21.04.2015 Ausgabe: 3/2015

Dämmen? Nein danke?!

Warum deutsche Hauseigentümer ungern energetisch sanieren. Zusammenfassung einer Studie zu den wesentlichen Gründen für den schleppenden Fortschritt energetischer Sanierungen.

Deutschland wird häufig als Vorreiter einer Politik zur energetischen Sanierung von Gebäuden gesehen. Allerdings liegen die jährliche Erneuerungsrate und der durchschnittliche Grad der thermischen Sanierungen hierzulande beträchtlich niedriger als erwartet. Einer der Gründe: Die politisch geforderte „ökonomische Machbarkeit“ von Sanierungsmaßnahmen berücksichtigt nicht den tatsächlichen Zustand der Gebäude und überschätzt vielfach die möglichen Einsparungen. Für eine erfolgreiche Sanierungspolitik bedarf es deshalb nuancierter Sanierungsschritte, die zur spezifischen Gebäudesituation und zu den Bewohnern passen.

Irreführende Berechnungen als Grundlage

Ein Großteil des Scheiterns bei der Erreichung der politischen Sanierungsziele lässt sich aus den Besonderheiten der nationalen Politik erklären und weniger aus Fehlern der Hauseigentümer. Der tatsächliche Fortschritt bei der Reduktion des Energieverbrauchs und des CO2-Ausstoßes durch energetische Sanierung, Kesseltausch und den Ersatz alter Gebäude durch neue verläuft erheblich langsamer als von der Regierung angestrebt. Setzt sich diese Entwicklung fort, werden in Deutschland die Einsparungen im Gebäudebereich im Jahr 2050 (im Vergleich zum Basisjahr 2008) allenfalls bei 25 Prozent liegen. Politisch gewollt ist jedoch eine Absenkung um 80 Prozent. Für diese Entwicklung lässt sich ein ganzes Bündel von Gründen anführen. So liegt das Einsparpotenzial meist deutlich niedriger als in der Energieeinsparverordnung (EnEV) theoretisch errechnet (Prebound-Effekt), die Kosten der energetischen Sanierung sind nicht selten mit zusätzlichen Sanierungskosten verbunden, Amortisationszeiten von 25 oder mehr Jahren sind für viele Hausbesitzer aus vielerlei Gründen nicht attraktiv, und Formen und Strukturen zahlreicher älterer Gebäude verlangen nach teuren individuellen Lösungen. Zudem können niedrige Heizkosten energieeffizienter Gebäude zu laxem oder aus anderen Gründen weniger sparsamem Nutzerverhalten mit entsprechend höheren Verbräuchen (Rebound-Effekt) führen.

Gesetzte Standards sind auf Altbauten nicht anwendbar.
Letztlich hat die deutsche Politik mit der EnEV eine Energieeinsparrichtlinie geschaffen, die nicht zu Hauseigentümern passt, die ihr Gebäude einfach nur sanieren wollen, um Energie zu sparen. Wer hingegen einen Neubau errichtet, kann ein energieeffizientes Haus zu durchaus akzeptablen Preisen bauen. Auf ältere Gebäude lässt sich dieser Ansatz jedoch nicht einfach übertragen. Bauweise und Zustand solcher Häuser zwingen letztlich dazu, die Sache pragmatisch und weniger idealistisch anzugehen. Ziel muss es sein, flexibel auf unterschiedlichste Gegebenheiten reagieren zu können, anstatt zu diktieren, was erreicht werden kann und muss. Denn das existierende politische Regelwerk betrifft nicht allein Umweltfragen, es hat auch tiefgreifende Auswirkungen auf die soziale Gerechtigkeit. Politisch festgelegte thermische Standards führen nicht selten dazu, dass Hauseigentümer und Mieter erhebliche finanzielle Mittel aufbringen müssen. Und längst nicht alle Betroffenen können sich das leisten.

Allgemein anerkanntes Ziel ist es, die Zahl der energetischen Sanierungen im Gebäudebestand steigen zu lassen und wärmere, gesündere und komfortablere Wohnungen zu schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die deutsche energetische Sanierungspolitik modifiziert werden. Aktuell ist es eher so, dass die Striktheit der EnEV-Vorschriften dazu führt, dass viele Hauseigentümer energetischen Sanierungsmaßnahmen ablehnend gegenüberstehen. Die Frage ist auch, ob das 80-Prozent-Ziel für den Wohngebäudebereich angemessen ist, oder ob Wohnen als ein menschliches Grundbedürfnis höher bewertet werden muss als beispielsweise der motorisierte Individualverkehr oder der Luftverkehr.

