Mit Urteil vom 30.03.2023 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 132/22 verwarf der BGH die NZB der Anfechtungskläger gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig. Die Beschwer der Kläger betrug nur 18.456,71 €. Dass der Streitwert 57.250 € betrug, war egal, da es für die NZB auf ihn nicht ankommt.
Der Fall
Die Kläger sind Mitglieder der beklagten GdWE. In der Eigentümerversammlung vom 07.08.2021 wurde unter TOP Ziffer 7.1 eine Sonderumlage in Höhe von 45.000 € und unter TOP Ziffer 7.2 eine Verdopplung der jährlichen Zuführung der Instandhaltungsrücklage von 3.500 € auf 7.000 € beschlossen. Die Kläger haben Miteigentumsanteile (MEA) von 3223,88/10.000. An der Sonderumlage waren sie mit 14.507,46 € beteiligt. Die Erhöhung der Rücklage führte für die Kläger zu einer jährlichen Mehrbelastung von 1.128,36 €.
Weitere Einzelheiten für die hier behandelte Frage lassen sich der Entscheidung nicht entnehmen. Mutmaßlich handelt es sich um eine kleine Gemeinschaft mit 3-4 Wohnungen, da die Kläger immerhin 32,23 88 % MEA auf sich vereinen. Denkbar – wenn auch unwahrscheinlich – wäre auch, dass es eine große Gruppe von Klägern ist. Die Einzelanteile werden insoweit addiert. Dem mitgeteilten Sachverhalt nach wurde die Verdopplung der jährlichen Rücklagenzuführung außerhalb des Wirtschaftsplanes beschlossen. Bei lebensnaher Betrachtung wird es im Zeitpunkt der Beschlussfassung in der Versammlung einen gültigen Wirtschaftsplan unter Einbeziehung von Vorschüssen zur Erhaltungsrücklage gegeben haben.
Die Entscheidung
Der BGH verwirft die NZB als unzulässig. Die gesamte Beschwer der Kläger liegt unter 20.000 €. Bei der Streitwertberechnung beträgt das Gesamtinteresse an der Anfechtung des Beschlusses zur Erhöhung der Rücklage 12.250 €, denn der jährliche Erhöhungsbetrag von 3.500 € ist wegen der Dauerwirkung des Beschlusses nach allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen mit dem Faktor 3,5 zu multiplizieren. Dieser Betrag ist maßgeblich, weil das siebeneinhalbfache Einzelinteresse der Kläger (3.949,25 € [1.128,36 € x 3,5] x 7,5 = 29.619,38 €) höher wäre und daher die Streitwertobergrenze des § 49 GKG greift.
Fazit für den Verwalter
Der Verwalter im hier besprochenen Fall hatte die Verdoppelung der jährlichen Rücklagenzuführung offenbar separat beschließen lassen, also außerhalb des Wirtschaftsplanes. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG beschließen die Wohnungseigentümer über die Vorschüsse zur Kostentragung und zu den Rücklagen. Ist der Beschluss bestandskräftig, dürfte die separate Erhöhung der Rücklagenzuführung entweder ein ergänzender Zweitbeschluss sein zum geltenden Wirtschaftsplan oder eine Vorgabe für die Aufstellung künftiger Wirtschaftspläne im kommenden Jahr sowie weitere Jahre. In der ersten Variante steht der Verwalter vor der Frage, ob er bereits in der laufenden Wirtschaftsplanperiode im Zeitpunkt der Beschlussfassung einen überarbeiteten Wirtschaftsplan aufstellt und den Eigentümern zusendet mit entsprechender höherer monatlicher Hausgeldforderung. Denkbar ist das. In der zweiten Variante wird die Beschlusskompetenz ebenfalls zu bejahen sein. Indessen wird der Beschluss keine Sperrwirkung in dem Sinne erzeugen, dass künftige Veränderungen der Höhe der Rücklagenzuführung ausgeschlossen sind. Würde man den Beschlussinhalt in einem solchen Sinne verstehen, wäre die Beschlusskompetenz zu verneinen.
