In Thüringen berief ein Verwalter mit Einladungsschreiben vom 11.3.2020 eine Eigentümerversammlung für den 4.4.2020 in Erfurt ein. Kurz nach Einladungsversand untersagte die Stadt Erfurt wegen gestiegener Infektionszahlen Eigentümerversammlungen per behördlicher Allgemeinverfügung. Der Verwalter sagte die Versammlung wieder ab. In der Zwischenzeit hatte ein Wohnungseigentümer den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen ihn beantragt. Der Eigentümer scheiterte in zwei Instanzen.
Mit Beschluss vom 4.8.2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen 4 T 119/20 bestätigte das Landgericht Meiningen die Entscheidung des Amtsgerichts Suhl, das den Erlass einer einstweiligen Verfügung (Durchführungsverbot bezüglich der einberufenen Versammlung) für ungerechtfertigt hielt, weil der Verwalter rechtzeitig und entsprechend der zwischenzeitlich veränderten öffentlich-rechtlichen Gesetzeslage wieder abgeladen hatte.
Der Fall
11. März | Verwalter V erstellt Einladungsschreiben/Tagesordnung. |
13. März | V gibt Einladungen in die Post; |
14. März | Inkrafttreten der Allgemeinverfügung. |
18. März | W (Antragsteller) beantragt beim Amtsgericht einstweilige Verfügung. |
19. März | V sagt Eigentümerversammlung wieder ab. |
26. März | Zustellung der Antragsschrift bei V; |
19. Mai | Das Amtsgericht Suhl legt W die Kosten auf. W geht in Beschwerde. |
4. August | Das Landgericht Meiningen bestätigt das Amtsgericht. |
Die Entscheidung
Der Verwalter habe sich in jeder Hinsicht pflichtgemäß verhalten. Im Zeitpunkt der Erstellung des Einladungsschreibens uns seines Versandes existierten keine rechtlichen Hindernisse, eine Wohnungseigentümerversammlung durchzuführen. Noch in der vorläufigen Thüringer Grundverordnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie vom 24.3.2020 sei die Teilnahme an Sitzungen weiterhin für möglich erklärt worden. Die Allgemeinverfügung der Stadt Erfurt sei am Sonntag, 14.3.2020 in Kraft getreten. Nachdem festgestanden habe, dass Versammlungen behördlich untersagt worden seien, habe der Verwalter mit seiner Abladung vom 19.03.2020 korrekt und rechtzeitig reagiert. Ein schuldhaftes Zögern sei nicht erkennbar.
Fazit für den Verwalter
Es ist zwischen der Einberufung und der Durchführung der Eigentümerversammlung zur unterscheiden. Selbst wenn die Einberufung rechtmäßig erfolgte, kann die Durchführung der Versammlung gleichwohl verboten sein. Der rechtmäßigen Durchführung stand vorliegend ein zwischenzeitlich in Kraft getretenes öffentlich-rechtliches Hindernis im Wege. Die Versammlung wurde dadurch nachträglich rechtlich unmöglich.
Unklar ist die Argumentation des Gerichts zum Sonntag, 14.3.2020. Der 14.3. war ein Samstag. Recherchiert man im Internet, dürfte die Allgemeinverfügung sogar sofort in Kraft getreten sein, also bereits am 13.3.2020. Letztlich dürfte dies dahinstehen können, weil die Abladung am Donnerstag, 19.3.2020, rechtzeitig war. Der Verwalter hatte also nicht zu lange gezögert. Angesichts des Versammlungstermins am 4.4.2020 erscheint diese Ansicht des Gerichts gut vertretbar.
Die Streitigkeit zwischen Eigentümer und Verwalter ist an sich eine WEG-Sache, so dass in zweiter Instanz das zentrale Beschwerdegericht beim Landgericht Gera zuständig gewesen sein dürfte. Möglicherweise gibt es im Geschäftsverteilungsplan eine andere Regelung, wenn es wie hier um ein einstweiliges Verfügungsverfahren geht.
Die Versammlungssaison 2020/21 ist wegen Corona von Ungewissheiten und Planungsunsicherheit geprägt. Verwalter sollten wenn möglich in die Einladung den Vorbehalt aufnehmen, dass die Versammlung auch kurzfristig abberufen werden muss, falls die Infektionslage und eine geänderte Gesetzeslage dies erzwingen sollten.
Sind Eigentümerversammlungen in den Grenzen der Corona-Bestimmungen zulässig, hat ein gesundheitlich angeschlagener bzw. vorerkrankter Wohnungseigentümer grundsätzlich keinen Anspruch darauf, dass seinetwegen die Versammlung abgesagt bzw. verschoben wird. Die Gefahr, sich bei persönlicher Teilnahme zu infizieren, gehört rechtlich gesehen zum allgemeinen Lebensrisiko. Überdies kommt die Bevollmächtigung des Verwalters oder einer anderen vertretungsberechtigten Person in Betracht. Ab Inkrafttreten des WEMoG am 1.12.2020 kommt in Betracht, per Mehrheitsbeschluss die Online-Teilnahme an der Präsenzversammlung zu gestatten.
Beruft der Verwalter Eigentümerversammlungen ein, hat er die Corona-Schutzverordnung des jeweiligen Bundeslandes zu beachten, die sich jederzeit ändern kann. Darüber hinaus sind etwaige Corona-Schutzbestimmungen der Städte und Gemeinden zu berücksichtigen, in deren Gebiet die Versammlung stattfinden soll. Vorliegend hatte die Stadt Erfurt eine sog. Allgemeinverfügung erlassen. Sie ist ein Verwaltungsakt, der sich nicht an eine konkrete Person richtet, sondern an einen abstrakt-generellen Personenkreis. Sie gilt mithin auch für Personen, die von Außerhalb das Stadtgebiet betreten. Vorliegend liegt die Wohnungseigentümergemeinschaft offenbar außerhalb Erfurts, der Verwalter entschied sich für einen Versammlungsort in der Nähe. Dies ist zulässig, wenn sich die Entfernung in einem zumutbaren Rahmen hält.
Sagt der Vermieter den gemieteten Versammlungsraum wegen Corona ab (z.B. Gastronom, Hotel, Gemeindessaal), ist es grundsätzlich zulässig, im Bereich derselben Gemeinde bzw. in zumutbarer örtlicher Entfernung mit vergleichbarer Anbindung und Erreichbarkeit einen anderen Versammlungsraum zu mieten. Der Raumwechsel darf meines Erachtens auch kurzfristig mitgeteilt werden. Die Einladungsfrist beginnt nicht aufs Neue, weil sich die Wohnungseigentümer trotz des Ortswechsels uneingeschränkt vorbereiten können. Schließt der Verwalter einen Mietvertrag über den Veranstaltungsraum ab, sollte er vertraglich ausdrücklich vereinbaren, dass Vertragszweck die Durchführung einer Eigentümerversammlung ist. Das Verwendungsrisiko der Mieträume geht dann wohl auf den Vermieter über. Die WEG als Mieter muss mithin keine Miete zahlen, falls der Vermieter wegen Corona die Zurverfügungstellung des Veranstaltungsraumes absagt. Juristisch dürfte dann nämlich ein Fall der rechtlichen Unmöglichkeit bei absolutem Fixgeschäft (Versammlung an genau diesem Tag) gegeben sein.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte PartmbB Hamburg
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