Weniger wäre manchmal mehr.

Es gibt energetische Optimierungsmaßnahmen für Bestandsgebäude, die den Wohnkomfort erhöhen und den Energieverbrauch senken können und dabei bezahlbar und daher für Besitzer und Mieter wirtschaftlich umzusetzen sind. So lässt sich beispielsweise ein ungedämmtes Dach in vielen Fällen mit einer 12-Zentimeter-Glaswolldämmung relativ einfach und kostengünstig nachträglich effektiv dämmen. Wird hingegen die politisch als „optimal“ angesehene Dämmschicht von 22 Zentimeter eingebracht, muss das Dach erneuert werden und die Kosten steigen auf ein Vielfaches. Die damit erzielbare Verbesserung der Dämmung gegenüber der einfachen und kostengünstigen Lösung ist jedoch eher gering. Die Maximalstandards werden mit der günstigen Variante zwar nicht zu 100 Prozent erfüllt, dennoch werden klare Verbesserungen erzielt. Ähnliches gilt für die Dicke von Dämmschichten an Wänden bzw. Kellerdecken oder Isolationsstreifen um Fensterrahmen, um undichte Stellen zu verhindern oder zu verringern. Derart einfache Lösungen aktivieren auch weniger einkommensstarke Besitzer und Bewohner von Bestandsgebäuden, deren Geometrie, Bauweise, Baustoffe oder Ausrichtung die Befolgung von EnEV-Standards nicht selten unerschwinglich teuer macht.

Zu viele zu strikte Vorschriften

Die Behauptung, energetische Sanierungen nach EnEV-Standards seien wirtschaftlich gangbar, ist in vielen Fällen fadenscheinig. Für die physikalischen Gegebenheiten einer Mehrheit von Bestandsgebäuden sind die Vorschriften zu strikt und zu unflexibel. Sie sollten überarbeitet werden und Standards setzen, die auch mit kleinerem Geldbeutel umzusetzen sind. Zudem sollten sie flexibel gestaltet werden für Fälle, in denen eine vollständige Dämmung der Gebäudehülle weder bezahlbar noch notwendig ist.

Letztlich werden viele Hauseigentümer durch die EnEV abgeschreckt, nach deren Standards und strikten Vorschriften zu sanieren. Schrittweises Vorgehen unter Berücksichtigung des Gebäudezustands, der Wärmebedürfnisse und nicht zuletzt der finanziellen Situation der Bewohner wird so verhindert. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen, müssen die ökonomischen Widersprüche innerhalb der EnEV revidiert werden. Die Vorschriften müssen flexibler werden, um Lösungen zu finden, die zum tatsächlichen Gebäudezustand und zum Besitzer passen. Und Politiker müssen ihre Förderrhetorik aufgeben, derzufolge Sanierungen nach EnEV immer wirtschaftlich gangbar sind. Förderung ist wichtig, und es gibt schon heute zahlreiche funktionierende Elemente. Aber Forderungen und Förderungen müssen zu Sanierungsmaßnahmen motivieren, die zu Gebäuden, Besitzern und Bewohnern passen.

Lesetipp:

Dieser Artikel fasst die Thesen eines Aufsatzes zusammen, der in englischer Sprache unter www.tandfonline.com veröffentlicht wurde. Die vollständige Version in deutscher Übersetzung, in der die Ausführungen mit detaillierten Beispielen und Berechnungen hinterlegt sind, ist hier abrufbar:
www.tandfonline.com/doi/suppl/10.1080/09613218.2014.882738#tabModule

Foto: © Nataly Karol / Shutterstock.com


Galvin, Dr. Ray

Der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Institute for Future Energy Consumer Needs and Behavior (Prof. Dr. Reinhard Madlener) des E.ON Energy Research Centers der RWTH Aachen untersucht u. a. die Auswirkungen menschlicher Einflüsse auf den Energieverbrauch in Gebäuden und im Bereich Verkehr.