Wohnungseigentümer können eine Reduzierung der Stimmkraft eines Bauträgers verlangen, wenn geplante Einheiten einer Gesamtwohnanlage über Jahre nicht fertiggestellt werden. Der Bauträger kann in der Eigentümerversammlung nicht mit Eigentümern von vorhandenen Wohnungen gleichgestellt werden.
Der Fall
Die Beklagte ist Bauträgerin und teilte 1994 ihr Grundstück mittels Teilungserklärung in Wohnungs- und Teileigentum auf. Nach der Teilung sollten vier Häuser in unterschiedlichen Bauabschnitten errichtet werden. Es entstanden jedoch nur zwei Häuser mit 122 Wohneinheiten. Diese befinden sich im gemeinschaftlichen Eigentum von verschiedenen Wohnungseigentümern. In den bisher nicht gebauten Häusern mit weiteren 120 Einheiten ist die Bauträgerin als alleinige Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Zusammen bilden die Parteien eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Verteilung der anfallenden und gemeinsam zu tragenden Kosten und Lasten sowie das Stimmrecht wurden im Verhältnis der Wohnfläche aufgeteilt. Somit steht der Bauträgerin ein Stimmkraftanteil von 48 Prozent zu.
Am 14. Januar 2017 wurde ein Antrag in die Eigentümerversammlung eingebracht, der die Anpassung des Stimmrechtsanteils der Bauträgerin bis zur Fertigstellung der nicht errichteten Wohnungen forderte. Der Antrag wurde abgelehnt. Das zuständige Amtsgericht entschied, dass sich bis zur Fertigstellung der Häuser die Berechnung der Stimmkraft nicht nach der Wohnfläche, sondern nach den Mitteigentumsanteilen richtet. Die Auswirkung der Entscheidung ist mithin die Reduzierung der derzeitigen Stimmkraft der Bauträgerin von 48 Prozent auf 36 Prozent. Im darauf folgenden Berufungsverfahren bestätigte das Landgericht die Entscheidung des Amtsgerichts. Die Bauträgerin verfolgt auch nach diesem Urteil mit der dort zugelassenen Revision ihr Interesse auf Erhaltung des höheren Stimmanteils weiter.
Die Entscheidung
Der Bundesgerichtshof stellte in der rechtlichen Nachprüfung keine Fehler fest und stimmte dem Ergebnis von Amtsgericht und Landgericht zu, und zwar dass die Stimmkraft für sogenannte Geisterwohnungen reduzierbar ist.
Jeder der Wohnungs- oder Teileigentümer hat das Recht zur Abänderung der Regelung zur Stimmkraftverteilung. Durch § 10 Abs. 2 Satz 3 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) begründet sich ein Anspruch gegen die anderen Miteigentümer zum Abschluss einer Vereinbarung, wenn ein Festhalten der geltenden Regelungen aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.
In diesem Fall lassen sich schwerwiegende Gründe darin erkennen, dass in der Teilungserklärung von einer zeitnahen Fertigstellung aller Wohnungen ausgegangen wird, diese aber über viele Jahre hinweg nicht gebaut wurden. Hinzu kommt, dass der Bauträgerin aufgrund der Stimmrechtsregelung fast die Hälfte aller Stimmen zufällt, obwohl sie keine einzige errichtete Wohnung besitzt und von der Verwaltung des Gemeinschaftseigentums somit kaum betroffen ist. Da die Häuser in verschiedenen Bauabschnitten errichtet werden sollten, ist dieser Zustand grundsätzlich für eine angemessene Zeit von den Beteiligten hinzunehmen. Bei einer Dauer von 20 Jahren ist jedoch eine Angemessenheit nicht mehr gegeben. Der hohe Stimmanteil verschafft der Bauträgerin eine absolute Stimmmehrheit, da es in der Praxis als unwahrscheinlich gilt, dass die Anwesenheit aller Wohnungseigentümer bei einer so großen Gemeinschaft gewährleistet ist. In Punkten wie der Beschlussfassung über die Verwalterbestellung, dem Wirtschaftsplan und der Jahresabrechnung sind die restlichen Wohnungseigentümer somit von der Bauträgerin faktisch fremdbestimmt, selbst dann, wenn dies von der Bauträgerin nicht missbräuchlich eingesetzt wird. Da eine zeitnahe Errichtung der fehlenden Sondereigentumseinheiten im vorliegenden Fall auch 20 Jahre nach dem Bau der Wohnungseigentümergemeinschaft weiterhin nicht absehbar ist, sah das Amtsgericht eine Änderung der Regelung der Stimmverteilung als angebracht an. Entscheidend ist, dass die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums den Wohnungseigentümern insgesamt zusammen zusteht, hier jedoch tatsächlich durch eine Miteigentümerin nämlich der Bauträgerin ausgeübt wird, die keine tatsächlich vorhandenen Wohnungen besitzt.
Der Bundesgerichtshof geht davon aus, dass das Stimmrecht von Wohnungseigentümern grundsätzlich zu den Kernbereichen elementarer Mitgliedschaftsrechte zu zählen ist. Im vorliegenden Einzelfall und unter Berücksichtigung der Umstände wird nur ausnahmsweise und lediglich unter stark begrenzten Voraussetzungen die Stimmkraft des Eigentümers von sogenannten Geisterwohnungen vorübergehend und maßvoll eingeschränkt, zumal die Bauträgerin dies durch Herstellung der Gebäude unmittelbar ändern und die ursprüngliche Stimmverteilung (48 Prozent) herstellen kann.
Bundesgerichtshof, Urteil vom 18. Januar 2019, V ZR 72/18
Vorinstanzen:
Amtsgericht Leipzig, Entscheidung vom 10. August 2017, 150 C 890/17
Landgericht Dresden, Entscheidung vom 22. Februar 2018, 3 S 409/17