Ist ein Wohnungseigentümer an mehreren Sondereigentumseinheiten als Miteigentümer beteiligt und/oder gehört ihm eine weitere Einheit allein, war unter der Geltung des Kopfstimmrechtsprinzips lange streitig, ob ihm nur eine oder mehrere Stimmen zustehen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte diese Frage im Jahr 2017 offengelassen. Jetzt billigt er dem Mehrfacheigentümer mehr als nur eine Stimme zu, und zwar auch dann, wenn er Mehrheitseigentümer ist oder wird.
Mit Urteil vom 20.11.2020 zum gerichtlichen Aktenzeichen V ZR 62/20 hat der BGH eine in der Praxis immer wieder auftretende Rechtsfrage geklärt, die nicht nur Eheleuten, denen einzeln und gemeinschaftlich mehrere Wohnungen gehören, interessieren dürfte. Speziell für die Versammlungsleitung ist die Entscheidung von großer Bedeutung.
Der Fall
Die Parteien des Anfechtungsprozesses sind die Mitglieder einer Dreier-Gemeinschaft. Von den 3 Wohnungen im Haus gehört eine den Klägern gemeinschaftlich, die zweite Wohnung beiden Beklagten je zur Hälfte (wahrscheinlich Ehegatten) und die dritte Wohnung der Beklagten zu 1.) allein (wahrscheinlich die Ehefrau). Nach der Teilungserklärung (Gemeinschaftsordnung) richtet sich das Stimmrecht nach dem Wohnungseigentumsgesetz. Es ist weder ein Verwalter noch ein Verwaltungsbeirat bestellt. Mit Schreiben vom 3.12.2018 luden die Beklagten die Kläger zu einer Eigentümerversammlung ein. Beschlussgegenstand war die Bestellung eines Verwalters. Mit der Einladung wurden 3 Angebote übersandt. An der Versammlung nahmen nur die Beklagten teil. Sie bestellten durch Mehrheitsbeschluss einen der drei Bewerber zum Verwalter und legitimierten ferner den Abschluss eines Verwaltervertrages für die Dauer der Bestellung.
Mit der Anfechtungsklage möchten die Kläger erreichen, dass die Beschlüsse für ungültig erklärt werden. Die Kläger meinen, die Beklagten hätten nicht eigenmächtig zu der Versammlung einladen dürfen. Zudem hätten diese zusammen auch nur eine Stimme, so dass die erforderliche Stimmenmehrheit nicht erreicht gewesen sei. Die Kläger selbst nahmen an der Versammlung nicht teil und gaben keine Stimme ab.
Das Amtsgericht Bensheim wies die Klage ab. Die Berufung der Kläger beim Landgericht Frankfurt/Main scheiterte. Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, da die streitentscheidende Stimmrechtsfrage höchstrichterlich noch nicht entschieden gewesen sei.
Die Entscheidung
Der BGH weist die Revision zurück. Die Anfechtungsklage ist unbegründet. Zwar habe ein Einberufungsmangel vorgelegen, da die Beklagten nicht befugt gewesen seien, ohne die Einwilligung der Kläger zu einer Eigentümerversammlung einzuladen. Dieser formelle Beschlussmangel habe sich aber nicht auf das Beschlussergebnis ausgewirkt. Denn die angefochtene Beschlussfassung habe die erforderliche Mehrheit unabhängig davon gefunden, ob den Beklagten – wie die Kläger meinen – lediglich eine oder – wie die Beklagten und die Vorinstanzen annahmen – zwei Stimmen zustünden. Denn infolge des Nichterscheinens und der Nichtabstimmung der Kläger sei das Abstimmungsergebnis 1:0 oder 2:0 für den Beschlussantrag gewesen.
Obgleich der Fall damit an sich entschieden war, äußerte sich der BGH im Folgenden auch zu der Stimmrechtsfrage. Der amtliche Leitsatz ist aussagekräftig und lautet wie folgt:
Wenn mehrere Wohnungen nur teilweise identischen Miteigentümern gehören oder wenn der Miteigentümer einer Wohnung zugleich Alleineigentümer einer anderen Wohnung ist, haben die Eigentümer jeder Wohnung bei Geltung des Kopfstimmenprinzips je eine Stimme. Das Kopfstimmrecht eines Wohnungseigentümers entfällt nicht, wenn er Miteigentümer einer anderen Wohnung wird oder bleibt. Das gilt auch, wenn er Mehrheitseigentümer anderer Wohnungen ist oder wird. § 25 Abs. 2 S. 1 WEG zwinge zu einer rein formalen Betrachtungsweise. Ob und in welchem Maße ein Eigentümer, der an mehr als einer Sondereigentumseinheit beteiligt ist (Mehrfacheigentümer), bei Veräußerung oder Übertragung auf einen neuen oder einen zusätzlichen Rechtsträger auf die Stimmenmacht einwirken könne, spiele für das Stimmrechtsprinzip keine Rolle. Insbesondere nehme die Vorschrift keinen Anstoß daran, dass ein Mehrfacheigentümer auf diesem Wege seine Stimmrechte vermehre. Dies sei ggf. unter dem Gesichtspunkt des Stimmrechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) im Einzelfall zu prüfen, nicht aber bei der vorgelagerten allgemeinen Frage des Stimmrechtsprinzips.
