Das Landgericht München I hat dem Bundesgerichtshof (BGH) die Frage vorgelegt, ob eine verpasste Mehrheit, die laut Teilungserklärung zur Änderung von Gemeinschaftsrecht erforderlich ist (sog. vereinbarte Öffnungsklausel), den Beschluss mangels Beschlusskompetenz nichtig macht oder nur rechtswidrig. Leider hat der BGH diese Frage nicht beantworten müssen, dafür aber einige andere praxisrelevante Aussagen getroffen.
Der Fall:
In der Einladung zur Eigentümerversammlung vom 22.05.2012 kündigte der Verwalter zu TOP 4 Beschluss über Einzel- und Gesamtabrechnung 2011" und zu TOP 6 Beschluss über Einzel- und Gesamtwirtschaftsplan 2012" an. In der Versammlung wurde dann ohne Ankündigung in der Tagesordnung unter der Bezeichnung TOP 4 Antrag 2" noch ein weiterer Beschluss gefasst, mit dem der in der Teilungserklärung / Gemeinschaftsordnung (TE/GO) vorgesehene Kostenverteilungsschlüssel ab dem Geschäftsjahr 2012 also rückwirkend bereits für das laufende Jahr geändert wurde. Gegen die zu TOP 4 und TOP 6 gefassten Beschlüsse" erhob der Kläger Anfechtungsklage. In der TE/GO ist vereinbart, dass eine Änderung der TE/GO durch Beschluss um wirksam zu werden der Zustimmung von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer" bedarf. Das Amtsgericht hat die zu TOP 6 gefassten Beschlüsse für ungültig erklärt, die Klage im Übrigen aber abgewiesen. Gegen die Klagabweisung bezüglich TOP 4 Antrag 2 legte der Kläger Berufung ein, da er der Ansicht ist, auch diesen Beschluss fristgerecht angefochten zu haben. Das Landgericht sah dies anders und ließ wegen die Revision zu bezüglich der Frage, ob das Nichterreichen eines Quorums im Rahmen einer in der TE/GO vereinbarten Öffnungsklausel zur Nichtigkeit eines Mehrheitsbeschlusses oder lediglich zu dessen Anfechtbarkeit führt. Das Urteil des Landgerichts München I vom 13.01.2014 1 S 1817/13 WEG ist u. a. veröffentlicht in der ZMR 2014, Seite 480 ff.
Die Entscheidung:
Der BGH ändert das Urteil des Landgerichts München I dahingehend ab, dass der Anfechtungsklage auch hinsichtlich TOP 4 Antrag 2 stattgegeben wird. Der BGH erklärt den gefassten Beschluss für ungültig.
Zum einen teilt der BGH die Ansicht der Vorgerichte nicht, dass der Kläger hinsichtlich TOP 4 Antrag 2 die Anfechtungsfrist verpasst habe. Im Sinne einer wohlwollenden Auslegung des mitgeteilten Anfechtungsbegehrens habe den Vorgerichten klar werden müssen, dass der Kläger sich auch gegen den nicht angekündigten TOP 4 Antrag 2 wende. Er hatte in der Klage ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er an der Eigentümerversammlung nicht teilgenommen habe und ihm das Protokoll noch nicht bekannt sei. In der Sache selbst sei der Beschluss mangelhaft, wobei der BGH offen lässt, ob das Verfehlen des erforderlichen qualifizierten Quorums Nichtigkeitsgrund oder nur Rechtswidrigkeitsgrund ist. In der Versammlung war die Mehrheit von 4/5 aller vorhandenen Stimmen der Wohnungseigentümer nicht erreicht worden. Im Beschluss heißt es, dass das Hausgeld / Nutzungsentgelt für Betriebs- und Instandsetzungskosten geändert werden soll. Der BGH weist darauf hin, dass allenfalls hinsichtlich der Betriebskosten eine gesetzliche Beschlusskompetenz aus § 16 Abs. 3 WEG bestehen könne, nicht aber hinsichtlich der Instandsetzungskosten. Denn diese fielen nicht unter § 16 Abs. 3 WEG und auch eine Änderung im Einzelfall nach § 16 Abs. 4 WEG sei hier nicht beschlossen worden, sondern vielmehr eine generelle Änderung des Schlüssels für die Zukunft. Hinzukommt, dass der Eigentümerbeschluss auch nicht gemäß § 139 BGB beschränkt auf die Betriebskosten aufrechterhalten bleiben könne, also nur eine Teilnichtigkeit oder Teilungültigerklärung gestattet sein könne. Denn nach dem hypothetischen Parteiwillen der Eigentümer könne schon deshalb nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass der Beschluss auch als Teilregelung in Bezug auf die Betriebskosten beschlossen worden wäre, weil dies zur Folge gehabt hätte, dass Betriebs- und Instandsetzungskosten nach unterschiedlichen Verteilungsschlüsseln abzurechnen wären.
Fazit für den Verwalter:
Vom Verwalter war es riskant, zu TOP 4 Antrag 2 einen Beschluss über die Änderung des Kostenverteilungsschlüssels fassen zu lassen, obwohl dieser in der Einladung / Tagesordnung gar nicht angekündigt war (vgl. § 23 Abs. 2 WEG). Möglicherweise hat der Kläger diesen formellen Beschlussmangel (Einladungsfehler) nicht innerhalb der zweimonatigen Klagebegründungsfrist vorgetragen, so dass sich die Instanzen nicht damit befassen mussten.
Gefährlich war es ferner, eine rückwirkende Änderung des Kostenverteilungsschlüssels für das bereits laufende Abrechnungsjahr 2012 zu beschließen. Grundsätzlich gilt Vertrauensschutz mit der Folge, dass eine rückwirkende Änderung anfechtbar ist. Jeder Eigentümer soll sich darauf verlassen können, dass der am 01.01. des Jahres geltende Schlüssel unverändert fortgilt bis zum 31.12. des Jahres.
Ist wie hier in der TE/GO eine Öffnungsklausel vereinbart, ist immer zu bedenken und zu prüfen, ob nach einer gesetzlichen Öffnungsklausel (z.B. § 16 Abs. 3 WEG) eine rechtmäßige Beschlussfassung unter leichteren Voraussetzungen möglich ist als nach TE/GO. Eine solche leichtere Möglichkeit hat nämlich Vorfahrt vor einem strengeren Quorum der TE/GO. Hätte hier beispielsweise nur der Kostenverteilungsschlüssel für Betriebskosten geändert werden sollen, hätte laut § 16 Abs. 3 WEG die einfache Stimmenmehrheit genügt, obwohl nach der vereinbarten Öffnungsklausel 4/5 aller vorhandenen Stimmen erforderlich gewesen wären. Dies ergib sich ausdrücklich aus § 16 Abs. 5 WEG. Diese Vorschrift muss jedem Profi-Verwalter bekannt sein und von ihm beachtet werden!
Einen Überblick und viele Details in Bezug auf Mehrheitserfordernisse bei der Beschlussfassung finden Sie in einem Beitrag des Verfassers in der aktuellen DDIVaktuell, Heft 2/2015, Seite 3 ff.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft Hamburg
www.wir-breiholdt.de