Mit Urteil vom 15.09.2022 zum gerichtlichen Aktenzeichen 2-13 S 38/21 bestätigte das Landgericht Frankfurt/Main die vom Amtsgericht ausgesprochene Ungültigerklärung sämtlicher mit der Anfechtungsklage angegriffener Beschlüsse. Die formellen Beschlussmängel, die der Verwalter der Gemeinschaft eingebrockt habe, wögen in der Gesamtbetrachtung so schwer, dass die Beschlüsse allein deshalb für ungültig erklärt werden müssten, und zwar unabhängig von der Frage der Kausalität.
Der Fall
Am 08.10.2020 lud der Verwalter zur Eigentümerversammlung am 29.10.2020 (Werktag) um 10:00 Uhr in sein ca. 20 km von der Liegenschaft entferntes Büro ein. In der Einladung bat er aufgrund der Coronasituation darum, nicht persönlich zu erscheinen und ein angefügtes Vollmachtsformular zu nutzen. Ergänzend hatte der Verwalter einer Eigentümerin – der Klägerin – mit Schreiben vom 20.10.2020 individuell mitgeteilt, die Versammlung werde eine reine Stimmabfrage sein ohne Raum für Gespräche und Diskussionen. Die Versammlung fand statt, einziger Teilnehmer war der Verwalter. Die Versammlung dauerte 3 Minuten. Mit ihrer Klageschrift vom 27.11.2020 griff die Klägerin sämtliche Beschlüsse an und bekam in beiden Instanzen recht.
Die Entscheidung
Amts- und Landgericht stellten fest, dass die Teilnahme- und Mitwirkungsrechte der Wohnungseigentümer in gravierender Weise beeinträchtigt wurden, sodass der Anfechtungsklage schon aus diesen Gründen stattzugeben sei, unabhängig davon, ob auch die in der Sache gerügten Mängel zuträfen. Nichtig seien die Beschlüsse zwar nicht, da selbst ein etwaiger, hier aber schon nicht zu erkennender Verstoß gegen die landesrechtliche Coronaschutz-Verordnung Hessens hierfür nicht ausreiche. Allerdings seien die angefochtenen Beschlüsse für ungültig zu erklären, da die Wahl von Zeit und Ort der Versammlung grob ermessensfehlerhaft gewesen und in Kombination mit dem weiteren Schreiben einer „Ausladung“ gleich zu achten sei. Ob die Beschlüsse auf diesen formellen Fehlern beruhten, könne dahinstehen, weil das Teilnahmerecht der Klägerin in gravierender Weise unterlaufen worden sei.
Fazit für den Verwalter
Eigentümerversammlungen in Coronazeiten in Präsenz oder hybrid durchzuführen, ist eine Herausforderung. An die Vernunft der Eigentümer zu appellieren, nicht persönlich zu erscheinen, sondern möglichst Vollmachten zu erteilen, ist in Ordnung. Allerdings muss der Verwalter in der Einladung klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass eine persönliche Teilnahme gestattet ist. Tut er das Gegenteil, lädt er Wohnungseigentümer also vom objektiven Empfängerhorizont aus betrachtet nicht zur Versammlung ein, sondern faktisch aus, ist das mangelhaft. Grundsätzlich führt ein solcher Einladungsmangel zur Anfechtbarkeit. Bei böswilligen Angriffen auf das Mitgliedschaftsrecht hat der Mangel sogar die Beschlussnichtigkeit zur Folge.
Im Rahmen des Zulässigen liegt es auch, wenn der Verwalter beim Appell, Vollmachten zu nutzen, seine eigene Bevollmächtigung empfiehlt, damit möglichst überhaupt keiner der Wohnungseigentümer persönlich erscheinen muss. Auch hier darf aber nicht Zwang ausgeübt und der Eindruck erweckt werden, dass die Bevollmächtigung anderer Personen, z.B. von Mitgliedern des Beirats oder Wohnungseigentümern, verboten ist.
Sind in der Gemeinschaftsordnung Vertretungsbeschränkungen vereinbart, etwa auf den Ehegatten, Verwalter oder einen anderen Sondereigentümer, wird sich das dem Verwalter bei der Frage der Annahme von Vollmachten (mit oder ohne Weisungen) grundsätzlich eröffnete Ermessen, bei seiner Empfehlung, die Vollmacht ihm zu erteilen, in der Regel dahin verdichten, dass er die Bevollmächtigung annehmen und das Stimmrecht ausüben muss. Alles andere wäre widersprüchlich.
