WEG-Recht

„Crashbeschluss“ nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG

Kürzlich hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) in zwei Grundsatzentscheidungen vom 22.03.2024 zum neuen § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG geäußert und den weiten Gestaltungsspielraum der Mehrheit der Wohnungseigentümer betont, für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten Abweichungen und Änderungen bei der Kostenverteilung beschließen zu dürfen. Ein Fall aus dem Amtsgerichtsbezirk Pforzheim zeigt auf, wo die Grenzen des Ermessens von der Mehrheit überschritten werden.

Mit Hinweisbeschluss vom 08.03.2024 zum gerichtlichen Aktenzeichen 11 S 53/22 wies die für den Amtsgerichtsbezirk Pforzheim zuständige Berufungskammer des Landgerichts Karlsruhe den klagenden Wohnungseigentümer darauf hin, seine Klage und Berufung wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit zurückweisen zu wollen.

Der Fall

In einer aus 60 Sondereigentumseinheiten bestehenden GdWE gehören dem Kläger (K) fünf, der X eine und der Y die restlichen 54 Einheiten. Kostenverteilung und Stimmrecht richten sich laut Gemeinschaftsordnung (GO) nach dem Verhältnis der Miteigentumsanteile (MEA). Eine Bildung von Untergemeinschaften ist nicht vereinbart. Das Dach der im Objekt befindlichen Gaststättenküche ist instandsetzungsbedürftig, der Instandsetzungsbedarf durch ein Gutachten dokumentiert. In der Versammlung vom 30.11.2021 wurde der Beschlussantrag über die Instandsetzung des Daches gegen die Stimmen von K und X (100/1000) durch Y (900/1000) mehrheitlich abgelehnt (TOP 5) und zu TOP 9 mit der Stimmenmehrheit der Y beschlossen, dass die Kosten für den Verwaltungsaufwand entsprechend der Anzahl der zusammengefassten Verwaltungseinheiten zu verteilen sind. Bereits auf einer Versammlung vom 02.09.2021 war mit den Stimmen der Y mehrheitlich beschlossen worden, dass eine »verwaltungstechnische Zusammenfassung von Einheiten« erfolgen solle. K erhebt eine Beschlussanfechtungs- und Beschlussersetzungsklage.

Die Entscheidung

Das Amtsgericht Pforzheim erklärte den Negativbeschluss für ungültig und gab der auf Beschlussersetzung gerichteten Klage statt. Das Dach über der Gaststätte sei zwingend gemeinschaftliches Eigentum und eine vom Gesetz abweichende Kostenverteilung für dieses Gebäudeteil in der GO nicht vereinbart. Der Beschluss zu TOP 9 sei nichtig, da die Zusammenfassung der Verwaltungseinheiten nicht hinreichend bestimmt sei und es an der Beschlusszuständigkeit fehle. Das Landgericht Karlsruhe bestätigt die Ansicht des Amtsgerichts im Ergebnis. Nichtig sei der Beschluss nicht, wohl aber rechtswidrig, da die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels („zusammengefasste Einheiten“ anstatt MEA) den Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung widerspreche und ein Fall der unzulässigen (rechtsmissbräuchlichen) Stimmrechtsmajorisierung vorliege.

Fazit für den Verwalter

Dem Sachverhalt kann nicht entnommen werden, ob ein Verwalter bestellt war. Vermutlich ja. Als Versammlungsleiter obliegt es dem Verwalter, abgegebene Stimmen, die wegen Stimmrechtsmissbrauchs ungültig sind, nicht zu zählen. Die tatsächliche und rechtliche Bewertung ist in solchen Fällen indes schwierig, sodass sich der Verwalter grundsätzlich pflichtgemäß verhält, wenn er die zweifelhafte Stimmabgabe eines Mehrheitseigentümers in die Ermittlung des Beschlussergebnisses einbezieht und es im Streitfall dem Gericht überlässt, die Rechtslage zu prüfen. Der Verwalter bewahrt sich dadurch seine Neutralität.

Der Kostenverteilungsschlüssel „zusammengefasste Verwaltungseinheiten“ dürfte unbestimmt sein und sich auf der Grenze zwischen Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit bewegen. Ziel von Y war es, zur Verfolgung seiner privaten Sonderinteressen den Großteil der von ihm zu tragenden Kosten auf die beiden anderen Miteigentümer abzuwälzen, in dem eine Art Kopfprinzip für die Kostenverteilung eingeführt werden sollte (jeder der drei Eigentümer zahlt ein Drittel der Verwaltungskosten). Das ist bei objektiver Betrachtung unter Berücksichtigung der Interessen der GdWE und der einzelnen Sondereigentümer unangemessen und führt zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung von X und K.

Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte

Unklar und dem Fall nicht zu entnehmen ist das Schicksal des vorausgegangenen Beschlusses vom 02.09.2021. Sollte er ebenfalls gerichtlich angefochten worden sein, wäre er bis zu einer rechtskräftigen gerichtlichen Ungültigerklärung (und folglich auch am 30.11.2021) anzuwenden, es sei denn, er wäre mangels Beschlusskompetenz oder wegen absoluter Unbestimmtheit (im Sinne einer Undurchführbarkeit) nichtig. Mangelnde Beschlusskompetenz wäre zu bejahen, falls der Beschluss nach Wortlaut und Sinn die Begründung von Untergemeinschaften beinhaltet haben sollte.

Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG begründet die Kompetenz der Wohnungseigentümer, für einzelne Kosten oder bestimmte Arten von Kosten der GdWE eine von dem gesetzlichen Verteilungsschlüssel oder von einer Vereinbarung in der GO abweichende Verteilung zu beschließen. Das gilt auch dann, wenn dadurch der Kreis der Kostenschuldner verändert wird, indem Wohnungseigentümer von der Kostentragung gänzlich befreit oder umgekehrt erstmals mit Kosten belastet werden (BGH, 22.03.2024 – V ZR 81/23). Die zum 01.12.2020 neu gefasste Vorschrift verleiht der Mehrheit nicht nur eine erweiterte Beschlusskompetenz (nunmehr auch für Kosten der Erhaltung), sondern einen weiten Ermessensspielraum bei der Schöpfung eines neuen (gerechteren) Kostenverteilungsschlüssels. Über das Ziel hinaus schießen darf die Mehrheit gleichwohl nicht, schon gar nicht ein Mehrheitseigentümer. Der vorliegende Fall verdeutlicht dies. Rechtswidrige (ungerechte) Kostenbeschlüsse müssen gerichtlich bekämpft werden, damit sie nicht in Bestandskraft erwachsen.

Fazit für die Gemeinschaft

Die Beklagte (GdWE) wurde vom Mehrheitseigentümer in einen aussichtslosen Gerichtsprozess gedrängt, was zu der Frage führt, ob und inwieweit die GdWE von Y wegen der Prozesskosten Regress nehmen kann wegen eines schuldhaft pflichtwidrigen Abstimmungsverhaltens zum Nachteil der GdWE. Ausgeschlossen erscheint dies in Fällen der vorliegenden Art nicht. Derzeit noch nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob der obsiegende Beschlusskläger anteilig an den Prozesskosten der GdWE mitträgt. Dazu soll der BGH dem Vernehmen nach demnächst ein Urteil fällen.

 

Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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