WEG-Recht

Grenzen des Ansichziehens: Individuelle Abwehrrechte gegen Geruchsbelästigungen der eigenen Wohnung können dem Sondereigentümer nicht weggenommen werden

Bereits die Heiligen Drei Könige brachten der biblischen Überlieferung zufolge neben Myrrhe und Gold als dritte Kostbarkeit Weihrauch zur Krippe nach Bethlehem. Als Räucherwerk sollte Weihrauch im damaligen Glauben den Duft des Himmels verströmen. Heute, 2.000 Jahre später, entzündete sich in einer Wohnungseigentumsanlage in München Streit um den speziellen und intensiven Geruch des Weihrauchharzes, der sich im Haus verbreitete.

Eine Eigentümerin, deren Wohnung direkt über der Störungsquelle liegt, hatte die Nase gestrichen voll und klagte auf Unterlassung, obwohl die Eigentümerversammlung die Geltendmachung von Abwehransprüchen per Mehrheitsbeschluss an sich gezogen hatte. Landgericht und Oberlandesgericht hielten ihre Klage daher für unzulässig, vor dem Bundesgerichtshof (BGH) bekam die Klägerin teilweise Recht.

Mit Urteil vom 24. Januar 2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 295/16 entschied der Bundesgerichtshof (BGH), dass die Gemeinschaft Unterlassungsansprüche, die dem einzelnen Sondereigentümer zur Abwehr von Störungen im räumlichen Bereich seiner Wohnung zustehen, auch dann nicht durch Beschluss „an sich ziehen″ kann, wenn zugleich das gemeinschaftliche Eigentum von den Störungen betroffen ist. Ein anderslautender Beschluss sei (teilweise) mangels Beschlusskompetenz nichtig. Im dortigen Fall führte dies dazu, dass die klagende Wohnungseigentümerin die Unterlassung von „in ihre eigenen vier Wände″ eindringenden Geruchs- und Lärmimmissionen selbst einklagen durfte, die Unterlassung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung der Wohnung unter ihr (Vermietung an Medizintouristen) dagegen nicht.

Der Fall

Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung in München-Bogenhausen. Die Wohnung liegt direkt über der von dem Beklagten gemieteten Wohnung. Er hat diese seinerseits an regelmäßig wechselnde sogenannte „Medizin- und Krankenhaustouristen″ weitervermietet, die sich in einem nahegelegenen Klinikum einer ärztlichen Behandlung unterziehen, ganz überwiegend aus dem arabischen Raum anreisen und sich von ihren Familien nach München begleiten lassen. Von den Untermietern sollen Lärm- und Geruchsbelästigungen ausgehen, insbesondere durch die Verbreitung ätherischer Öle und Weihrauch über Raumluftanlagen sowie das lange und laute Laufenlassen von Fernsehern und Lüftungen.

Auf verschiedenen Eigentümerversammlungen war beschlossen worden, dass die Wohnungseigentümergemeinschaft in Prozessstandschaft mögliche Unterlassungsansprüche wegen der Geruchs- und Geräuschemissionen sowie der möglicherweise zweckbestimmungswidrigen Nutzung der Wohnung als Pensionsbetrieb gegen den beklagten Mieter oder (Unter-)Vermieter geltend macht. Die Klage der Gemeinschaft ist rechtshängig. Zudem wurde bei der Stadt München ein Verfahren nach der Zweckentfremdungsverordnung in Gang gebracht. Die klagende Wohnungseigentümerin, die durch die Lage ihrer Wohnung besonders betroffen war, ging zusätzlich aus eigenem Recht gegen die Störungen vor.

Landgericht und Oberlandesgericht München sahen in den Ansichziehen-Beschlüssen eine Sperre für die individuelle Rechtsverfolgung und wiesen die Klage ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde drang die Klägerin teilweise durch.

Die Entscheidung

Bezüglich der Klage auf Unterlassung der zweckbestimmungswidrigen Nutzung bestätigte der BGH die Vorinstanzen. Da es insoweit um die Zweckbestimmung laut Gemeinschaftsordnung gehe, besäße der Beschluss über die gemeinschaftliche Rechtsverfolgung (Ansichziehen) eine Sperrwirkung. Der Beschluss begründe insoweit die alleinige Zuständigkeit der Gemeinschaft für die gerichtliche Geltendmachung, und zwar auch gegenüber einem Mieter.

Anders verhalte es sich hinsichtlich der Ansprüche auf Unterlassung von Lärm- und Geruchsbelästigungen gegen Störungen, die den Gebrauch des eigenen Sondereigentums unmittelbar beeinträchtigen. Hier müsse der einzelne Sondereigentümer sich selbst zur Wehr setzen können. Es gehöre zu den unentziehbaren Rechten des Sondereigentümers, solche unmittelbaren Störungen abwehren zu können, und zwar unabhängig davon, ob und inwieweit sich die Störungsquelle auch auf andere Bereiche des Hauses, also auf andere Sondereigentumseinheiten oder das gemeinschaftliche Eigentum, auswirke. Soweit der Beschluss über die Vergemeinschaftung der Rechtsverfolgung (Ansichziehen) also nach objektiver Auslegung auch die Ansprüche der Klägerin aus ihrem Sondereigentum umfasse beziehungsweise sperre, sei er mangels Beschlusskompetenz nichtig. Da der Klägerin somit eine eigene Prozessführungsbefugnis zustehe, verwies der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurück an das Berufungsgericht.

Fazit für den Verwalter

Unterlassungs- und sonstige Störungsabwehransprüche wurzeln sowohl im Sondereigentum jedes einzelnen Eigentümers als auch im gemeinschaftlichen Eigentum. Sondereigentum ist Alleineigentum, so dass die Rechtsverfolgungskompetenz allein dem Sondereigentümer zusteht, wenn und soweit es um unmittelbare Beeinträchtigungen seiner Einheit geht. Die Gemeinschaft kann in die Verwaltungshoheit des Sondereigentümers insoweit nicht hinein regieren. Gegenteilige Beschlüsse sind mangels Beschlusskompetenz nichtig.

Zulässig ist es, dass der Sondereigentümer die Gemeinschaft zur gemeinschaftlichen Rechtsverfolgung ermächtigt. Das Prozesskostenrisiko liegt dann bei der Gemeinschaft. Andererseits kann der einzelne Wohnungseigentümer – anders als im eigenen Prozess mit eigenem Rechtsanwalt – keinen direkten Einfluss auf die Prozessführung nehmen.

Der vorliegende Fall betraf keine WEG-Sache, da gegen einen Dritten (Mieter/ Untervermieter) geklagt wurde. Auch dies ist zulässig und mitunter erfolgsversprechend, da Mieter laut BGH nicht mehr Rechte haben, als sie dem vermietenden Sondereigentümer nach der Gemeinschaftsordnung und dem Wohnungseigentumsrecht zustehen.

Bedeutung kann die vorliegende Differenzierung auch in Trittschallfällen haben, wenn sowohl Teile des gemeinschaftlichen Eigentums (zum Beispiel eine mangelhaft ausgeführte Geschossdecke) als auch fremdes Sondereigentum (zum Beispiel Eingriffe in den oberen Fußbodennutzbelag) ursächlich für die Störungen sind. Diesbezüglich wird in Kürze der BGH (Verkündungstermin am 26. Juni 2020 – V ZR 173/19) einen Fall aus Mönchengladbach entscheiden, über den wir in einem späteren Newsletter berichten werden.