WEG-Recht

BGH zur Verwalterabberufung nach neuem WEG-Recht

Seit der Einführung des neuen § 26 WEG am 1.12.2020 kann der Verwalter jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen werden (§ 26 Abs. 3 S. 1 WEG). Voraussetzung ist, dass eine Mehrheit der abgegebenen Stimmen für die Abberufung stimmt. Gibt es keine Mehrheit, sondern fordert nur ein Eigentümer oder eine Minderheit die Abberufung, besteht ein Abberufungsanspruch nur dann, wenn die mehrheitlich beschlossene Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht unvertretbar erscheint. Maßgeblich ist eine Gesamtbetrachtung aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe. Der Bundesgerichtshof (BGH) äußert sich in einem aktuellen Urteil erstmals auch zur neuen Gesetzeslage.

Mit Urteil vom 25. Februar 2022 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 65/21 entschied der BGH über einen Fall, der über das Landgericht Berlin zu ihm gelangt war und vom BGH dorthin zurückverwiesen wurde. Streitgegenständlich ist eine Anfechtungs- und Beschlussersetzungsklage gegen einen Negativbeschluss, den bestellten Verwalter vorzeitig „in die Wüste zu schicken“. Der Fall gab dem BGH Gelegenheit, alte und neue Gesetzeslage miteinander zu vergleichen. Er sieht einige deutliche Parallelen.

 

Der Fall

Die Kläger und die übrigen Wohnungseigentümer (Beklagten zu 1) bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft (Beklagte zu 2) im Amtsgerichtsbezirk Berlin-Schöneberg. Es handelt sich um eine Mehrhausanlage, wobei unklar ist, ob die Gemeinschaftsordnung Vereinbarungen zur Bildung von Untergemeinschaften enthält. Früher wurden Jahresabrechnungen vom Verwalter getrennt nach Häuserkomplexen erstellt und in Teilversammlungen der jeweiligen Häuser genehmigt. Auch in einer Eigentümerversammlung vom 4.12.2018 wurde so verfahren und die Jahresabrechnung 2017 für diesen Häuserkomplex beschlossen. Mit Urteil vom 31.7.2019 stellte das Amtsgericht in einem Vorprozess die Nichtigkeit dieses Beschlusses fest, da es der Untergemeinschaft an der nötigen Beschlusskompetenz fehle. Das Urteil ist rechtskräftig.

In der hier streitgegenständlichen Eigentümerversammlung vom 28.11.2019 beschlossen die Wohnungseigentümer zu TOP 4.2, dass in den Jahresabrechnungen 2016 – 2018 die Kostenzuordnung „wie bisher“ erfolgen und eine neue Gesamtabrechnung erstellt werden solle. Der unter TOP 6.4 gestellte Antrag, die sofortige Abberufung des Verwalters und die Kündigung des Verwaltervertrages aus wichtigen Gründen zum 31.12.2019 zu beschließen, wurde hingegen abgelehnt.

Mit ihrer zunächst nur gegen die Beklagten zu 1 (übrigen Wohnungseigentümer) gerichteten Klage vom 23.12.2019 haben die Kläger den Negativbeschluss zu TOP 6.4 angefochten und zudem beantragt, den abgelehnten Beschlussantrag im Wege der gerichtlichen Beschlussersetzung durch einen Abberufungsbeschluss und eine Kündigung des Verwaltervertrages zu ersetzen. Das Amtsgericht wies die Klage am 13.8.2020 ab. Am 1.12.2020 trat das WEMoG in Kraft. Am 2.3.2021 verhandelte das Landgericht Berlin in der Berufungsinstanz und wies die Berufung der Kläger mit Urteil vom selben Tage zurück. Die Revision zum Bundesgerichtshof ließ es zu. Im Revisionsverfahren erweiterten die Kläger ihre Anträge auch gegen die Beklagte zu 2, nahmen diese Klageerweiterung aber im Termin vor dem BGH am 10.12.2021 mit Zustimmung der Beklagten wieder zurück.

Der BGH konnte nach den gegenwärtigen Feststellungen kein abschließendes Urteil fällen und verwies die Akte zurück an das Berufungsgericht.