Gesetzlich vorgesehen ist die Erhaltungsrücklage. Darüber hinaus bringt § 28 Abs. 1 Satz 1 WEG klar und eindeutig zum Ausdruck, dass durch Beschluss auch weitere Rücklagen eingeführt werden dürfen, beispielsweise für Prozesskosten oder zur kurzfristigen Überbrückung von Liquiditätsengpässen, etwa aufgrund von Hausgeldausfällen (Liquiditätsrücklage). Obschon das Finanz- und Rechnungswesen innerhalb der Gemeinschaft hierdurch mit Dauerwirkung erweitert und die Zusammensetzung des Gemeinschaftsvermögens weiter aufgefächert wird, ist die Beschlusskompetenz gegeben. Es handelt sich um eine Maßnahme der Verwaltung gemäß §§ 19 Abs. 1, 9a Abs. 3 WEG.
Die Aufstellung eines Wirtschaftsplanes ohne Vorschüsse zur Rücklage weicht von § 28 WEG ab. Fraglich ist, ob der Beschluss über die Genehmigung des Wirtschaftsplanes bzw. der Vorschüsse zur Kostentragung (ohne Rücklage) deshalb rechtswidrig wäre. Zumeist wird das zu verneinen sein, um die Finanzlage der Gemeinschaft nicht zu gefährden. Zu bejahen ist aber wohl ein Anspruch auf eine ergänzende Beschlussfassung zwecks Vervollständigung.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
In manchen Gemeinschaftsordnungen finden sich Regelungen über die Höhe der Rücklagenzuführung. Diese haben keine Bindungswirkung, häufig wird von bloßen formellen Satzungsbestandteilen gesprochen. Demnach ist es nicht zu beanstanden, wenn im jeweiligen Wirtschaftsplan niedrigere oder höhere Zuführungen festgelegt und durch Beschluss konstitutiv begründet werden.
Mit einer Änderung des Kostenverteilungsschlüssels hat der vorliegende Fall nichts zu tun. Der Schlüssel für die Zuführung bleibt unverändert (Miteigentumsanteile). Fraglich ist, ob die Änderung des Schlüssels für die jährliche Zuführung zur Instandhaltungsrücklage von der gesetzlichen Beschlusskompetenz in § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG umfasst ist. Dies dürfte zu bejahen sein. Kosten der Erhaltung (Instandhaltung und Instandsetzung) stellen unzweifelhaft eine Kostenart im Sinne der Vorschrift dar. Wenn dieser Schlüssel geändert werden kann, muss entsprechendes für die Zuführung zur Erhaltungsrücklage gelten. Für weitere Rücklagen gilt dies entsprechend, weil bzw. wenn es sich bei den angesparten Beträgen ebenfalls um Kosten der Verwaltung handelt.
Die Reduzierung der Höhe der Rücklagenzuführung kann ebenfalls ordnungsmäßiger Verwaltung entsprechen, z.B. nach Durchführung einer umfangreichen Sanierungsmaßnahme, der Erhebung einer hohen Sonderumlage oder dem Abschluss eines Darlehensvertrages. Allerdings sollte stets dafür gesorgt werden, dass eine eiserne Reserve im Vermögen der Gemeinschaft verbleibt.
Fazit für die Gemeinschaft
Die Erhöhung der Zuführung führt zu höheren Hausgeldansprüchen der GdWE. Durch die Gestaltung von Beschlussinhalt und Wirtschaftsplänen muss hinreichend bestimmt festgelegt werden, ab wann höhere Beträge geschuldet werden.
Die Abänderung des laufenden Wirtschaftsplanes verursacht einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand für Verwalter (muss neue Wirtschaftspläne erstellen und versenden) und Wohnungseigentümer (müssen unterjährig die Hausgeldzahlungen). Diesen zusätzlichen Aufwand kann man sich ersparen, wenn die Änderung erst für die Erstellung des nächsten Wirtschaftsplanes gelten soll. Das sollte im Beschlussinhalt hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen. Im vorliegenden Fall hatten die Anfechtungskläger es möglicherweise versäumt, die Unbestimmtheit des Beschlussinhalts zu rügen. Das Gericht hatte diesen Umstand daher nicht zu prüfen. Undurchführbar im Sinne von Nichtigkeit war der Beschluss nicht.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
Der streitgegenständliche Beschluss wurde am 07.08.2021 gefasst. Es galt also bereits das neue WEG vom 01.12.2020. Die Schaffung zusätzlicher Rücklagen ist durch das neue Recht ausdrücklich legitimiert worden.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
www.wir-breiholdt.de