Fazit für den Verwalter
Bei der Beschlussfassung muss der Verwalter abgegebene Stimmen korrekt auszählen. Dazu gehört die korrekte Anwendung des Stimmrechts. Nach dem Gesetz gilt das Kopfprinzip („One man, one vote“). Abweichende Stimmrechtsvereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung sind aber zulässig. Verbreitet sind das Wertprinzip (Stimmrecht nach dem Verhältnis der Größe der Miteigentumsanteile) und das Objektprinzip (Stimmrecht gemäß Anzahl der Einheiten). Wert- und Objektprinzip ermöglichen im Gegensatz zum Kopfprinzip eine Majorisierung der Minderheit durch einen Mehrfach- oder Mehrheitseigentümer. Dies ist hinzunehmen. Erst wenn im Einzelfall die Grenze zu einem Stimmrechtsmissbrauch (§ 242 BGB) überschritten wird, sind derartige Stimmen nicht mitzuzählen. Darüber hinaus müssen Stimmrechtsverbote (§ 25 Abs. 5 WEG alte Fassung bzw. § 25 Abs. 4 WEG neue Fassung seit 1.12.2020) bei der Abstimmung berücksichtigt werden.
Der BGH verhilft unter der Geltung des Kopfprinzips mithin jedem Eigentümer zu einer Stimmberechtigung, und zwar auch dann. Selbst wenn der Bruchteil eines Miteigentümers am Sondereigentum kleiner ist als der des bzw. der anderen Miteigentümer/s, verdrängt/en Letztere/r ihn nicht. Freilich muss die Stimme der Miteigentümer einheitlich abgegeben werden, um mitgezählt werden zu dürfen (§ 25 Abs. 2 S. 2 WEG).
Zu einer Stimmrechtsvermehrung kommt es unter der Geltung des Kopfprinzips auch dann, wenn ein Wohnungseigentümer das Alleineigentum an einer seiner Einheiten auf eine von ihm beherrschte juristische Person überträgt (siehe dazu BGH 14.7.2017 – V ZR 290/16, » Beitrag vom 1.9.2017).
Ist in der Gemeinschaftsordnung – wie hier – vereinbart, dass sich das Stimmrecht nach dem Wohnungseigentumsgesetz richtet, ist das Kopfprinzip gemeint, wie es nach Alter wie nach neuer Gesetzeslage in § 25 Abs. 2 S. 1 WEG vereinbart ist. Das WEMoG hat daran nichts geändert.
Ab und zu liest man in Gemeinschaftsordnungen, dass sich das Stimmrecht nach dem Wohnungseigentumsgesetz richte, sodass jede Einheit eine Stimme verleihe. Das ist eine auf den ersten Blick widersprüchliche Regelung, die Kopf- und Objektprinzip vermengt, bei objektiver Betrachtung im Ergebnis aber zum Objektprinzip führen dürfte.
Fazit für Wohnungseigentümer oder Verwaltungsbeiräte
Interessant sind die Ausführungen des BGH zur Einberufung der Versammlung. Fehlt ein Verwalter oder weigert er sich pflichtwidrig, die Versammlung einzuberufen, so kann diese auch durch den Vorsitzenden des Verwaltungsbeirats, dessen Vertreter oder einen durch Beschluss ermächtigten Wohnungseigentümer einberufen werden (§ 24 Abs. 3 WEG). Im vorliegenden Fall war dieser verbaut, da weder ein Verwalter noch ein Beirat bestellt war. Zulässig ist eine einvernehmliche Einberufung, die im Vorfeld beispielsweise per E-Mail organisiert werden könnte. Selten, aber wirksam, sind Vereinbarungen in der Gemeinschaftsordnung, die beim Fehlen eines Verwalters jeden Eigentümer dazu ermächtigen, die Versammlung einzuberufen und zu leiten. Hier sollte im Vorfeld – am bequemsten ebenfalls über E-Mail – dieses Vorhaben angekündigt und den Miteigentümern Gelegenheit gegeben werden, eigene Tagesordnungspunkte zu benennen.
Bruchteilsgemeinschaften und Erbengemeinschaften sind nicht rechtsfähig. Durch geschickte Gestaltung der Eigentumsverhältnisse lassen sich unter der Geltung des Kopfprinzips Stimmrechte vermehren.
Dr. Jan-Hendrik Schmidt
W·I·R Breiholdt Nierhaus Schmidt
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte PartG mbB Hamburg
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