Bei der Einladung hat der Verwalter einen Ermessensspielraum. Die Rahmenbedingungen der Versammlung müssen von ihm ermessensfehlerfrei gewählt werden. Versammlungszeit und Versammlungsort müssen verkehrsüblich und zumutbar sein. Derzeit gelten in der Rechtsprechung recht strenge Maßstäbe. Eine Versammlung am Vormittag oder frühen Nachmittag eines Werk- bzw. Arbeitstages ist in der Regel unzulässig. Richtschnur bei den meisten Gerichten ist: Nicht vor 17:00 Uhr. Ausnahmen kommen in Betracht, z.B. in besonders großen Gemeinschaften, vorhersehbar langer Versammlungsdauer, Ferienwohnanlagen, Teileigentümergemeinschaften, Gemeinschaften mit überwiegend pensionierten bzw. nicht (mehr) werktätigen Eigentümern etc. In einem Ferienpark an der Ostsee mit rund 1700 Einheiten beispielsweise ist es nicht ermessensfehlerhaft, die Versammlung an einem Samstag zur Mittagszeit zu beginnen, zumal die Einlasskontrolle – zusätzlich erschwert in Coronazeiten – weit vor Versammlungsbeginn startet. Fand coronabedingt die letztjährige ordentliche Eigentümerversammlung nicht statt, darf dies ebenfalls berücksichtigt werden, um die aufgestaute Tagesordnung in einer Versammlung abarbeiten zu können, statt sie an einem anderen Tag fortsetzen zu müssen. Eine gesetzliche Mindest- oder Höchstdauer der Versammlung gibt es nicht. Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalles. So kann etwa eine fünfstündige Eigentümerversammlung auch nach 22:00 Uhr zulässig sein, wenn kaum ein Eigentümer gegangen ist und die Tagesordnung weiterhin konzentriert und sachlich abgearbeitet wird.
Zum verkehrsüblichen Versammlungsort zählt das Landgericht die grundsätzliche Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln in angemessener Zeit. Deshalb solle die Versammlung in der Regel in der Gemeinde stattfinden, in der sich die Anlage befinde, und zwar möglichst in deren Nähe. Allerdings sind auch hier Ausnahmen anerkannt und die Umstände des Einzelfalles entscheidend. Befindet sich die Wohnanlage auf einer autofreien Nordseeinsel, kann es ermessensfehlerfrei sein, die Eigentümerversammlung in einen nahegelegenen Küstenort am Festland einzuberufen.
Versammelt sich der Verwalter - wie im Fall - mangels Teilnehmer mit sich allein, sollte er gleichwohl Beschlussergebnisse förmlich verkünden, am besten durch „Selbstgespräche“, um den Erinnerungs- und Beweiswert und dadurch die Glaubhaftigkeit als Zeuge vor Gericht im Streitfall zu erhöhen. Mit einer konkludenten Beschlussergebnisverkündung zu argumentieren, ist weniger sicher. In der Fertigung von Beschluss-Sammlung und Versammlungsniederschrift liegt jedenfalls keine Verkündung, da sie nach der Versammlung erfolgen.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Erhält ein Eigentümer die Einladung zur Eigentümerversammlung versehentlich nicht, führt dies nur dazu, dass die dort gefassten Beschlüsse möglicherweise anfechtbar sind. Zur Nichtigkeit führt die unterbliebene Ladung nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen, etwa dann, wenn der Wohnungseigentümer in böswilliger Weise gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll.
Die Vorgehensweise des Verwalters zeigte die von ihm nach den äußeren Umständen seiner Einladung bezweckte Wirkung. Während das an alle Eigentümer versandte Einladungsschreiben mit dem Vollmachtsappell noch ermessensfehlerfrei war, schreckte sein individuelles Ergänzungsschreiben die klagende Eigentümerin in ermessensfehlerhafter Weise von der Teilnahme ab.
Wohnungseigentümer müssen damit rechnen, dass eine Eigentümerversammlung, die im Zeitpunkt der Absendung der Einladung hätte durchgeführt werden dürfen, wieder abgesagt wird, wenn sich die Gesetzeslage ändert und Eigentümerversammlungen in Präsenz verboten werden. In manchen Ländern und Kommunen war dies in Folge gestiegener Infektionszahlen der Fall. Die Gemeinschaft, vertreten durch den Verwalter, hat dafür zu sorgen, dass gesetzliche Vorgaben beachtet werden.