Die Entscheidung

Das Berufungsgericht hatte Anfechtung und Beschlussersetzung nach altem Recht beurteilt und die Klage insgesamt als unbegründet erachtet. Die Kläger hätten ihre Vorwürfe gegen den Verwalter schon nicht zeitlich geordnet und darüber hinaus zumindest teilweise nicht innerhalb angemessener Frist geltend gemacht. Ältere Vorwürfe, beispielsweise über angeblich fehlerhaftes Verwalterverhalten aus den Jahren 2012 und 2018, könne bereits aus zeitlichen Gründen nicht berücksichtigt werden.

Der BGH sieht das anders. Er verneint im Gegensatz zum Berufungsgericht allgemeingültige zeitliche Grenzen, jenseits derer Pflichtverletzungen des Verwalters unbeachtlich sind. Derartige Grenzen gäbe es nicht, wobei letztlich offenbleiben könne, ob ein Abberufungsanspruch des einzelnen Wohnungseigentümers unter besonderen Umständen ausgeschlossen sein könne, wenn der zugrunde gelegte Vorfall lange Zeit zurückliege (Rn 30 der Urteilsgründe).

Nach dem alten, wie nach dem neuen WEG bestehe ein Anspruch des einzelnen Wohnungseigentümers bzw. der Minderheit auf Abberufung des Verwalters nur, wenn die Ablehnung der Abberufung aus objektiver Sicht unvertretbar erscheine. Dies könne und dürfe vom Gericht nur in einer umfassenden Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles und aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe beurteilt werden. Daher sei es unzulässig, von vornherein zurückliegende Vorwürfe außen vor zu lassen. Zwar sei es denkbar, dass ein bestimmter Zeitablauf eine Pflichtverletzung als weniger gewichtig erscheinen ließe; dies enthebe das Gericht aber nicht von der Pflicht, zunächst alle Umstände in die Gesamtabwägung einzustellen, zumal auch ein länger zurückliegender Punkt mit weiteren späteren Vorfällen „das Fass zum Überlaufen bringen könnte“.

Die Frage, ob die dem Verwalter vorgeworfene Missachtung des Urteils aus dem Vorprozess tatsächlich eine Pflichtverletzung beinhalte, lasse sich nur nach einem Blick in die Gemeinschaftsordnung beantworten. Darum habe sich das Berufungsgericht aber bislang nicht gekümmert.

Fazit für den Verwalter

Hat der amtierende Verwalter die Mehrheit hinter sich, kann er auch nach neuer Gesetzeslage recht beruhigt sein. Erst dann, wenn die mehrheitliche Ablehnung seiner Abberufung aus objektiver Sicht nicht mehr vertretbar erscheint, droht ihm der Amtsverlust im Wege der gerichtlichen Beschlussersetzungsklage. Ist dagegen eine Mehrheit für die vorzeitige Abberufung und Kündigung des Verwaltervertrages, kommt § 26 Abs. 3 S. 1 WEG zur Anwendung, wonach der der Verwalter jederzeit abberufen werden kann. Ein Vertrag mit ihm endet spätestens 6 Monate danach.

Der Beschluss, die Kostenzuordnung wie bisher vorzunehmen, meint vermutlich die Zuordnung der Gesamtausgaben auf einzelne Untergemeinschaften, um sie sodann in einem weiteren Schritt in den Einzeljahresabrechnungen auf die Eigentümer verteilen zu können. Kostenzuordnung und Kostenverteilung sind etwas anderes.

Ein Verwalter muss prüfen, ob und inwieweit in der Gemeinschaftsordnung Bestimmungen über die Bildung von Untergemeinschaften enthalten sind. Er muss klären, ob diese wirksam sind und inwieweit sie bei der Verwaltung zu beachten sind. Beschlüsse über die Bildung von Untergemeinschaften sind mangels Beschlusskompetenz nichtig, wenn nicht die Gemeinschaftsordnung eine entsprechende Öffnungsklauseln enthält. Inwieweit der neue § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG zumindest die Einführung einer Kostentrennung und Kostenverteilung nach Untergemeinschaften zulässt, ist streitig.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Die Kläger begründeten ihr Abberufungsverlangen damit, dass der Verwalter das rechtskräftige Urteil aus dem Vorprozess, mit dem sogar die Nichtigkeit der damaligen Abrechnungsgenehmigung festgestellt worden sei, ungenügend umgesetzt habe. An weiteren Vorwürfen brachten sie vor: Weigerung, ein Protokoll weiterzugeben; unterlassene Information der Wohnungseigentümer über den Verlauf des Vorprozesses; unterlassene Beschlussherbeiführung über die Bildung von Abrechnungsuntereinheiten; Erstellung der im Vorprozess kassierten nichtigen Jahresabrechnung 2017; Abstimmung zu TOP 4.2 sowie eine von den Klägern behauptete Einschüchterung der Wohnungseigentümer.

