16.09.2025 Ausgabe: 6/2025

Die Erhaltungsrücklage

Wie man sie strategisch plant.

Verwaltungen tragen viel Verantwortung: für den Werterhalt der Immobilie, für die langfristige Handlungsfähigkeit der Eigentümergemeinschaft und für einen soliden wirtschaftlichen Rahmen, auf dem gemeinschaftliche Entscheidungen aufbauen können. Die Erhaltungsrücklage ist dabei unser zentrales Instrument. Aktuelle Herausforderungen wie Inflation, Preissteigerungen, ambitionierte Klimaziele und der wachsende Sanierungsstau zwingen dazu, den Umgang mit der Rücklage neu zu denken.

Zwischen Anspruch und Realität

Viele Eigentümergemeinschaften haben eines gemeinsam: Die Rücklage reicht nicht aus, um notwendige Maßnahmen umzusetzen. Das blockiert nicht nur konkrete Sanierungsvorhaben, sondern erschwert schon die Beschlussfassung selbst: Ohne Rücklage keine Mehrheit. Ohne Mehrheit keine Maßnahme.

Zahlen aus der Praxis bestätigen das. Die durchschnittliche Sanierungsrate liegt in Deutschland deutlich unter einem Prozent des Gebäudewertes pro Jahr – damit sind weder Werterhalt noch Klimaziele erreichbar. Hinzu kommt ein oft übersehener Aspekt: die demografische Entwicklung. Viele Eigentümerinnen und Eigentümer sind älter. Ihr Planungshorizont ist kürzer, ihre Motivation für langfristige Investitionen begrenzt. Auch die im Ruhestand geringeren Einkommen mindern die Bereitschaft zur Rücklagenbildung. Das führt zu Zurückhaltung beim Sanieren. Verschobene Maßnahmen aber sind meist teurer.

Theorie hilft wenig, wenn sie niemand versteht.

Die Gemeinschaft ist gemäß § 19 Abs. 2 Zif. 4 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) zur Ansammlung einer angemessenen Rücklage verpflichtet. Aber was ist eigentlich angemessen? Als Grundlage zur Berechnung der erforderlichen Rücklage werden häufig Modelle wie die Peterssche Formel oder die Vorgaben aus § 28 Abs. 2 II. Berechnungsverordnung (BV) zitiert. Doch die Erfahrung zeigt: Diese Ansätze sind zu theoretisch. Sie helfen weder uns Verwaltern noch den Eigentümern bei der praktischen Entscheidungsfindung.

Praxistipp

Ermitteln Sie die nötige Rücklage individuell auf Basis der tatsächlichen Gegebenheiten im Objekt. Denken Sie in Bauteilen und Lebenszyklen. Z. B.: Wie lange hält ein Dach? Wann wurde es zuletzt erneuert? Wie lang ist die Restnutzungsdauer? Was kostet ein neues Dach? Wie viel Geld wäre dann jährlich auf die Seite zu legen?

Daraus ergibt sich eine belastbare Zahl, die nachvollziehbar ist. Nicht auf den Cent genau, aber für die Eigentümer nachvollziehbar. Die Tabelle auf Seite 28 zeigt ein konkretes Beispiel für die objektbezogene Rücklagenkalkulation.

Heute kann auch ChatGPT dabei helfen, die angemessene Rücklage individuell zu berechnen. Wir nutzen dazu den folgenden Muster-Prompt: „Erstelle mir eine Tabelle zur Planung der jährlichen Rücklagenzuführung für eine Wohnungseigentümergemeinschaft anhand folgender Daten. Berücksichtige dabei die wesentlichen Bauteile wie Dach, Fassade, Heizung, Elektrik ... Die Tabelle soll das jeweilige Baujahr, die jeweilige Lebensdauer, die Restlebensdauer sowie die zu erwartenden Kosten der Erneuerung enthalten. Daraus soll errechnet werden, wie viel Geld jährlich für jedes Bauteil angespart werden muss und wie hoch die Rücklage heute sein sollte.

Baujahr:
Bauform Dach: Flachdach, Satteldach …
Anzahl Einheiten:
Wohnfläche/Gewerbefläche:
Heizung: zentral/dezentral
Warmwasser: zentral/dezentral
Energieträger: Gas, Öl, Pellets, Fernwärme …
Aufzug: ja/nein, Anzahl
Tiefgarage vorhanden: ja/nein
Anzahl Stellplätze:
Denkmalschutz: ja/nein
Spielplatz: ja/nein“ 

Wie umsetzen und was empfehlen?

Die entscheidende Frage ist: Wie bringen wir diese Rücklagenempfehlung in die Gemeinschaft? Einfach in den Wirtschaftsplan aufnehmen und diktieren? Die Eigentümer selbst entscheiden lassen? Unsere Empfehlung: In der ersten Versammlung über die Berechnung informieren. Im nächsten Jahr verbindlich in den Wirtschaftsplan aufnehmen.