Versammlungen grundsätzlich in der Nähe der Liegenschaft durchzuführen, überzeugt. In Großstädten kann dies bedeuten, den Versammlungsraum in nahegelegenen Stadtteilen oder dem Bezirk der Liegenschaft auszuwählen. In besonders großen Gemeinschaften mit durchschnittlich hohen Teilnehmerzahlen kann es für die Wohnungseigentümer zumutbar sein, in die nächstgelegene größere Stadt fahren zu müssen, weil und wenn sich dort ein geeigneter Versammlungsraum mit ausreichend Kapazitäten befindet, selbst wenn eine Strecke über 60 km lang ist.
Fazit für die Gemeinschaft
Der Verwalter ist Organ, das er kraft seiner Bestellung bekleidet. Faktisch lädt er zur Versammlung ein, juristisch wird es der Gemeinschaft zugerechnet. In der Praxis lässt sich dieser Unterschied nicht immer bis ins Letzte konsequent durchhalten. Die Gemeinschaft hat anders als sonstige rechtsfähige Vereinigungen keinen Sitz. Sie verwaltet eine Liegenschaft. Das nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteilte Grundstück sitzt im übertragenen Sinne nicht, es liegt. Verwaltungsunterlagen befinden sich im Regelfall nicht in der Liegenschaft, sondern beim jeweiligen Verwalter. In seinen Räumen, nicht in der Liegenschaft kann Einsicht in Verwaltungsunterlagen genommen oder die Fertigung von Fotokopien gefordert werden, wenngleich sich der Anspruch gegen die Gemeinschaft richtet. Versammlungen werden grundsätzlich nicht in der Liegenschaft stattfinden, sondern in den Geschäftsräumen des Verwalters oder in von der Gemeinschaft gemieteten Versammlungsräumen. Ausnahmen sind denkbar, etwa in Hotel- und Apartmentanlagen mit geeigneten Sälen.
Die Gemeinschaft muss nicht dafür sorgen, dass ein Versammlungsraum gewählt wird, der allen Eigentümern Platz bietet, wenn in den vergangenen Jahren im Durchschnitt immer nur ein kleiner Teil persönlich erschien. Wohnungseigentümer sind gegenüber der Gemeinschaft rechtlich nicht verpflichtet, im Vorfeld mitzuteilen, ob sie an der Versammlung teilnehmen oder eine Vollmacht ausstellen. Gleichwohl erleichtert es die Planung und Organisation der Versammlung, wenn Eigentümer derartige Informationen auf Anfrage des Verwalters liefern.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Da die Klage vier Tage vor dem 01.12.2020 erhoben wurde, war sie nach alter Gesetzeslage zu behandeln, verklagt waren die übrigen Wohnungseigentümer, nicht die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer.
Die Kausalität formeller Beschlussmängel, d.h. die Frage, ob und inwieweit ein Fehler bei der Vorbereitung oder Durchführung der Versammlung sich auf das Beschlussergebnis ausgewirkt haben muss, behandelt die Gesetzesnovelle nicht. Eine abschließende Klärung durch den BGH steht aus. Das Landgericht Frankfurt/ Main schafft durch seine Sichtweise drei Fehler-Kategorien: Nichtigkeit wegen gezielt böswilligen Eingriffs; Ungültigerklärung ohne Kausalitätsprüfung (so im Fall); Ungültigerklärung mit Kausalitätsprüfung.
Das WEMoG gestattet die Einführung von Hybridversammlungen durch Mehrheitsbeschluss. Ob on top die reine online-Versammlung kommt, ist eine derzeit rechtspolitisch diskutierte Frage. Bereits jetzt absehbar ist, dass die zunehmende Digitalisierung nicht nur alte Zöpfe zur Nichtöffentlichkeit der Versammlung stutzt, sondern außerdem die Diskussion beflügeln wird, weshalb Eigentümerversammlungen nicht auch werktags während der üblichen Arbeitszeiten stattfinden dürfen. Die Gesellschaft befindet sich im Wandel, mobiles und digitales Arbeiten, Wohnen, Freizeit und Privatleben verschmelzen. Fahrtwege und Reisezeiten lassen sich ganz erheblich reduzieren, Umwelt und Nervenkostüme schonen und engagierte Fachkräfte für die Verwaltung von Wohnungseigentum besser einbinden.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de