Aus Sicht der klagenden Wohnungseigentümer von Vorteil ist, dass der BGH der strengeren Ansicht des Berufungsgerichts eine Absage erteilt, wonach ein Anspruchsteller (Kläger), der die vorzeitige Abberufung und Kündigung fordere, die hierfür maßgeblichen Tatsachen „innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung“ vorzubringen habe, also insbesondere durch ein zeitnahes Einberufungsverlangen. In der Tat gibt es einige Instanzrechtsprechungen, die in Anlehnung an § 626 Abs. 2 S. 1 BGB und § 314 Abs. 3 BGB zeitnahe Aktivitäten fordern, um den Verwalter „aus dem Weg zu räumen“. Der BGH folgt dem in dieser Allgemeinheit nicht.

Abberufung und Kündigung können fristlos und mit sofortiger Wirkung erfolgen. Ebenfalls denkbar ist es, wenn – wie hier – außerordentlich mit einer Frist zum Jahresende abberufen und gekündigt wird. Die Versammlung war am 28.11.2019. Praktischer Vorteil für die Gemeinschaft ist, dass der Verwalter die Versammlungsniederschrift dann noch zu erstellen hat. Zudem erhält sich die Gemeinschaft die Chance, dass der Verwalter die Jahresabrechnung 2019 schuldet, was bei einer fristlosen Abberufung am 28.11.2019 unstreitig nicht der Fall wäre.

Fazit für die Gemeinschaft

Nach dem neuen WEG richtet sich der Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung, der auch den Anspruch auf vorzeitige Abberufung einbezieht, nicht mehr gegen die übrigen Eigentümer, sondern gegen die rechtsfähige Gemeinschaft (der BGH spricht neuerdings von GdWE). Im vorliegenden Fall, der vor dem 1.12.2020 startete und nach diesem Stichtag endete, musste die Klage nicht auf die Gemeinschaft umgestellt werden. Richtige Klagegegner blieben sowohl für die Beschlussanfechtung als auch die Beschlussersetzung die übrigen Wohnungseigentümer. Eine Änderung der Anspruchsvoraussetzungen für eine vorzeitige Abberufung führt die Gesetzesänderung nicht. Ein Anspruch kommt weiterhin nur infrage, wenn die weitere Zusammenarbeit mit dem bestellten Verwalter aus objektiver Sicht unvertretbar erscheint.

 

Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?

Hätte die hier streitgegenständliche Versammlung nach dem 1.12.2020 stattgefunden, wäre die Beschlussklage gegen die Gemeinschaft zu richten gewesen. Maßstab für den Minderheitenschutz ist die objektive Unvertretbarkeit. Dies gilt nach alter wie neuer Gesetzeslage. Stimmt hingegen eine Mehrheit für die Abberufung und die Kündigung des Verwaltervertrages, sind entgegenstehende Regelungen in der Gemeinschaftsordnung oder im Verwaltervertrag unwirksam. Die jederzeitige grundlose Abberufungsmöglichkeit der Mehrheit ist gesetzlich verankert und lässt anderslautende Regelungen, die den Verwalter schützen sollen, unwirksam werden.

Keine Aussage trifft das vorliegende Urteil zu den für die Praxis relevanten Fragen, ob die Bestandkraft zwischenzeitlicher Entlastungsbeschlüsse und / oder Wiederbestellungen sowie unterbliebene Abmahnungen juristisch eine Rolle spielen können. Es ist anzunehmen, dass sie im Rahmen der Gesamtabwägung aller gegen den Verwalter erhobenen Vorwürfe von Bedeutung sind. Das Gericht darf nur solche Vorwürfe berücksichtigen, die von Klägerseite vorgetragen wurde. Im Beschlussersetzungsverfahren ist dies durchaus länger möglich als in der Beschlussanfechtung mit ihrer zweimonatigen Klagebegründungsfrist ab dem Versammlungstag.

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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