Wir kündigen geplante Rücklagenanpassungen bereits im Vorfeld der Eigentümerversammlung an, um die Eigentümer mental darauf vorzubereiten. Im Folgejahr ist der erste Schock verdaut und das Thema dann keine Überraschung mehr. Die Bereitschaft, die Rücklagenzuführung zu erhöhen, wächst. Im neuen Wirtschaftsplan schlagen wir die neue Zuführung verbindlich vor. In der Versammlung erklären wir den Eigentümern, wie wir auf diesen Wert gekommen sind. Letztendlich entscheiden die Eigentümer. Doch unsere Rolle ist klar: Wir geben eine fundierte Empfehlung und legen offen, was bei Untätigkeit passiert

Berechnung der jährlichen Zuführung zur Erhaltungsrücklage für ein Gebäude aus dem Jahr 1973 inkl. Rücklagen-Soll

EIGENTÜMERGEMEINSCHAFT BEISPIELSTRASSE 100, ERLANGEN

  
Gebäudeteil

Letzte

Erneuerung, Jahr

Erwartete Lebensdauer, JahreRestlebens dauer ab heute, JahreErneuerungs- kostenJährlich erforderliche Rücklage

Rücklagen- 
Soll, heute

Dach (Flachdach)1973300300.000

10.000

300.000

Fassade20294034550.000

13.750

82.500

Fenster (gemeinsch.)2000305350.000

11.667

291.667

Heizung (zentral)20233028200.000

6.667

13.333

Sanitärinstallation, Steigstränge1973400600.000

15.000

600.000

Elektrik197350050.000

1.000

50.000

Außenanlage20153525100.000

2.857

28.571

Treppenhaus/Flure20153020120.000

4.000

40.000

Bodenbeläge (gemeinsch.)197330060.000

2.000

60.000

Kanalisation197350050.000

1.000

50.000

Aufzüge20222017270.000

13.500

40.500

Rauch- &

Brandschutztüren

1973300122.000

4.067

122.000

Hausmeister- wohnung197320030.000

1.500

30.000

Asbest/Schadstoffe197320050.000

2.500

50.000

Sonstiges2025101020.000

2.000

0

Summe 

91.507

1.758.571

 

TIEFGARAGE   
TG-Tore

1973

20

0

30.000

1.500

30.000

Löschwasserleitung

1973

40

0

80.000

2.000

80.000

Betonsanierung

2018

60

53

500.000

8.333

58.333

Lüftung

1973

25

0

50.000

2.000

50.000

Summe 

13.833

218.333

 

Wenn die Rücklage nicht reicht, und was das bedeutet.

Wenn die Rücklage nicht ausreicht, braucht es Alternativen. Diese sollten Eigentümer bereits bei der Planung der Erhaltungsrücklage berücksichtigen:

  • Projekte müssen ggf. verschoben werden (und werden dann üblicherweise teurer).
  • Sonderumlagen sind kurzfristig möglich, aber oft unbeliebt.
  • Kreditaufnahmen durch die Gemeinschaft können helfen, sind aber mit Aufwand und Verpflichtungen verbunden. Das sollte keine Dauerlösung sein.

Ein besonderes Risiko besteht, wenn einzelne Eigentümer ihren Anteil an Sonderumlagen nicht leisten können oder wollen. Dann ist unnötiger Ärger möglich und Mehraufwand vorprogrammiert.

Was noch Erwähnung finden sollte

Es gibt weitere Themen, die im Zusammenhang mit der Rücklagenplanung gerne übersehen werden:

  • Sondereigentum: Bauteile im Innenbereich (z. B. Fußböden, Sanitärobjekte) erfordern ebenfalls Erhaltungsaufwand – aber nicht durch die Gemeinschaft. Jeder Eigentümer sollte zusätzlich eine eigene Rücklage für sein Sondereigentum ansparen.
  • Eigentümerwechsel: Wer zahlt, wer profitiert? Rücklagenanteile sind beim Verkauf zu berücksichtigen. Ein Bestandteil, der den Wert einer Wohnung erhöhen oder verringern kann.
  • Inflation: Es kann darüber nachgedacht werden, die Rücklagenzuführung regelmäßig an den Baupreisindex anzupassen, um Kostensteigerungen zu berücksichtigen.
  • Zinsen und Anlage: Perfekte Rendite ist nicht unser Ziel, aber eine sichere, transparente Anlage Pflicht, etwa als Tages- oder Festgeld. Im Vermögensbericht sollte offengelegt werden, wie die Rücklage verzinst wurde.

Fazit

Die Rücklage ist keine Nebensächlichkeit, sondern Grundlage unserer täglichen Arbeit. Die Erhaltungsrücklage sichert Handlungsfähigkeit und Werterhalt. Ohne sie bleiben wichtige Beschlüsse auf der Strecke. Wir Verwalter bringen Struktur in die Planung – mit nachvollziehbaren Zahlen, klarer Kommunikation und vorausschauender Empfehlung. So wird die Rücklage vom Pflichtposten zum strategischen Werkzeug.

VDIV Aktuell Autor - Daniel Schweidler
Schweidler, Daniel

Geschäftsführer Schweidler GmbH 
Immobilienverwaltung, Erlangen 
www.schweidler.gmbh