung ab, muss er ggf. Beschlussersetzungsklage erheben und seine Gemeinschaft zur gemeinschaftlichen Prozessführung antreiben. Dieser Weg ist beschwerlich. Meines Erachtens entspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die Gemeinschaft den Sondereigentümer, der die zweckbestimmungswidrige Nutzung beanstandet, zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt. Es ist ökonomisch und spart die Einschaltung eines weiteren Rechtsanwalts, wenn der Eigentümer, der – oftmals – bereits mit anwaltlicher Hilfe auf die Gemeinschaft zukommt und Druck macht, die Rechtsverfolgung in seine Hände nimmt. Ist dieser Sondereigentümer bereit, seine Anwaltskosten selbst zu tragen, wird dies die Bereitschaft der Mehrheit zur Ermächtigung erhöhen. Ggf. kann der einzelne Sondereigentümer aber auch beanspruchen, dass die Gemeinschaft seinen Prozess finanziert.
Der BGH spricht von einer „zweckwidrigen“ Nutzung. Der Begriff ist neu und unscharf. Üblicherweise wird von zweckbestimmungswidriger Nutzung gesprochen. Hier stellt sich in der Rechtsanwendung zumeist die Frage stellt, ob es sich bei einer in der Gemeinschaftsordnung getroffenen Vereinbarung wirklich um eine Zweckbestimmung mit Vereinbarungscharakter handelt oder nur um einen unverbindlichen Nutzungsvorschlag.
Fazit für die Gemeinschaft
Für Abwehransprüche aus § 14 Abs. 1 Nr. 1 WEG ist die Gemeinschaft selbst Anspruchsinhaberin und dementsprechend auch prozessführungsbefugt. Demgegenüber betrifft § 14 Abs. 2 WEG das Binnenrechtsverhältnis (Innenverhältnis) zwischen den einzelnen Sondereigentümern. Gläubiger und Schuldner derartiger Ansprüche sind mithin die einzelnen Eigentümer. Der Verband (rechtsfähige Gemeinschaft) ist daran nicht beteiligt.
Grundsätzlich muss die Gemeinschaft Abwehransprüche geltend machen, notfalls auch gerichtlich. Im Regelfall entspricht es ordnungsmäßiger Verwaltung, streitige Ansprüche, die plausibel dargelegt sind, geltend zu machen. Anderes gilt ausnahmsweise, wenn die Rechtsverfolgung von Anfang an offenkundig aussichtslos ist. Dies ist selten der Fall. Die „schmutzige Wäsche“ muss im Störungsabwehrprozess gewaschen werden, nicht in einer vorgeschalteten Beschlussersetzungsklage oder – falls die Geltendmachung mehrheitlich beschlossen, aber von einem Eigentümer, der das nicht will, angefochten wurde – Anfechtungsklage. Dazu ist die Beschlussklage nicht gedacht.
Soweit ersichtlich kürzt der BGH die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erstmalig als „GdWE“ ab. Die Abkürzung reiht sich ein in die immer länger werdende Liste von Synonymen (Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Wohnungseigentümergemeinschaft, „WEG“, Gemeinschaft, rechtsfähige Gemeinschaft, rechtsfähiger Verband, Verband, GdW). Der Rechtsanwender darf sich nicht verwirren lassen. Es ist immer dieselbe Person gemeint.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Der vorliegende Prozess aus Frankfurt startete vor und endete nach Inkrafttreten des WEMoG. Würde heute, d.h. nach dem 1.12.2020, eine individuelle Störungsabwehrklage erhoben, muss der klagende Sondereigentümer tatsächliche Beeinträchtigungen im räumlichen Bereich seines Sondereigentums vortragen und im Streitfall beweisen. Nur dann kann eine Klage zulässig und erfolgreich sein. Angesichts des behaupteten Schadensbildes hätte es nahegelegen, tatsächliche Sachbeschädigungen am Sondereigentum (Putzrisse, Beschädigungen des Farbanstrichs und Fußbodenbelages etc.) vorzutragen. Möglicherweise gab es diese in der Wohnung der Klägerin aber auch nicht. Ganz abstrakte Ängste, wie die Klägerin sie vortragen ließ, reichen nicht. Beschädigen Erschütterungen und sonstige bauliche Eingriffe sowohl das gemeinschaftliche Eigentum als auch das Sondereigentum in dessen Substanz, dürfte eine individuelle Anspruchsinhaberschaft (Aktivlegitimation) und Prozessführungsbefugnis des Sondereigentümers in Bezug auf sein Sondereigentum gegeben sein.
Da in der Gemeinschaftsordnung eine umfangreiche Zweckbestimmung vereinbart war, die eine Nutzung der Kellerräume zu jeglichem Zweck, also auch zu Wohnzwecken, jedenfalls aber für die hier im Raum stehende Nutzung als Gästezimmer, gestattete, sofern diese nicht über das übliche Maß hinaus zu Geräuschbelästigungen führt, hätte die Behauptung, dass es derartige Geräuschbelästigungen im räumlichen Bereich der Wohnung der Klägerin gibt, die Klage zumindest schlüssig gemacht. In der Sache selbst hätte die Klägerin diese Behauptung aber vermutlich nicht beweisen können, da ihre Wohnung im 2. OG liegt, also zu weit entfernt von der Störungsquelle.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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